Kiew. Während Lukaschenko die Nähe Putins sucht, kämpfen Hunderte Belarussen in der Ukraine gegen Russland. Warum tun sie das? Ein Besuch.

Das Porträt von Mykhailo Zhyzneveskyi ist an diesem Märztag schneebedeckt. Die beiden Fahnen an dem kleinen Mahnmal nahe dem Stadion von Dynamo Kiew flattern im kalten Wind, die eine in Rot und Schwarz. Es sind die Farben der ukrainischen Aufstandsarmee der 1940er und 50er Jahre. Die andere Fahne in Weiß-Rot-Weiß, die Farben der kurzlebigen unabhängigen belarussischen Volksrepublik von 1918, der belarussischen Opposition – die Farben, die für ein Belarus ohne Diktator Alexander Lukaschenko stehen.

Dafür kämpfen die beiden Männer, die in ihren Uniformen vor dem Denkmal posieren und die in die Ukraine gekommen sind, um das Land gegen den russischen Überfall zu verteidigen. Dem Kampf gegen die russische Invasion der Ukraine haben sich Freiwillige aus vielen Ländern angeschlossen, die meisten sind in der Internationalen Legion organisiert. Die Kämpfer in der Legion, ob aus den USA, aus Kanada, Polen oder Deutschland, können jederzeit in ihre Heimat zurückkehren.

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Konstantin Suchshyk, genannt Kos, und Aleh Auchynnikau, genannt Alherd, haben alle Brücken hinter sich abgebrochen. Würden sie nach Hause zurückkehren, würde ihnen die Hinrichtung drohen. Sie stammen aus Belarus, dessen Herrscher ein enger Verbündeter des russischen Präsidenten Putin ist, und sie kämpfen zusammen mit anderen Belarussen im Kastus-Kalinouski-Regiment. Die Einheit ist benannt nach einem Dichter und Revolutionär, der im 19. Jahrhundert von zaristischen Behörden hingerichtet wurde.

Auchynnikau: „Kann kein freies Belarus ohne freie Ukraine geben“

„Kalinouski war der Führer des antirussischen Aufstands von 1863 auf dem Territorium von Belarus. Er ist ein wahrer Nationalheld, der Menschen unterschiedlicher politischer Ansichten vereint“, sagt Auchynnikau. Suchshyk und streicht sich über seinen Bart. „So wie wir vor 200 Jahren gegen das russische Reich gekämpft haben, tun wir es noch heute. Das russische Imperium versucht immer noch, anderen etwas wegzunehmen und seine Nachbarn nicht frei leben zu lassen. Deswegen muss es zerstört werden.“

Auchynnikau ist bereits seit 2014 in der Ukraine, seit dem Aufstand auf dem Maidan gegen den prorussischen Präsidenten Janukowitsch. Eigentlich, sagt er, habe er sich damals nur die Proteste anschauen wollen. Der 22. Januar 2014 veränderte jedoch sein Leben.

Das Kalinouski-Regiment ist nach einem Revolutionär benannt, der von Russland hingerichtet wurde.
Das Kalinouski-Regiment ist nach einem Revolutionär benannt, der von Russland hingerichtet wurde. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

An diesem Tag wurde bei den zunehmend gewalttätigen Protesten Mykhailo Zhyzneveskyi erschossen – jener junge Mann, dessen Porträt jetzt nahe dem Stadion von Dynamo Kiew steht, ein Belarusse, der sich der ukrainischen Oppositionsbewegung angeschlossen hatte, und der später als erster Ausländer posthum als „Held der Ukraine“ ausgezeichnet wurde. Auchynnikau blieb in der Ukraine, kämpfte später im Donbass gegen die prorussischen Separatisten. „Es kann niemals ein freies Belarus ohne eine freie Ukraine geben“, sagt der 34-Jährige.

Ukraine-Krieg: Mehrheit der Belarussen will keinen Kriegseintritt des Landes

Suchshyk kam sechs Jahre nach Auchynnikau in die Ukraine. In Belarus arbeitete der Grafikdesigner 2020 im Team des Oppositionspolitikers Wiktar Babaryka, der als aussichtsreicher Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im August galt, dann aber in einem nach Ansicht internationaler Beobachter politisch motivierten Prozess zu einer langen Haftstrafe verurteilt wurde.

