Berlin. Bundesjustizminister Buschmann will die Ersatzfreiheitsstrafe für Vergehen reduzieren. Ein Modell aus Schweden dient als Vorbild.

Häufig trifft es Schwarzfahrer, Menschen ohne festen Wohnsitz oder Suchtkranke: die Ersatzfreiheitsstrafe – sie ist umstritten, trotzdem wenig diskutiert in Deutschland, dabei sitzt rund jeder zehnte Verurteilte deswegen in Haft. Nun will die Bundesregierung diese Sanktionsmaßnahme reformieren.

Wer eine Geldstrafe für eine Straftat nicht zahlen kann oder will, soll dafür künftig nicht mehr so lange ins Gefängnis müssen wie bisher – muss allerdings weiterhin eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, sofern der Betroffene keine soziale Arbeit verrichtet. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung, der unserer Redaktion vorliegt, sieht vor, dass ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe künftig nicht mehr einem, sondern zwei sogenannten Tagessätzen entsprechen soll. Die Zeit in Haft würde dadurch also halbiert. Die Höhe des Tagessatzes orientiert sich grundsätzlich am Einkommen des Beschuldigten.

Kritik: Regierung geht mit Reform der Ersatzfreiheitsstrafe nicht weit genug

Gegner der Ersatzfreiheitsstrafe kritisieren, dass die Regierung mit der Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe nicht weit genug geht. „Eine Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe ist ein unzureichender Vorschlag der Bundesregierung. Das bedeutet ja immer noch, dass genauso viele Menschen von dieser absurden Maßnahme betroffen sind. Wir brauchen eine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe“, sagte Anthony Obst vom Bündnis zur Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe unserer Redaktion. „Mehr als 50.000 Menschen werden jährlich inhaftiert, weil sie ihre Geldstrafe nicht zahlen können. Das ist eine enorme Belastung für die Betroffenen.“

Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) hätte sich eine noch weitreichendere Reform des Sanktionenrechts gewünscht. Er will, dass Schwarzfahren nicht mehr als Straftat, sondern nur noch als Ordnungswidrigkeit, gilt. Ersatzfreiheitsstrafen sollten abgeschafft „oder zumindest auf Zahlungsunwillige beschränkt werden“.

Marco Buschmann (FDP): Der Justizminister will das Sanktionsrecht reformieren.
Marco Buschmann (FDP): Der Justizminister will das Sanktionsrecht reformieren. © dpa | Kay Nietfeld

Schon seit der Einführung der Ersatzfreiheitsstrafe ist diese Sanktionsmaßnahme in Fachkreisen umstritten. In den vergangenen Jahren stieg die Zahl der Verurteilten in Ersatzfreiheitsstrafe konstant an. Zugleich sind die Möglichkeiten der Hilfe für die meist armen Menschen im Vollzug gering. Die verhängten Tagessätze, zu denen Menschen in Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt werden, liegen in Deutschland zu 37 Prozent zwischen zehn und 25 Euro – treffen also Personen mit keinem oder geringem Einkommen. Nur bei drei Prozent ist der Tagessatz bei 51 Euro oder mehr.

Ebenso kritisieren Fachleute, dass die Ersatzfreiheitsstrafe Urteile verfälsche, weil Menschen inhaftiert würden, bei denen ein Gericht eigentlich nur eine Geldstrafe vorsah. Haftstrafen – auch nur für kurze Dauer – haben aufgrund des Freiheitsentzugs und der Haftbedingungen jedoch gravierende Auswirkungen auf einen Menschen.

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2019 sprachen sich die Justizministerinnen und Justizminister auf ihrer Konferenz für eine Halbierung der Strafsätze aus. Die kriminologische Forschung zeigt, dass die betroffenen Gefangenen „viele verschiedene soziale und gesundheitliche Belastungen“ aufweisen würden, wie die Soziologin Nicole Bögelein 2020 schreibt. „Häufig sind sie arbeitslos, haben psychische Erkrankungen und befinden sich in mehrfach problembelasteten Lebenslagen – nicht wenige sind wohnungslos.“

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) legte nun einen Gesetzentwurf vor, in dem das Ministerium zwar deutliche Kritik an der aktuellen Praxis der Ersatzfreiheitsstrafe deutlich werden lässt, sich zugleich aber gegen eine Abschaffung ausspricht. „Zentrale Aufgabe“ des strafrechtlichen Instruments sei es, „als Druckmittel eine effektive Durchsetzung der Geldstrafe zu ermöglichen“. Dies sei „umso bedeutender, als die Geldstrafe in der Praxis die mit großem Abstand wichtigste Sanktion des deutschen Straf rechts ist“, heißt es in dem Entwurf, der nun vom Bundeskabinett beschlossen wurde.

