Budapest/Brüssel. In Ungarn sollen die Menschen über ein umstrittenes Homosexuellen-Gesetz abstimmen. Der rechtskonservative Regierungschef Viktor Orban fordert die Bürger des Landes zu einem “gemeinsamen Nein“ auf.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat ein Referendum über ein umstrittenes Gesetz angekündigt, das sich gegen Homo-, Transsexuelle und anderen Minderheiten richtet.

Das Gesetz verbietet unter anderem Werbung, in der Homosexuelle oder Transsexuelle Teil eines normalen Lebens sind. Kinder und Jugendliche sollen demnach keinen leichten Zugang zu Informationen haben. Die EU-Kommission kritisiert das Gesetz als diskriminierend und hat Schritte gegen Ungarn eingeleitet. Durch eine Volksabstimmung will sich Orban nun aber der Unterstützung in der Bevölkerung versichern.

Die Initiative des ungarischen Regierungschefs löste Empörung bei Oppositionsparteien und Menschenrechtsorganisationen in Budapest aus. In Berlin nannte Alfonso Pantisano aus dem Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) das Referendum eine Provokation. Orbans Politik sei "widerlich". Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche (LSBTI) Menschen würden angegriffen. Es werde versucht, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu dämonisieren.

Die Europäischen Kommission müsse konsequent handeln, sagte er. "Der staatliche Hass und der neue Versuch den Schutz von Kindern zu instrumentalisieren, um das Selbstbestimmungsrecht transgeschlechtlicher Menschen anzugreifen, darf in keinem Land der EU infrage gestellt werden", meinte Pantisano.

Orban argumentiert, das Gesetz sorge dafür, dass Eltern alleine darüber entscheiden könnten, wie sie die sexuelle Erziehung ihrer Kinder gestalten wollten. Er warf der EU vor, sie verlange, dass Aktivisten von LSBT-Vereinen in ungarischen Kindergärten und Schulen Sexualaufklärung organisierten - wie in Westeuropa üblich.

Der rechtsnationale Regierungschef will in dem Referendum etwa fragen lassen, ob die Ungarn dafür seien, dass Minderjährige ohne Zustimmung der Eltern sexuell aufgeklärt werden. Eltern sollen auch beantworten, ob bei Kindern für eine Geschlechtsumwandlung geworben oder diese vollzogen werde dürfe. Gefragt werden solle zudem, ob Kindern Medienberichte zugänglich sein sollten, die ihre sexuelle Entwicklung beeinflussen können. Zugleich forderte Orban die Ungarn zu einem "gemeinsamen Nein" auf diese Fragen auf.

Als Vorbild nannte er das Referendum von 2016, das sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen richtete. Damals "wollte Brüssel uns Einwanderer aufzwingen", sagte Orban. Das Referendum von 2016 war wegen mangelnder Beteiligung ungültig. Wenige Stunden vor Orbans Ankündigung hatte die Regierung das bisher wegen der Corona-Pandemie geltende Referendumsverbot aufgehoben.

Der ungarische LSBT-Verein Hatter bezeichnete Orbans Schritt als Teil einer "Hasskampagne", die von wichtigeren Problemen ablenken solle, wie zum Beispiel von den Ausspähungen mit der Software Pegasus, bei denen es laut Medien Hinweise auf ungarische Verstrickungen gibt. Die meisten Ungarn würden die homophoben Teile des Kinderschutz-Gesetzes nicht unterstützen, sagte Hatter-Geschäftsführerin Luca Dudits der Deutschen Presse-Agentur. Ungarns Oppositionsparteien DK und Momentum riefen zum Boykott des Referendums auf.

Gergely Karacsony, wahrscheinlicher Herausforderer Orbans bei der Parlamentswahl im Frühjahr 2022, ging inhaltlich nicht auf Orbans Plan für das Referendum ein. Das Thema Homosexualität gilt in Ungarn als heikel, auch für konservative Gegner von Orban. Stattdessen verlangte Karacsony Referenden zu anderen Themen - etwa gegen den Plan zur Errichtung eines Ablegers der Fudan-Universität in Budapest, die von der Kommunistischen Partei Chinas geführt wird.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sagte dem Nachrichtenmagazin "Spiegel": "Man sollte in der EU ein Referendum darüber abhalten, ob man Orban in der EU noch tolerieren will." Er sei davon überzeugt, dass das Ergebnis eine Volksabstimmung ein klares Nein bringen würde. Zwar gebe es das Instrument EU-weiter Referenden bisher nicht, man solle aber darüber nachdenken, es einzuführen.

"Hass und Hetze gegen LSBTI dürfen nicht länger mit Steuergeldern aller EU-Bürger*innen belohnt werden", sagte Pantisano vom LSVD in Berlin. Er erinnerte zudem an das am Sonntag in Ungarns Hauptstadt geplante LSBTI-Fest Budapest Pride. "Nach den schlechten Erfahrungen aus Polen und den gewaltsamen Angriffen in Georgiens Hauptstadt Tiflis, bei denen auch ein Journalist seinen Verletzungen erlegen ist, muss der Pride in Budapest geschützt werden", forderte er.

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