Berlin. Im vergangenen Winter waren Fiebersaft und Co. knapp. Wie der Gesundheitsminister die Lage jetzt beurteilt und was er Eltern rät.

Rundherum schrillen schon die Warntöne, doch auf dem Handy des Bundesgesundheitsministers herrscht noch Ruhe: „Der Alarm ist bei mir noch nicht angegangen“, sagt Karl Lauterbach etwas belustigt, und hält wie zum Beweis sein Telefon hoch. Mitten in die Pressekonferenz des Ministers platzt der bundesweite Probealarm am Donnerstag. Den scheint es nicht zu stören: Ruhe bewahren, nicht alarmieren lassen, das ist ohnehin seine Botschaft an diesem Morgen. Lesen Sie auch: Drohender Mangel an Kinder-Arzneien: Es ist zum Heulen!

Lauterbach hatte eingeladen zu einem „Spitzengespräch Kinderarzneimittel“. Vor der diesjährigen Erkältungssaison wollte er sich mit Vertretern von Pharmakonzernen, Apothekern und Ärzteschaft darüber austauschen, wie dafür gesorgt werden kann, dass in diesem Herbst und Winter genügend Medikamente zur Verfügung stehen.

Lauterbach: „Bitte keine Hamsterkäufe!“

Es geht konkret um Arzneimittel für Kinder. Denn die waren im vergangenen Winter bedrohlich knapp. Paracetamol, Ibuprofen und andere Standard-Arzneimittel für Kinder waren zeitweise kaum noch zu bekommen. Eltern verzweifelten auf der Suche nach Fiebersaft.

Diese Situation soll sich nicht wiederholen. „Wir werden in diesem Herbst und Winter alles tun, um sicherzustellen, dass Kinder, die Arzneimittel benötigen, sie bekommen“, sagte Lauterbach nach dem Gespräch am Donnerstagvormittag in Berlin. Ausgeschlossen werden könnten Engpässe nicht. „Aber wir sind deutlich besser aufgestellt als im letzten Jahr.“

Der SPD-Politiker betonte, dass die Hersteller ihre Produktion hochgefahren hätten, bis an die „technische Obergrenze dessen, was leistbar ist“. Die Herstellung einiger Präparate sei bis zu 100 Prozent gesteigert worden. Außerdem seien zusätzliche Importe möglich, wenn es doch zu Knappheiten kommen sollte.

Apotheken sollen mehr Spielraum und Verantwortung bekommen

Mehr Spielraum sollen außerdem die Apotheken bekommen: Ihnen soll es leichter gemacht werden, auch ohne ärztliche Rücksprache oder neues Rezept auf alternative Formen der Darreichung auszuweichen, also etwa Tropfen statt Pillen zu verkaufen, wenn ein Medikament fehlt. Auch in der Apotheke selbst angemischte Mittel sollen leichter eingesetzt werden können.

Um den Überblick über die Versorgungssituation zu wahren, wird beim Gesundheitsministerium zudem ein Steuerungskreis eingerichtet unter Beteiligung von Apothekern, Kinder- und Hausärzten und Unternehmen. Der soll wöchentlich über die Lage berichten.

Doch trotz allem vorsichtigen Optimismus: Der Gesundheitsminister bittet eindringlich, keine großen Vorräte zuhause aufzubauen, um zu verhindern, dass Patienten leer ausgehen, die akut Arznei benötigen. Er erinnerte an die Sorge vor einer anderen Knappheit im vergangenen Winter: „Wenn wir uns hier zusammennehmen, wird uns das Gleiche gelingen, was uns auch in der Gaskrise im letzten Winter gelungen ist“, sagte der SPD-Politiker.

Produktion soll nach Europa zurückgeholt werden

An Eltern richtete er einen Appell: „Bitte keine Hamsterkäufe!“, mahnte Lauterbach. Ein „kleiner Hausvorrat“ sei immer sinnvoll, das Horten von Arzneimitteln aber nicht. Doch wo verläuft die Grenze?

  • Lauterbach riet Eltern am Donnerstag, eine „Tagesdosis“ zuhause zu haben.
  • Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), sprach von genug, um über eine Nacht oder vielleicht ein Wochenende zu kommen.
  • Konkret wurde schließlich Gabriele Overwiening, Präsidentin des Apothekerverbands: „100 Milliliter zuhause zu haben, wenn man ein kleines Kind hat, das passt“, sagte sie. In kleineren Mengen sei der Saft ohnehin nicht zu haben.

Neu sind die Schwierigkeiten bei der Medikamentenbeschaffung nicht. Im Juni hatte die Ampel-Koalition ein Gesetz beschlossen, um die Versorgung mit Medikamenten zu verbessern. Unter anderem wurden damals die Preisregeln für Kinderarzneimittel geändert, Festbeträge und Rabattverträge abgeschafft. Auch die Produktion sollte vermehrt nach Europa zurückgeholt werden. Derzeit kommen viele Medikamente und ihre Wirkstoffe aus Indien und China.

Lauterbach wirbt um Geduld

Der Minister warb am Donnerstag um Geduld – es dauere, bis ein solches Gesetz greife. Derzeit verzeichnet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) auf seiner Website 510 Meldungen über Lieferengpässe. Der Apothekerverband Nordrhein schätzt, dass derzeit täglich rund 1,5 Millionen Menschen in Deutschland von Medikamentenknappheit betroffen sind. Der Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels hatte schon vor gut zwei Wochen gewarnt, dass die Versorgungslage „äußerst prekär“ sei. Daran hat sich aus Sicht des Verbandes nichts geändert.

Das „Spitzengespräch“ zeigt deshalb vor allem, dass die bisherigen Maßnahmen unzureichend waren, findet Sabine Richard, Geschäftsführerin Versorgung beim AOK-Bundesverband. „Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind ein globales Problem, welches sich nicht kurzfristig mit schnellen Preiserhöhungen auf nationaler Ebene lösen lässt“, sagte sie unserer Redaktion, „erst recht nicht, wenn dies nicht einmal mit einer Verpflichtung für ein Mehr an Ware verbunden wird“. Statt eines weiteren Arbeitskreises brauche es einen strukturierten Plan, vor allem in Sachen Bevorratung und Monitoring. Als eine Art Alarm, der rechtzeitig losgeht. Auch interessant: Medikamente für Kinder: Arzt gibt Eltern einfachen Rat für den Herbst