Moskau. 100.000 Anrufe sollen in Russland eingehen. In der Leitung: Menschen aus Litauen, die über den Krieg sprechen wollen. Was soll das?

„Call Russia!“ Die Idee ist simpel: Einfach mal Menschen in Russland anrufen, über den Krieg reden, der in Russland nur „Spezialoperation“ heißen darf. Es ist eine Initiative in Litauen, die für sich in Anspruch nimmt, bereits mehr als 100.000 derartige Anrufe gemacht zu haben. 30.000 Freiwillige sind am Projekt beteiligt, 60 Hauptamtliche organisieren das, so steht es auf der Website von „Call Russia“ zu lesen.

Ein Anruf kann die Welt nicht verändern, mehrere Millionen aber vielleicht schon, das ist das Motto von Paulius Senūta, der die Initiative gegründet hat. Per Zufallsgenerator rufen die Freiwilligen Millionen russische Haushalte an. „Wir haben mit Psychologen eine Gesprächstechnik ausgearbeitet“, so Senūta gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“. „Natürlich ändere ich nicht das Weltbild eines fremden Menschen innerhalb einer Stunde. Aber die Leute fangen an, nachzudenken.“

Krieg in der Ukraine: Telefonaktion aus Litauen soll Russen beeinflussen

Paulius Senūta, der Initiator, ist Chef einer Werbeagentur in Vilnius, der Hauptstadt Litauens. Einer, der über seinen Job sagt: „Werbeagenturen arbeiten definitiv daran, die Probleme der Kunden zu lösen.“ Ob es in Sachen „Call Russia“ einen Kunden gibt, das ist schwer zu sagen. „In den ersten Kriegstagen hat einfach jeder hier in Litauen irgendetwas getan. Unsere Idee war eben, anzurufen“, unterstreicht Senūta.

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Doch liest man den Gesprächsleitfaden, den „Call Russia“ den Anrufern an die Hand gibt, ist ein möglicher Propaganda-Vorwurf nicht von der Hand zu weisen. In jedem Detail wird der Verlauf der Telefonate vom Werbefachmann vorgegeben. Los geht es mit den Worten „Ich versuche, mit Russen in Kontakt zu treten und ihre Seite der Geschichte über die aktuelle Situation in der Ukraine zu hören. Ich verstehe, dass wir vielleicht unterschiedliche Ansichten haben. Aber mein Ziel ist es, ein friedliches Gespräch zwischen zwei normalen Menschen zu führen.“

Viele Gespräche dauern keine fünf Minuten

Dann solle man diese Geschichte erzählen: „Ich habe persönlich einen Flüchtling getroffen. Ihr Name ist Svetlana, sie ist Cherson entkommen. Sie verlor ihren Mann während des schweren Beschusses und musste die Stadt verlassen. Später erfuhr sie, dass ihr Haus von russischen Raketen zerstört wurde.“ All das kann man nachzulesen auf der Website von „Call Russia“.

Paulius Senūta jedenfalls glaubt an die Wirkung. Anfangs reagierten die Angerufenen meist wütend. Viele Gespräche dauerten keine fünf Minuten. Mittlerweile gebe es aber Gespräche von teilweise drei Stunden.