Berlin. Die Kindermedizin in Deutschland arbeitet am Limit, wichtige Medikamente sind schwer zu bekommen. Das soll sich jetzt ändern.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach rechnet mit schnellen Erfolgen der von ihm angestoßenen Maßnahmen zur besseren Arzneimittelversorgung für Kinder. Der SPD-Politiker zeigte sich am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Berlin überzeugt, dass diese "sehr schnell wirken".

Lauterbach wies zugleich Kritik der Krankenkassen zurück, die von einem Weihnachtsgeschenk für die Pharmaunternehmen gesprochen hatten: "Ich glaube das ist in erster Linie mal ein Geschenk an die Kinder.“ Das Geld sei sehr gut investiert. Die Kinder hätten in der Pandemie auf viel verzichten müssen. „Da kann es nicht sein, dass wir in der Weihnachstzeit den Kindern jetzt die Medikamente nicht bieten können. Dieses Geld ist da. Und das werden wir auch zur Verfügung stellen." Es sei mit Mehrkosten zu rechnen. "Die sind aber nicht beitragssatzrelevant."

Vor dem Hintergrund einer starken Infektwelle mit knappen Kinderarzneimitteln hatte Lauterbach kurzfristige Schritte zur Verbesserung der Lage angekündigt. Die Krankenkassen sollen mehr dafür bezahlen, damit sich für Hersteller ein Verkauf in Deutschland mehr lohnt. Zudem soll es bürokratische Erleichterungen für Apotheken geben, Fieber- und Hustensäfte auch selbst herzustellen und unproblematisch abrechnen zu können. "Die Apotheker werden angehalten, mehr Zubereitungen auch selbst anzufertigen. Das geschieht in Deutschland bisher wenig", sagte Lauterbach. Er glaube, das werde wesentlich zur Verbesserung der Lage beitragen.

Versorgungslage soll besser im Blick bleiben

Lauterbach hatte zuvor Eckpunkte für einen Gesetzentwurf angekündigt, um Probleme bei Arzneimittellieferungen zu bekämpfen. Engpässe gab es zuletzt bei Kindermedikamenten wie Fieber- und Hustensäften. Auch Mittel für Erwachsene sind betroffen, etwa Krebsmedikamente und Antibiotika. Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gibt es derzeit gut 330 Meldungen zu Lieferengpässen von Präparaten.

Das Ministerium weist darauf hin, dass nicht alle Lieferengpässe auch Versorgungsengpässe bedeuten. Es können also Alternativen beschafft oder hergestellt werden, was aber mehr Aufwand für Apotheken bringt.

Um früh zu erkennen, bei welchen Mitteln sich Engpässe abzeichnen könnten, solle außerdem die Versorgungslage intensiver überwacht werden, berichtete die "Süddeutsche Zeitung" weiter. Generell solle bei der Medikamentenbeschaffung nicht mehr nur der billigste Anbieter zum Zug kommen.

Hintergrund: Corona, Kinderkliniken und Co: Wo sich Karl Lauterbach irrte

Laut dem Eckpunktepapier solle es bei wichtigen Mitteln zwei Verträge geben: Neben dem günstigsten Anbieter aus dem nicht-europäischen Ausland solle immer auch der günstigste Hersteller aus der EU berücksichtigt werden. Der Auftrag werde dann geteilt.

Minister Lauterbach hatte die grundsätzliche Stoßrichtung bereits deutlich gemacht. "Wir sind auch in diesem Bereich mit der Ökonomisierung zu weit gegangen", sagte er in der vergangenen Woche. Der Preis habe die alleinige Rolle gespielt, die Verfügbarkeit von Arzneimitteln eine zu geringe Rolle. "Das wollen wir aufheben."

Kindermedizin in Deutschland am Limit

Derzeit sorgen neben Corona auch die Grippe sowie bei Kindern RS-Viren in ganz Deutschland für viele Erkrankungen. Ärztevertreter befürchten eine Verschärfung der Engpässe in der Kindermedizin über Weihnachten und Silvester.

