Moskau. Rauer Ton zwischen Belarus und Polen: Die Wagner-Söldner könnten einen neuen Konflikt entfesseln – und Prigoschin mischt kräftig mit.

Es klingt, als habe sich der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko mit dem ihm eigenen Humor in Szene setzen wollen – mit schrägen Urlaubsplänen der Wagner-Söldner. „Die Wagner-Leute haben angefangen, uns anzustrengen“, sagte Lukaschenko bei einem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Die Söldner hätten einen „Ausflug nach Warschau und nach Rzeszów machen“ wollen. Beides sind Städte in Polen. Nur ein Witz? Oder doch eine ernstzunehmende Drohung?

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In jedem Fall wachsen dort nun die Befürchtungen. Der Ton wird schärfer. Gegenseitig wird gedroht. Auf einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates unterstellte Putin Polen die Absicht, Teile der Westukraine besetzen zu wollen. Polen solle nicht vergessen, dass der Zugewinn früherer deutscher Gebiete im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg ein „Geschenk Stalins“ gewesen sei, so Putin.

Durch die Verlegung der Wagner-Söldner nach Belarus wachsen die Spannungen an der belarussisch-polnischen Grenze. Das Verteidigungsministerium in Warschau erklärte vergangenen Donnerstag, derzeit laufe eine Militärübung, um Polens „uneingeschränkte Fähigkeit“ zu demonstrieren, auf jeden Versuch einer Destabilisierung sofort antworten zu können.“

Prigoschin: „Wir werden einige Zeit in Belarus bleiben“

Der Kreml wiederum zeigt sich besorgt wegen der Übung polnischer Truppen. Das sei natürlich ein Anlass für erhöhte Aufmerksamkeit, so Kremlsprecher Dmitri Peskow. Auf der anderen Seite der Grenze, auf einem Übungsgelände nahe der Stadt Brest, trainieren Wagner-Söldner im Rahmen einer mehrtägigen „taktischen Übung“. Polens Vize-Außenminister Pawel Jablonski hält Attacken für denkbar, „möglicherweise auch unter Einsatz verschiedener militärischer oder paramilitärischer Formationen“.

Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, will „einige Zeit in Belarus bleiben“.
Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, will „einige Zeit in Belarus bleiben“. © dpa | Uncredited

Die Söldner-Gruppe Wagner – das ist inzwischen klar – bleibt bestehen. Wahrscheinlich dank einflussreicher Verbindungen im Machtapparat. Erstmals nach seiner Rebellion hat sich auch Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin zu Wort gemeldet „Wir werden einige Zeit in Belarus bleiben“, sagte Prigoschin in einem Videoclip. Er betonte, dass Wagner überall dort kämpfen werde, wo es nötig sei. Auch eine Rückkehr ins Kriegsgebiet in der Ukraine sei möglich, wenn die Kämpfer überzeugt sein könnten, sich dort nicht schämen zu müssen. Zu hören ist auf dem Video lauter Applaus seiner Truppe.

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Rund 10.000 Wagner-Söldner sollen in einem Camp nahe dem Dorf Tsel in der Region Mogilev untergebracht werden. Am 19. Juli gründete und registrierte Wagner-Chef Prigoschin laut der Online-Plattform Reform.by in Belarus dazu eine eigene Firma, die „Concord Management and Consulting“. Lange Fahrzeugkolonnen, Militärlaster, Busse, Pkw und Lieferwagen, waren unterwegs in Richtung Belarus.

Das bestätigt auch das belarussische Hacker-Kollektiv „Hajun Project“, das militärische Aktivitäten im Land überwacht. Die Fahrzeuge hätten Nummernschilder aus Donezk und Luhansk getragen – den umkämpften Teilen der Ostukraine, wo die Söldner vorher stationiert waren.

Belarus: Fahrplan für die Integration von Wagner in Streitkräfte

Langsam lichtet sich auch der Nebel um die Zukunft der Wagner-Truppe. Berichtet wird, dass sich die Söldner als eigenständige Einheit der belarussischen Armee anschließen. Finanziert allerdings wird Wagner aus der russischen Staatskasse. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es weder aus Minsk noch aus Moskau. Käme es so, dann wären Prigoschins Kämpfer Lukaschenko als Oberbefehlshaber unterstellt.

Ein gemeinsames Kampftraining von Soldaten der belarussischen Streitkräfte und Wagner-Kämpfern auf dem Brestsky-Gelände.
Ein gemeinsames Kampftraining von Soldaten der belarussischen Streitkräfte und Wagner-Kämpfern auf dem Brestsky-Gelände. © imago/ITAR-TASS | IMAGO/VoyenTV television company

„Ich mache mir absolut keine Sorgen darüber, dass wir eine bestimmte Anzahl dieser Kämpfer stationiert haben werden“, erklärte der belarussische Machthaber. „Wenn wir diese Einheit zur Verteidigung des Staates einsetzen müssen, wird sie sofort aktiviert. Und ihre Erfahrung wird gefragt sein.“ Spätestens seitdem Russland im Sommer 2020 Lukaschenko half, die Proteste Hunderttausender Demonstranten zu zerschlagen, ist dieser vollkommen von Kremlchef Wladimir Putin abhängig. Putin hätte also wohl nach wie vor das Sagen, was zukünftige Einsätze der Wagner-Truppe betrifft.

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Für die Integration der Wagner-Truppe in die belarussische Armee gibt es auch schon eine Art „Fahrplan“, schreibt das Verteidigungsministerium in Minsk auf seinem Telegram-Kanal. „Wir teilen Ihnen mit, dass die Militärabteilung und die Unternehmensleitung einen Fahrplan für die nahe Zukunft für die Ausbildung und den Erfahrungstransfer zwischen Einheiten verschiedener Teilstreitkräfte der Streitkräfte entwickelt haben.“

Wagner-Söldner könnten jederzeit in Ukraine zurückkehren

Die kampferfahrenen Wagner-Kämpfer werden zunächst als Militärausbilder fungieren. Ein entsprechendes Video verbreitete ein örtlicher Fernsehsender. Das Wagner-Camp in Belarus wird auch als Basis für die Einsätze der Söldner in Afrika dienen, heißt es im Netz. Von dort aus werden Truppen ausgetauscht. „Die Jungs ruhen sich aus und gewinnen an Kraft. Jetzt ist es sehr wichtig, das afrikanische Kontingent zu rotieren, das seit mehreren Jahren ohne Rotation ist“, heißt es etwa auf dem einschlägigen Militärblogger-Kanal „belarussischer Silowik“.

Die Wagner-Söldner könnten aber auch jederzeit wieder in der Ukraine eingesetzt werden. Angst, dass Belarus in die Kämpfe mit dem Nachbarland hineingezogen werden könnte, haben viele im Land. Auf dem Online-Kanal „Euroradio.FM“, den die belarussischen Behörden als extremistisch einstufen, bringt es eine Anwohnerin des Camps, die anonym bleiben will, auf den Punkt: „Wir haben alle Angst, nicht nur ich. Wir alle leben in Angst. Wir bitten Gott nur, dass wir Frieden haben. Das ist das Wichtigste.“

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