Luxemburg. Reform um Reform baut die PiS-Regierung in Warschau das polnische Justizsystem um. Die EU-Kommission warnte jüngst vor einer “Zerstörung“ des Justizwesens. Der EuGH legt sich in einem konkreten Fall nicht fest.

Im Streit um die Justizreform in Polen haben polnische Richter vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einen Rückschlag erlitten.

Aus formellen Gründen wollten die Luxemburger Richter am Donnerstag nicht über die polnischen Disziplinarverfahren entscheiden. In einem Punkt stärkten sie den polnischen Richtern dennoch den Rücken (Rechtssachen C-558/18 und C-563/18). Die Regierung in Warschau sieht sich aber in ihrer Haltung gestärkt.

Ungeachtet der internationalen Kritik baut die nationalkonservative PiS-Regierung das Justizwesen Polens seit Jahren um und setzt Richter damit unter Druck. Die Reformen landeten schon mehrfach vor dem Europäischen Gerichtshof. Hintergrund des aktuellen Verfahrens sind die 2017 eingeführten Regelungen für Disziplinarverfahren gegen Richter. In zwei Gerichtsverfahren äußerten polnische Gerichte die Sorge, ihre Urteile könnten zu einem Disziplinarverfahren gegen den jeweiligen Richter führen.

Sie verwiesen darauf, dass der Justizminister sich über die Reform Einfluss auf die Einleitung und Durchführung der Verfahren verschafft habe. So könne die Disziplinargerichtsbarkeit zu einem Werkzeug werden, um missliebige Personen zu entfernen. Zudem könnten sich Richter zu vorauseilendem Gehorsam gedrängt fühlen.

Der Gerichtshof befand die Ersuchen beider Gerichte nun aus formellen Gründen für ungültig und urteilte deshalb nicht über die Rechtmäßigkeit der Reform. Es gebe keinen Zusammenhang zwischen dem EU-Recht, auf das sich die Gerichte bezögen, und den Verfahren, die sie verhandelten. Deshalb sei die Auslegung des europäischen Rechts für die jeweiligen Urteile nicht nötig. Ungewöhnlich ist, dass der EuGH dennoch betonte, nationalen Richtern dürften keine Disziplinarverfahren drohen, weil sie den EuGH angerufen hätten.

Dieser Punkt sei der entscheidende, hieß es in einem Statement der regierungskritischen polnischen Richterorganisation "Iustitia". Denn die Disziplinarbeauftragten hätten bereits versucht, entsprechende Aktionen einzuleiten. "Der EuGH hat hervorgehoben, dass die Richter in solchen Fällen vor Repressionen geschützt sein müssen."

Polens Vize-Justizminister Marcin Warhol sagte, die Zurückweisung der Sache durch den EuGH entlarve die wahre Absicht derjenigen Richter, die sich an den Gerichtshof gewandt hatten. "Diese Entscheidung ist Zeugnis für die Kompromittierung und die politischen Motive, von denen sich die Richter bei der Einreichung ihrer Fragen leiten ließen. Es zeigt auch, dass sie wenig über EU-Recht und die Rechtsprechung des EuGH wissen."

Die Europaabgeordnete Katarina Barley (SPD) betonte am Donnerstag, dass dieses Urteil keinesfalls als Zustimmung für den Kurs der PiS zu werten sei. Das Gericht habe lediglich geurteilt, dass es nicht zuständig sei. "Wichtig ist, dass der EuGH klargestellt hat, dass keiner Richterin und keinem Richter eine Strafe drohen darf, weil er den Europäischen Gerichtshof anruft." Genau das wolle die PiS-Regierung mit ihrem jüngsten Gesetz vom Jahresbeginn bestrafen.

Christian Wigand, Sprecher der EU-Kommission sagte, man nehme das Urteil zur Kenntnis. Er betonte, dass die Entscheidung keinen Einfluss auf ein derzeit laufendes Verfahren vor dem EuGH habe, das die Brüsseler Behörde im Oktober 2019 mit ihrer Klage angestoßen hat. Dabei geht es um die neuen Regeln für Disziplinarmaßnahmen, die aus Sicht der Kommission die Unabhängigkeit der Richter untergräbt. Von der Richtervereinigung "Iustitia" hieß es dazu, dieses Verfahren sei das letztlich entscheidende.

In der Vergangenheit ist der EuGH schon mehrfach wegen der polnischen Reformen eingeschritten. 2019 entschied das Gericht etwa, die Zwangspensionierung polnischer Richter am Obersten Gericht und an ordentlichen Gerichten verstoße gegen EU-Recht.

Ein weiteres Gesetz zur Disziplinierung von Richtern, das der polnische Präsident Andrzej Duda Anfang Februar unterschrieb, steht heftig in der Kritik. Hier könnte die EU-Kommission in Kürze aktiv werden. Die zuständige EU-Kommissarin Vera Jourova warnte im Februar vor der "Zerstörung" des polnischen Justizwesens. Und schon 2017 leitete die EU-Kommission ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge gegen Polen ein. Damit können einem Staat bei Verstößen gegen EU-Grundrechte die Stimmrechte im Ministerrat entzogen werden. Das Verfahren stockt jedoch.