Berlin. Die Ukraine ist in der Defensive. Fieberhaft gräbt das Land Verteidigungsanlagen – und benötigt dabei dringend Hilfe. Auch von Privat.

Noch machen die Russen in der Ukraine nur langsam Boden gut: ein paar Kilometer Richtung Lyman, nahe Bachmut, ein paar Kilometer entlang der Frontlinie im Raum Donezk, wo zuletzt die Stadt Awdijiwka unter russische Kontrolle geriet. Das geringe Tempo darf nicht täuschen: Der Vormarsch ist da. Das zeigt der Blick auf die Karten des „Institute for the Study of War“, auf denen die russischen Linien zuletzt immer weiter nach Westen wanderten.

Zwar ist noch kein Durchbruch gelungen, aber die ukrainische Verteidigung wackelt. Ob die russische Armee zu großen Gebietsgewinnen in der Lage ist, hängt vor allem davon ab, wie lange der Nachschub an Munition und anderem Gerät aus dem Westen noch auf sich warten lässt.

Der Materialmangel könne die ukrainischen Linien zerbrechlicher machen, als es momentan, angesichts des langsamen Vorrückens der Russen, den Anschein macht, warnte das ISW am Donnerstag. Dessen weitere Beobachtung, die russischen Streitkräfte könnten derzeit sogar Reserven mobilisieren, um den Druck auf die ukrainische Armee zu erhöhen, lässt ahnen, dass der Ukraine möglicherweise schmerzhafte Wochen ins Haus stehen. Die Zeichen stehen auf Verteidigung.

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Ukraine baut Verteidigungsanlagen

Die ukrainischen Behörden der frontnahen Gebiete scheinen das inzwischen begriffen zu haben: Seit Anfang des Jahres, vor allem aber in den letzten Wochen, sind immer mehr Bauaufträge für Verteidigungsanlagen an ukrainische Unternehmen ergangen. Umgerechnet rund 250 Millionen Euro haben die Stadtverwaltungen von Charkiw, Sumy und andere Behörden in den Bau von Befestigungen investiert, berichtet das Infoportal „Naschi Groschi“ mit Bezug auf eine Auswertung eines nationalen Vergabeportals der Ukraine.

Auch die ukrainische Armee hat zuletzt ihre Bemühungen verstärkt, sich einzugraben und hinter Panzersperren, Gräben und in Bunkeranlagen auf den russischen Vorstoß zu warten. So berichtete „Radio Free Europe“ etwa Anfang der Woche von Arbeiten an Verteidigungslinien, die sich einmal über fast 2000 Kilometer Frontlinie erstrecken sollen.

Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach im Zusammenhang von einer „gigantischen Aufgabe“, man schreite aber voran. „Ich gehe von einer zeitnahen Fertigstellung aus“, schrieb Selenskyj in seinem Telegram-Kanal.

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Straßengrabenmaschine dringend gesucht

Eine entscheidende Rolle spielen dabei – offensichtlich – Baumaschinen, wie Planierraupen und Bagger. Und ein Panzer, der eigentlich keiner ist: das Pionierfahrzeug MDK-3. Die „Straßengrabenmaschine“ ist ein geländegängiges Kettenfahrzeug, ungepanzert und bewaffnet mit nicht etwa Kanonen, sondern einer gigantischen Erdfräse.

Entwickelt haben das Fahrzeug die Sowjets, in den 1980er Jahren, es dient dem schnellen Ausheben von Deckungen, auch bei gefrorenem Boden. Pro Stunde kann das MDK-3 zwischen 50 und 100 Metern Graben ausheben, das ausgefräste Erdreich wird daneben ausgespuckt.

Die so ausgehobenen Gräben können Soldaten dann zu Verteidigungsstellungen ausbauen, etwa zu Schützengräben oder Panzergruben. Das Problem: Die Ukraine besitzt selbst nur wenige dieser Fahrzeuge – und weil es aus Beständen der sowjetischen Armee stammt, sind zusätzliche Fahrzeuge nur schwer bis gar nicht zu bekommen.

Bundeswehr hat Wühlgeräte

Abhilfe aus dem Westen im größeren Stil ist nicht zu erwarten – die Nato-Armeen haben schlicht kein vergleichbar effektives Gerät in ihren Arsenalen. Zwar verfügt etwa die Bundeswehr über den Pionierpanzer „Dachs“, der ebenfalls zum Graben von Stellungen eingesetzt werden kann.

Für die Arbeit nutzt der „Dachs“ aber einen Baggerarm, keine Fräse, was das Ausheben von Stellungen langsamer und mühsamer macht. Immerhin sieben der Fahrzeuge hat die Ukraine bekommen, eines davon aus Dänemark, neun weitere sollen laut Auskunft der Bundesregierung von der Industrie wieder fit gemacht werden. Lieferzeitpunkt: unbekannt.

Inwieweit die Fahrzeuge beim Bau der ukrainischen Befestigungen helfen können, ist zudem fraglich. Die „Dachs“ werden auch gebraucht, um steckengebliebene Panzer auszugraben. Dennoch: Die Bundeswehr könnte von ihren rund 100 „Dachs“ sicher noch ein paar Fahrzeuge abgeben, die Lieferung wäre voraussichtlich auch längst nicht so kontrovers, wie die Taurus-Frage, um nicht zu sagen: zweifelsfrei.

Bis dahin bleibt der Ukraine vorerst nur, das verfügbare Gerät möglichst effektiv einzusetzen. Und auf Hilfe zu warten: So hat etwa unlängst ein ukrainisches Bataillon um Geldspenden gebeten. Die Einheit möchte einen Bagger kaufen.

Russland-Reportagen von Jan Jessen