Berlin. Viele Kioske fungieren auch als Post-Filialen. Doch lohnt sich das zweite Standbein wirklich? Lesen Sie hier die überraschende Antwort.

Gerade erst hat Tuncer Karabulut das Prinzip erklärt, da kommt schon wieder neues Anschauungsmaterial. Ein DHL-Mitarbeiter lädt es eilig im Central Food- und Getränkemarkt ab. „So geht das eigentlich den ganzen Tag“, sagt Karabulut und weist auf den Stapel aus rund 30 Paketen. Ein kleines rotes ist dabei und ein großes weißes Allerweltsexemplar. Ein schmaler Karton wirkt, als enthalte er eine Stehlampe, während in der Plastikfolie des bekannten Versandhändlers wohl Klamotten stecken. Für all das haben Karabulut und sein Mitarbeiter Bayram Polat überhaupt keinen Blick. Sie müssen die Ladung aufnehmen – ehe die nächste eintrifft.

Tuncer Karabulut betreibt seit gut fünf Jahren einen Späti im Bezirk Prenzlauer Berg in Berlin. Sich selbst bezeichnet er, der früher unter anderem als Busfahrer und in der Jugendarbeit tätig war, als „100 Prozent Späti“. Seinen Laden versteht Karabulut als Treffpunkt für den Kiez. Hier kommt man ins Gespräch, erfährt das Neueste aus der Nachbarschaft. Und noch etwas machen unzählige Menschen im Central Food- und Getränkemarkt: Pakete und Briefe abholen oder verschicken.

Das Geschäft mit Briefen und Paketen funktioniert längst nicht mehr allein

Karabuluts Späti ist eine von bundesweit 12.800 Postfilialen. Das Geschäft mit Briefen, Päckchen und Paketen - es funktioniert schon lange nicht mehr allein. Im Supermarkt oder der Tankstelle um die Ecke hat es ein neues Zuhause gefunden, im Tante-Emma-Laden oder eben dem Späti. Viele Kunden können ihre Angelegenheiten so quasi nebenbei erledigen. Was dieser Zugewinn an Komfort für die Geschäfte bedeutet, zeigt ein Besuch in Karabuluts Laden. „Es ist wirklich sehr anstrengend“, sagt der 59-Jährige.

Pakete, Pakete, Pakete: Im Central Food- und Getränkemarkt warten hunderte, alphabetisch sortiert, auf ihre Abholung.
Pakete, Pakete, Pakete: Im Central Food- und Getränkemarkt warten hunderte, alphabetisch sortiert, auf ihre Abholung. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Dabei liegt es ihm fern, sich zu beklagen. Als vor rund zwei Jahren eine Post-Partnerfiliale in der Greifswalder Straße verschwand, bewarb sich Karabulut sogleich um den vakanten Standort. Den Paketshop im Späti gab es damals bereits. Ein Glücksfall. „Doppelt so viele Menschen“ kämen wegen der Post in seinen Laden, schätzt der Späti-Betreiber. Und jeder Fünfte kaufe etwas. 300 bis 500 Pakete gehen so täglich über die Ladentheke. Pro Stück erhalte er 40 Cent, sagt Karabulut, für die verkaufte Briefmarke deutlich weniger. „Und für Bücherwarensendungen gibt es fast nichts.“ Wirtschaftlich rechne sich das Postgeschäft also kaum. Die Effekte seien indirekter Art.

Deutsche Post betont die Vorteile des Filialgeschäfts für beide Seiten

Details zu Vergütungen kommentiert ein Sprecher der Deutschen Post auf Nachfrage dieser Redaktion nicht. Stets profitierten beide Seiten, die Post und ihr Partner, von einer Kooperation. Den Läden bringe sie „eine Frequenz- und Umsatzsteigerung“ sowie „ein zweites finanzielles Standbein als Zusatz zum Kerngeschäft“. Der Postagenturverband Deutschland, der die Interessen der Postshops vertritt, kritisierte die Provisionen in der Vergangenheit dagegen scharf. Zahlreiche Kaufleute lebten „am Rande des Existenzminimums“, betonte er im Juli 2022. Jede dritte Filiale stehe finanziell vor dem Aus.

