Berlin. Drohanrufe, Männer, die Demonstranten filmen: Regime-Gegner berichten von Einschüchterungen. Teherans langer Arm nach Deutschland.

Das Regime ist immer da, immer bereit zu drohen. Auch hier in Deutschland, fünf Flugstunden entfernt von Teheran. So wie vor einigen Monaten in Frankfurt. Shiva Khashajar steht auf dem Römer, ruft ihre Parole gegen die Verbrechen des Mullah-Staats, gemeinsam mit mehreren Tausend anderen. „Frauen! Leben! Freiheit!“ Immer wieder. Khashajar lebt im Exil – und will gegen die Diktatur in ihrer früheren Heimat kämpfen. Doch das ist riskant.

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„Die Stimmung war gut“, sagt Khashajar über die Demonstration. Doch dann sei dieser Mann aufgetaucht. Er habe eine Kamera mit Teleobjektiv ausgepackt und schamlos Videos gedreht, Fotos geschossen, „immer direkt auf das Gesicht der Demonstranten“, erzählt Khashajar, „er hat Gesicht für Gesicht abfotografiert“.

„Hey“, hätten sie gerufen. „Was tun Sie da? Und für wen?“ Der Mann sei zunächst weggegangen, dann aber wieder gekommen, filmte weiter. „Sie wollen Angst schüren, sie wollen vermitteln: ‚Wir wissen, wer du bist‘“, sagt Khashajar.

Iran, Teheran, Ende September: Demonstranten skandieren während eines Protestes in der Innenstadt Parolen gegen den Tod der 22-jährigen Iranerin Mahsa Amini. Sie war wegen ihres
Iran, Teheran, Ende September: Demonstranten skandieren während eines Protestes in der Innenstadt Parolen gegen den Tod der 22-jährigen Iranerin Mahsa Amini. Sie war wegen ihres "unislamischen Outfits" festgenommen worden. Was genau mit Amini nach ihrer Festnahme geschah, ist unklar. Bekannt ist nur, dass fiel ins Koma fiel und starb. Ihr Tod löste die Massenproteste aus. © dpa | Uncredited

Es ist ein Fall, wie ihn viele Iranerinnen und Iraner in Deutschland erleben, die sich gegen das Regime in Teheran einsetzen. Unsere Redaktion hat mit einigen von ihnen gesprochen, zugleich Sicherheitsbehörden befragt, und besonders gravierende Fälle analysiert. Mutmaßliche Agenten des Regimes schleusen sich in WhatsApp-Gruppen ein, rufen Oppositionelle zuhause an, drohen, manchmal nicht aggressiv und mit dem Tod, sondern leise. „Wir wissen, wer du bist.“ Fällt so ein Satz am Hörer, ist sie da: die Angst vor dem langen Arm der Mullahs nach Deutschland.

Mehr als 6000 Iranerinnen und Iraner haben 2022 Asyl beantragt

Im Iran protestieren Menschen so laut wie noch nie gegen die Regierung. Und so brutal wie selten versucht das Regime die Proteste zu unterdrücken. Kritiker werden inhaftiert, verschwinden hinter Gittern, einige richtet der Apparat hin. Viele fliehen. Auch nach Deutschland.

Mehr als 6000 Iranerinnen und Iraner haben 2022 Asyl beantragt. Fast 200.000 Menschen aus dem Land leben schon hier, viele seit Jahren. Menschen wie Shiva Khashajar, 52 Jahre alt, Hals-Nasen-Ohren-Ärztin im Ruhrgebiet. Wie der Hamburger Mediziner Dilan Karimi. Menschen wie die junge Künstlerin Marjan Esnani. Zu ihrem Schutz ändern wir ihre Namen in diesem Artikel.

Ein junger Aktivist in Deutschland erzählt, wie er am Hamburger Bahnhof angerempelt wird. Jemand drückt ihm einen Stift in die Hand. Kurz ist er irritiert, dann erkennt er: Es ist ein Stift vom Schreibtisch in seiner Wohnung. Jemand muss dort eingedrungen sein, jemand muss seine Wege in der Stadt kennen, ihm folgen.

Als Akt der Solidarität mit den Mädchen und Frauen im Iran verhüllt sich die in Weimar lebende Künstlerin Farzane Vaziritabar mit Dutzenden Kopftüchern.
Als Akt der Solidarität mit den Mädchen und Frauen im Iran verhüllt sich die in Weimar lebende Künstlerin Farzane Vaziritabar mit Dutzenden Kopftüchern. © epd | Christine Suess-Demuth (Süß-Demuth )

Die Szene lässt sich nicht überprüfen. Doch sie scheint plausibel. Auch Sicherheitsbehörden sind beunruhigt. In Gesprächen berichten Fachleute über eine neue Dynamik der Geheimdienstaktivitäten des Irans in Deutschland – ausgelöst durch die Proteste gegen das Regime. In Nordrhein-Westfalen sitzt ein 35-jähriger Deutsch-Iraner in Untersuchungshaft, er soll Synagogen in mehreren Städten angegriffen haben. Der Mann steht in Kontakt zu einem anderen Deutsch-Iraner, den die Polizei mit internationalem Haftbefehl sucht: Rahimi Y. Er war lange Rocker bei den Hells Angels und hat sich nun offenbar abgesetzt – in den Iran.

