Berlin. EVP-Chef Manfred Weber legt einen Drei-Punkte-Plan für einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik vor. Wen das besonders trifft.

Angesichts der rasant steigenden Asylbewerberzahlen in der EU fordert der Chef der europäischen Christdemokraten (EVP), Manfred Weber, einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik mit verstärktem Grenzschutz, anderen Asylverfahren und neuen Regeln zur Seenotrettung. „Die EU-Staaten schlafwandeln in eine neue, große Migrationskrise hinein“, sagte Weber, der auch EVP-Fraktionschef im EU-Parlament ist, unserer Redaktion. „Die Kommunen ächzen, die Aufnahmekapazitäten für Migranten über die Mittelmeerrouten sind ausgereizt.“ Es räche sich jetzt, dass die europäische Spitzenpolitik die Herausforderung jahrelang verdrängt und tabuisiert, kritisierte Weber.

Er forderte, dass der Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in knapp zwei Wochen „das Schwarze-Peter-Spiel beenden“ und Antworten auf die drängendsten Probleme liefern müsse. Weber legte dazu einen Forderungskatalog mit drei zentralen Punkten vor.

Erstens müsse die EU Schutz und Kontrolle der Außengrenzen auch mit dem Bau von Zäunen verstärken. „Zäune sind immer das letzte Mittel, aber wir brauchen sie überall dort, wo Schlepperbanden erfolgreich versuchen, europäisches Recht zu umgehen“, erklärte Weber, der auch CSU-Vizechef ist. An den Außengrenzen müssten Recht und Ordnung durchgesetzt werden. „Wenn es technisch nicht anders möglich ist, illegale Migration zu verhindern, dann müssen Zäune denkbar sein. Zum Beispiel haben wir solche Herausforderungen an der EU-Ostgrenze, in der Mittelmeer-Region, an der Grenze Bulgariens und Griechenlands zur Türkei.“

EVP-Chef Weber: Migranten sollen EU-Asyl schon in Afrika beantragen

Die EU-Kommission müsse ihren Widerstand aufgeben, dafür EU-Gelder bereitzustellen. Der EVP-Chef betonte aber auch, zunächst gehe es um andere Lösungen. „Das Asylrecht gilt“, erklärte Weber. Wenn die Flüchtenden ihre Heimat erst gar nicht verlassen müssten oder wollten, wäre dies am besten. Punkt zwei: Substanzielle Änderungen bei den Asylverfahren. Diese Verfahren müssten nicht zwingend in der EU stattfinden, sagte Weber. „An den EU-Außengrenzen muss es wenigstens einen Schnellcheck geben, wer Aussicht auf Asyl hat. Und wenn Migranten aus Drittstaaten wie der Türkei einreisen, in denen sie sicher sind, dann könnten die ersten Verfahrensschritte auch dort auf fremdem Staatsgebiet stattfinden. Man könnte zum Beispiel in Tunesien oder Ägypten EU-Büros eröffnen, in dem Menschen aus Afrika Asyl in Europa beantragen können.“

Manfred Weber, Parteivorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) und EVP-Fraktionschef im Europäischen Parlament.
Manfred Weber, Parteivorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) und EVP-Fraktionschef im Europäischen Parlament. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Der EVP-Chef sprach von „pragmatischen Antworten“: „Das Asylrecht ist eine große Errungenschaft Europas, die wir verteidigen, aber gleichzeitig müssen wir den Schlepperbanden das Handwerk legen.“

Als dritten Punkt verlangt Weber eine neue Initiative zur Seenotrettung im Mittelmeer: Jeder respektiere und wertschätze das Engagement der Zivilgesellschaft für private Rettungsmissionen, aber Seenotrettung sei auch im Mittelmeer eine hoheitliche Aufgabe des Staates. „Wir wollen Leben retten, aber wir dürfen das nicht privatisieren“, sagte der EVP-Politiker. „Wir müssen deshalb die Neuauflage einer EU-Mission im Mittelmeer prüfen. Ich verstehe nicht, warum Deutschland mit Steuergeldern zivile Hilfsorganisationen bei der Seenotrettung dort unterstützt, aber nicht bereit ist, dafür eigene Beamte gemeinsam etwa mit den italienischen Kräften einzusetzen.“

Für die Aufnahme von Flüchtlingen in der EU forderte Weber einen fairen Lastenausgleich. Eine gerechte Aufnahme-Quote für jedes EU-Land sei derzeit nicht durchsetzbar, eine Pflicht zur Beteiligung an den Migrationslasten müsse es aber geben. „Wenn Länder keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, dann müssen sie mehr für Entwicklungshilfe oder Außengrenzschutz leisten, auch finanziell“, sagte Weber. „Wir dürfen den Süden Europas damit nicht allein lassen.“ Der Europapolitiker zeigte sich zuversichtlich, dass der Sondergipfel zur Migration jetzt Bewegung in die Debatte bringen könne.

Asylanträge: Zahl in der EU stieg 2022 um die Hälfte

„Die Migrationspolitik ist eine der offenen Wunden der EU. Jetzt ist der Moment günstig, das Schwarze-Peter-Spiel zu beenden, den gordischen Knoten durchzuschlagen. Wenn der Gipfel Antworten auf die kritischen Fragen gibt und so ein positives Momentum erzeugt, dann haben wir alle Chancen, die Herausforderung zu lösen“, meinte der CSU-Vize. Durch die Migrationswelle über Belarus vor anderthalb Jahren hätten die osteuropäischen Länder verstanden, dass die Migration auch sie angehe.

Das habe eine neue Gesprächsbasis ermöglicht. Aber jetzt müssten alle Regierungschefs liefern, Deutschland und Österreich als wichtige Aufnahmeländer eingeschlossen. „Das wäre auch mit Blick auf die Europawahl 2024 wichtig, um rechten Agitatoren die Munition zu nehmen“, sagte Weber.

Die Zahl der Asylanträge in der EU war 2022 um rund die Hälfte angestiegen, bis Ende November wurde knapp 790.000 Anträge registriert. Die Chefin der EU-Asylbehörde (EUAA), Nina Gregori, sagte unserer Redaktion kürzlich, sie rechne mit einer weiteren Zunahme.

Nach Angaben der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex sind 2022 mindestens 330.000 Menschen irregulär in die EU eingereist – ein Anstieg um zwei Drittel im Vergleich zum Vorjahr und so viele wie in keinem Jahr seit 2016. Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten wollen bei einem Sondergipfel am 9. und 10. Februar über den Umgang mit unerwünschter Migration beraten. Vor allem die fünf Mittelmeer-Anrainerstaaten Italien, Zypern, Malta, Griechenland und Spanien fordern, dass Brüssel die irreguläre Migration endlich als gemeinsame Verantwortung aller 27 Mitgliedsstaaten sieht.