Kritik an der Post hatte es zuletzt auch aus einem anderem Grund gegeben. So schreibt das Post-Universaldienstleistungsgesetz vor, dass sie mindestens 12.000 stationäre Einrichtungen bundesweit betreiben muss. Ebenso muss jede Gemeinde mit mehr als 2000 Einwohnern eine Post-Verkaufsstelle haben. Laut Bundesnetzagentur waren Ende Januar aber 174 Pflichtstandorte unbesetzt – 34 mehr als noch im Dezember. Man decke momentan 99 Prozent der Pflichtstandorte ab, teilt der Post-Sprecher dazu mit. Wo Standorte „temporär nicht besetzt“ seien, bemühe sich das Unternehmen um eine rasche Nachfolgeregelung und schaffe Abhilfe mit „Übergangs-Standorten“ oder einem „mobilen Post-Service“.

Post: Ein Drittel der Päckchen wird nicht abgeholt und zurückgeschickt

Daten wie diese zeigen die eine Seite des Postgeschäfts. Die andere offenbart sich, wenn man das Büro des Central Food- und Getränkemarkts betritt. Unzählige Pakete lagern hier in fünfstöckigen Regalen. Alphabetisch nach Namen sortiert und gekennzeichnet. „Wenn ein Kunde kommt, muss es ja schnell gehen“, erklärt Bayram Polat, während er neu angekommene Päckchen einsortiert und weitere Zettel an die Regale klebt. Neben dem Namen steht darauf ein Datum: An diesem Termin werden die Sendungen zurückgeschickt, wenn sie niemand abholt. Bei ungefähr einem Drittel ist das laut Tuncer Karabulut der Fall.

Wie viele Fuhren mit Paketen den Späti im Prenzlauer Berg täglich erreichen, variiert von Tag zu Tag.
Wie viele Fuhren mit Paketen den Späti im Prenzlauer Berg täglich erreichen, variiert von Tag zu Tag. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Rund um Weihnachten und Ostern reichten selbst die 190 Quadratmeter Fläche des Spätis oft nicht für alle Kisten, Kartons und Pakete, sagt er. Zwei Festangestellte, zwei Teilzeitmitarbeiter und zwei 450-Euro-Jobber arbeiten im Central Food- und Getränkemarkt. Wie viele es ohne Post wären? Anderthalb Stellen und seine eigene Arbeitskraft, antwortet der 59-Jährige. Entscheidend sei, dass das Späti-Kerngeschäft möglichst wenig unter den Zusatzaufgaben leide: „Mir sind die Späti-Kunden wichtiger als die Postkunden.“

Kunden nutzen die Späti-Mitarbeiter als „Blitzableiter“

Überhaupt bereite nicht die viele Arbeit das Problem, sagt Karabulut, der nach Ostern neu kalkulieren will, ob sich der Aufwand für ihn lohnt. Richtig ärgerlich sei die häufig schlechte Organisation aufseiten der Post. Beispiel fehlgeleitete Pakete: Auf den Abholscheinen der Leute stehe mitunter der Central Food- und Getränkemarkt, obwohl der Fahrer die Sendung in einem anderen Paketshop abgeladen habe. Oder umgekehrt. Auch wann und wie viele Fuhren den Späti erreichen, sei nicht festgelegt. Die Post bestätigt das, spricht von „Regel- und Sonderfahrten“ – und von „Einzelfällen“, in denen Pakete fehlgeleitet würden.

Für Tuncer Karabulut wäre manchmal auch schon größeres Verständnis bei den Kunden ein Segen. Neulich habe jemand verlangt, dem Paketboten mitzuteilen, dass sehr wohl jemand zu Hause gewesen sei. Beschwerden, warum Post- und Paketshop nur bis 21 Uhr liefen und nicht bis zu den regulären Schließzeiten des Spätis um 2 oder 3 Uhr, sind ebenfalls an der Tagesordnung. „Manchmal sind wir einfach der Blitzableiter“, sagt Karabulut. Es ist, irgendwie, nur eine weitere Aufgabe.