Der Geheimdienst MOIS und die „Quds Force“ sind in Deutschland aktiv

Ein außenpolitisches Ziel des Iran ist nach Angaben des Verfassungsschutzes „die Weiterführung der iranischen Revolution in anderen Ländern“. Dafür sendet „Revolutionsführer“ Ayatollah Seyyed Ali Chamenei „Beauftragte“ ins Ausland. Wie weit Teheran geht, zeigt der Fall Assadi A.: ein iranischer Diplomat in Wien, 2018 in Deutschland verhaftet, 2021 zu 20 Jahren Haft in Belgien verurteilt. Der Mann soll einen Bombenanschlag in Paris geplant haben.

Neben dem iranischen Geheimdienst MOIS ist die auch „Quds Force der Iranischen Revolutionsgarden“ in Deutschland aktiv. Die „Quds Forces“ nehmen vor allem jüdische Ziele hierzulande ins Visier. Israel ist Feindbild Nummer 1 des Iran. Unlängst soll der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, von einem Spitzel der iranischen Dienste ausgespäht worden sein.

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Es sind besonders brisante Fälle. Fachleute in den Sicherheitsbehörden sehen bisher keine offene Gewalt, die sich direkt gegen einzelne Exil-Iraner in Deutschland richtet – anders etwa als ein russischer Geheimdienstagent, der im Berliner Tiergarten einen Putin-Gegner erschoss. Doch die Entwicklungen der letzten Monate alarmiert alle.

Machthaber in Teheran: Ajatollah Ali Chamenei
Machthaber in Teheran: Ajatollah Ali Chamenei © dpa | Uncredited

Vor allem die Menschen in Deutschland, die sich gegen das Regime in Teheran einsetzen. Dabei ist die Sorge um die Familie im Iran oft genauso groß wie die Angst, Opfer der Einschüchterungen in Deutschland zu werden. Manche von ihnen erzählen Geschichten von kranken Verwandten, denen eine Chemotherapie im Iran verweigert werde, weil die Tochter oder Cousine in Düsseldorf oder Hamburg für „Frauen, Leben, Freiheit“ in die Öffentlichkeit gehe.

Angehörigen von aktiven Deutsch-Iranern wird untersagt, eine Trauerfeier abzuhalten oder eine Hochzeit zu feiern. Ihnen werde gesagt: „Ihr habt die Feier nicht verdient, eure Tochter zerstört gerade euer Land“, erzählt Shiva Khashajar.

Am Flughafen-Gate im Iran nehmen Beamte des Regimes Menschen fest

Die Folgen: Regierungskritiker in Deutschland ziehen sich zurück. Vor allem dann, wenn Angehörige aus Deutschland immer wieder zu Familienbesuchen in den Iran reisen. „Ich will nicht, dass mein Vater an der Grenze einkassiert wird“, erzählt eine Aktivistin. So passiert es immer wieder: Am Flughafen-Gate im Iran nehmen Beamte des Regimes Menschen fest, fragen sie aus, halten sie manchmal mehrere Tage in einem Hotel oder auf einer Polizeistation fest. Viele gehen davon aus, dass die iranischen Dienste beschlagnahmte Handys manipuliert an die Betroffenen zurückgegeben, um sie auszuspionieren.

Iran, Teheran, im September 2022: Eine Frau steht während einer Demonstration nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini vor einem brennenden Autoreifen und zeigt das Victory-Zeichen.
Iran, Teheran, im September 2022: Eine Frau steht während einer Demonstration nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini vor einem brennenden Autoreifen und zeigt das Victory-Zeichen. © dpa | Uncredited

Der Verfassungsschutz warnte schon in seinem Jahresbericht 2021 vor willkürlichen Inhaftierungen. Im Februar verurteilt ein Gericht im Iran einen Deutsch-Iraner zum Tode, dem Regimegegner wirft die Justiz angebliche Terrorpläne vor. Die Bundesregierung spricht von einem „Schauprozess“. Der Mann war zuvor aus Dubai nach Teheran verschleppt worden.

Kurz macht der Fall Schlagzeilen in Deutschland, doch mittlerweile wird es wieder still um die Machenschaften der Teheraner Regierung. Die deutsch-iranische Journalistin Gilda Sahebi wirft Deutschland eine „sehr große Naivität“ gegenüber den Mullahs vor.

Schwarze Armbinden als Zeichen gegen die Gewalt des Regimes

Gerade auch im Bereich der Cyberspionage gehört Iran neben China, Russland und der Türkei längst zu den gefährlichsten Akteuren im deutschen Raum. Hackergruppen wie „Domestic Kitten“ und „Infy“ oder „Prince of Persia” rechnen Sicherheitsexperten dem Iran zu, seit Jahren nehmen sie Dissidenten im Ausland ins Visier.

Shiva Khashajar, die Ärztin aus dem Ruhrgebiet, hat keine Angst. Sie macht weiter, organisiert Kulturveranstaltungen, geht auf Demonstrationen. Jeden Mittwoch trägt sie und mit ihr das gesamte Personal ihrer großen Praxisgemeinschaft, eine schwarze Armbinde. Als Zeichen gegen die Gewalt des Regimes in ihrer Heimat.