Ministerium will weiterhin den Druck durch die Androhung von Inhaftierung

In einer Vielzahl von Fällen würden „Zahlungsunwillige sowohl kurz vor als auch noch nach Strafantritt die Geldstrafe zur Abwendung der Ersatzfreiheitsstrafe“ zahlen, schreibt das Ministerium und beruft sich auf eine Untersuchung des Kriminologischen Dienstes Nordrhein-Westfalen aus 2018. Ohne den „Tilgungsdruck der Ersatzfreiheitsstrafe“ sei zu befürchten, dass das Strafrecht langfristig seiner Funktion des Rechtsgüterschutzes nicht mehr gerecht werden könne.

Dabei blickt das Ministerium auch nach Schweden, wo die Ersatzfreiheitsstrafe nur bei bei „offensichtlich“ Zahlungsunwilligen vollstreckt werden – und das in sehr wenigen Fällen. Zugleich würden Auswertungen aus Schweden zeigen, dass 41,4 Prozent aller 2015 rechtskräftig verhängten Geldstrafen „innerhalb von fünf Jahren nicht vollstreckt werden konnten“ und verjährten. Hier braucht es nach Ansicht des Ministeriums weiterhin den Druck durch die Androhung von Inhaftierung.

Zudem verweist das Ministerium auf die Möglichkeit der sozialen Arbeit als Ersatzleistung für eine drohende Inhaftierung – gerade für Menschen ohne Geld, die eine Strafe nicht zahlen können.

Mainz: Der Mainzer Arzt Gerhard Trabert kümmert sich um einen Obdachlosen im Stadtzentrum. Oftmals sind es Menschen ohne Geld und Wohnung, die wegen einer nicht-bezahlten Geldstrafe in Haft müssen.
Mainz: Der Mainzer Arzt Gerhard Trabert kümmert sich um einen Obdachlosen im Stadtzentrum. Oftmals sind es Menschen ohne Geld und Wohnung, die wegen einer nicht-bezahlten Geldstrafe in Haft müssen. © dpa | Peter Zschunke

Die Forschung ist hier jedoch kritisch. Die Gefangenen der Ersatzfreiheitsstrafe seien „weitreichend belastet“, hält Soziologin Bögelein fest, etwa durch Arbeitslosigkeit, Suchtproblematik, Obdachlosigkeit. Ihnen fehle oft eine klare Tagesstruktur. Sechs oder acht Stunden gemeinnützige Arbeit seien für solche Menschen eine hohe Hürde. Zudem wissen einige Verurteilte nichts von dieser Möglichkeit der sozialen Arbeit, weil Wohnungslose etwa ihre Post nur unregelmäßig öffnen.

Das Bündnis zur Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe spricht von einem „besonders verwerflichen Aspekt des Strafsystems“. Das Bündnis hebt hervor: „Diese Delikte lassen sich nicht mit Geldstrafen oder Haftandrohung bekämpfen. Die Ursachen, die zu Ersatzfreiheitsstrafen führen, bekämpft nur, wer Personennahverkehr kostenlos macht, wer bessere Hilfe für Drogenabhängige anbietet und sozialen Wohnraum schafft, damit Menschen nicht in Armut leben müssen.“

Richterbund spricht sich gegen Bestrafung von Schwarzfahren aus

Der Deutsche Richterbund sprach sich etwa dafür aus, den Straftatbestand der Beförderungserschleichung auf einen „strafwürdigen Kern“ zu beschränken. „Das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln ohne Fahrschein sollte nur noch strafbar sein, wenn die Betroffenen Zugangsbarrieren überwinden oder Zugangskontrollen umgehen“, sagte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. Wer in einen Bus oder eine Straßenbahn einsteige, ohne eine Form der Täuschung zu begehen oder einen technischen Schutz gegen Schwarzfahrten zu umgehen, sollte nicht mehr mit Strafe bedroht werden. Für diese Fälle seien die zivilrechtlichen Ersatzansprüche der Verkehrsunternehmen, wie das erhöhte Beförderungsentgelt, ausreichend.