Der heute 32-jährige Suchshyk nahm an den Massenprotesten gegen den Wahlsieg des Langzeitdiktators Lukaschenko teil, die das Regime niederschlug. Zehntausende Menschen wurden verhaftet. „Ich wusste, dass sie früher oder später zu mir kommen würden, also bin ich gegangen.“

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Belarus: Zivilbevölkerung mehrheitlich gegen den Krieg in der Ukraine

Belarus wurde vor dem russischen Überfall auf die Ukraine zum Aufmarschgebiet für die Truppen Moskaus. Nach Beginn der Invasion gab es international Befürchtungen, die belarussische Armee könne in den Krieg hineingezogen werden. Das blieb aus. „Zu Beginn des Krieges gab es eine Umfrage innerhalb der belarussischen Armee, ob sie bereit sei, dem Krieg beizutreten. Fast alle waren dagegen“, erzählt Suchshyk.

„Wenn in Russland etwa 80 Prozent der Bevölkerung den Krieg unterstützen, ist die Situation in Belarus genau umgekehrt“, sagt Auchynnikau. Die Belarussen, sagen beide, seien friedliche Menschen. Die beiden Männer sind überzeugt: Ihr Kampf ist einer, der von der Mehrheit der belarussischen Bevölkerung unterstützt wird. Auchynnikau sagt, ihm hätten Menschen geschrieben: „Dank Ihnen hat Belarus die Chance, nicht wie Österreich ein Komplize des Völkermords und eines Regimes zu sein, das die ganze Welt zerstören kann.“

Belarussische Freiwillige hatten es zu Kriegsbeginn nicht leicht

Wie viele Belarussen sich dem Kampf gegen Moskau angeschlossen haben, ist nicht klar. Einflussreiche belarussische Oppositionsorganisationen wie die Rada BNR, eine Art Exilregierung, gehen von mindestens mehreren hundert aus, möglicherweise deutlich über eintausend. „Neben dem Kalinouski-Regiment gibt es verschiedene kleinere belarussische Einheiten und Belarussen, die in ukrainischen Einheiten kämpfen“, erklärt Ales Cajcyc, Sprecher der Rada BNR. „Sie werden von einem großen Netzwerk belarussischer Freiwilliger mit Material oder Trainingsmaßnahmen unterstützt.“

Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus, auf dem Truppenübungsplatz Osipovichi während der Militärübungen
Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus, auf dem Truppenübungsplatz Osipovichi während der Militärübungen "Union Courage-2022". © dpa | Uncredited

Als der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 begann, hatten es die Belarussen zunächst nicht einfach. Konstantin Suchshyk wurde in den Anfangstagen des Krieges festgenommen, als er in Kiew ein Video aufnahm. Man verdächtigte ihn, ein Saboteur zu sein, es war eine ernüchternde Erfahrung: „Buchstäblich über Nacht verwandelt man sich von einem Freund zu einem Feind.“

Er sagte den Männern, die ihn verhörten: „Wir hassen Lukaschenko genauso wie Sie, wir versuchen, an Ihrer Seite zu stehen.“ Mittlerweile seien sie aber akzeptiert, sagt er, sogar mehr als das: „Es gibt einen enormen Respekt und Dankbarkeit für die belarussischen Freiwilligen. Wir nähern uns dem Ziel, dass Belarussen und Ukrainer Brüder sind.“ Das Ziel der beiden Männer ist der Sturz des Regimes des Mannes, der ihr Land in einem eisernen Griff und einem Klima der Angst hält.

Gefallene Belarussen können nicht in ihrer Heimat beerdigt werden

„Der einzige Grund, warum Lukaschenko noch an der Macht ist, ist die Unterstützung von Russland“, sagt Aleh Auchynnikau. „Je schneller wir das Putin-Regime und seine offensiven Kräfte und Ressourcen hier in der Ukraine zerstören, desto eher wird die Freiheit erreicht sein.“ Auch der Exilfunktionär Cajcyc ist überzeigt: „Ein ukrainischer Sieg im Krieg und damit ein geschwächtes und demoralisiertes Russland könnte Belarus die Gelegenheit bieten, sich vom Lukschenko-Regime zu befreien.“

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Für ihre Überzeugung zahlen die belarussischen Freiwilligen einen hohen Preis. Mehrere Kämpfer des Regiments sind bereits gefallen, Suchshyk und Auchynnikau sind erst vor wenigen Wochen aus dem heftig umkämpften Bachmut in die ukrainische Hauptstadt zurückgekehrt. Die Stadt wird von vielen der dort eingesetzten Soldaten als Hölle auf Erden beschrieben.

Wenn sie sterben, können ihre Körper nicht in der Heimat beerdigt werden, wo sie als Staatsfeinde gelten. Ihre Verwandten in Belarus werden immer wieder von Beamten der Staatssicherheit besucht und vernommen. „Das ist der Preis der Freiheit. Er ist sehr hoch, aber wir kämpfen für unsere Freiheit“, sagt Auchynnikau.

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