"Im Moment beobachten wir, dass Infektionen mit dem RS-Virus zurückgehen, dafür kommen jetzt immer mehr Kinder mit Grippe und anderen Atemwegserkrankungen", sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Jörg Dötsch, unserer Redaktion. "Durch die Personallage an den Feiertagen wird die Lage in Kliniken und Praxen gleichzeitig noch einmal angespannter sein als jetzt." Lesen Sie auch: Flohmarkt für Medikamente? Wirbel um Idee der Ärztekammer

Auch der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sagte: "Ich gehe davon aus, dass diese akute Krise in der Kindermedizin noch bis Februar andauert." Die Zahl der Infektionsfälle werde nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen voraussichtlich in den kommenden Wochen noch weiter steigen.

"Gleichzeitig geraten die Kinderkliniken über die Feiertage durch ausgedünnte Dienstpläne zusätzlich unter Druck – zumal dann, wenn viele niedergelassene Kinderärzte ihre Praxen in dieser Zeit schließen oder die Sprechstunden reduzieren."

Städtetag fordert „Sofortmaßnahmen“ von Bund, Ländern und Ärzten

Der Deutsche Städtetag fordert Sofortmaßnahmen von Bund, Ländern und Ärztinnen und Ärzten, um die derzeitige Notlage in der medizinischen Versorgung abzumildern. "Kinderkliniken, Notfallambulanzen der Krankenhäuser und Rettungsdienste arbeiten am Limit", sagte Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, dieser Redaktion. Die Städte würden befürchten, dass sich die schon jetzt sehr kritische Lage über Weihnachten und Silvester weiter zuspitzt. "Wir appellieren an Bund, Länder und die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, die dramatische Krise in der Akutversorgung mit Sofortmaßnahmen zu lindern."

Konkret, sagt Dedy, bräuchten die Krankenhäuser finanziell und rechtlich "sofort mehr Beinfreiheit", um improvisieren zu können. "Sanktionen bei Verstößen gegen Vorgaben von Personalschlüsseln, Dokumentationspflichten oder das Vorhalten von Intensivbetten sind vorübergehend auszusetzen." Kliniken, die auf finanziell attraktivere, aber nicht notwendige Behandlungen verzichten, um stattdessen die schlecht bezahlte Notfallbehandlung durchzuführen, müssten dafür entschädigt werden.

An niedergelassene Ärztinnen und Ärzte richtete der Hauptgeschäftsführer des Städtetags eine "dringende Bitte": "Bitte prüfen Sie, ihre Praxen auch noch nach 18.00 Uhr, am Samstag und Sonntag und an den Feiertagen offen zu halten", sagte Dedy.

Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern forderte er auf, "unmissverständlich" klarzumachen, dass bei einfachen Erkrankungen die Nummer der ambulanten Notfallversorgung der niedergelassenen Ärzte, die 116117, gewählt werden muss. "Die 112 des örtlichen Rettungsdienstes ist nur in wirklichen Notfällen zu wählen", betonte Dedy. "Rettungswagen und ihr Personal sind zu wichtig für Bagatellunfälle oder einfachen Krankentransport. Ihr Auftrag ist es, Leben zu retten." Auch die Notfallambulanzen dürften nicht durch Menschen mit einfachen Erkältungskrankheiten oder einem verstauchten Fuß "verstopft" werden.

Laut Dedy gibt es derzeit zahlreiche Belastungsanzeigen aus den Städten und kommunalen Kliniken. Viele Besatzungen von Rettungswagen fänden in Notfällen kaum freie Kapazitäten in Krankenhäusern und müssten mehrere Kliniken anfahren. Insbesondere viele Kinderkliniken kämen bei der Versorgung in der aktuellen Infektionswelle an ihre Grenzen, zudem seien bestimmte Medikamente Mangelware. "Das ist besorgniserregend und offenbart auch strukturelle Mängel in unserem Gesundheitssystem", sagte er. "Diese dürfen nicht länger beiseitegeschoben werden." (pcl/fmg/dpa)

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