Moskau. Russlands Präsident hat ein Gesetz unterzeichnet, das die Rechte von LGBTQ-Gruppen noch weiter einschränkt. Wie geht's nun weiter?

Es sei die "völlige Einschränkung der Freiheit" sagt der 40-jährige Alexandr, der in Moskau lebt und im IT-Bereich arbeitet. Nach der Verabschiedung im russischen Parlament hat Präsident Wladimir Putin nun das umstrittene Gesetz unterzeichnet. Jede "LGBTQ-Propaganda" ist ab sofort verboten. Wer gegen das Gesetz verstößt, soll bis zu 200.000 Rubel (knapp 3200 Euro) Strafe zahlen müssen.

Bislang war sogenannte "Homosexuellen-Propaganda" nur gegenüber Minderjährigen verboten. "Jedes Werben für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen wird Konsequenzen haben", erklärte Wjatscheslaw Wolodin, der Vorsitzende des Unterhauses des russischen Parlaments, der Staatsduma. Die LBGTQ-Gemeinde ist in Aufregung. Die englische Abkürzung LGBTQ steht für lesbische, schwule, bisexuelle, trans Menschen sowie queere Menschen.

"Wir werden zu dem kommen, was es in Ländern wie Nordkorea, China und dem Iran gibt", so Alexandr aus Moskau. Er befürchtet hohe Strafen. "Aufgrund meiner Situation, meines Alters und meiner finanziellen Möglichkeiten würde ich dann das Land innerhalb weniger Wochen verlassen."

Russland: Die Gesellschaft ist mehrheitlich homofeindlich

Denis, 42 Jahre alt, ist bereits nach Kasachstan ausgewandert. Als homosexueller Mann fürchtete er besonders, dass er zur Armee eingezogen werden könnte. "Mein Leben ist von diesem Staat zerstört, buchstäblich gebrochen. Ich habe jetzt meinen Lieblingsjob nicht mehr, meine Freunde haben sich getrennt, meine Eltern sind weit weg, und ein geliebter Mensch ist nicht bei mir. Es wird nie wieder so sein, wie es früher war."

Die russische Gesellschaft ist mehrheitlich homofeindlich. Nach wie vor. Homosexualität galt in Russland bis 1993 als Verbrechen. 74 Prozent aller Russen glaubten noch 2011, Homosexualität sei eine Perversion, eine Geisteskrankheit. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Laut einer Umfrage des unabhängigen Lewada-Instituts vom Oktober letzten Jahres sind 69 Prozent aller Russen gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen. Nur 25 Prozent finden diese in Ordnung, gegenseitiges Einverständnis vorausgesetzt.

Russland: Bislang gibt es Clubs und Treffpunkte für Schwule, Lesben und Queere

Maria und Olga, ein lesbisches Paar, haben vor kurzem im Ausland geheiratet. Nach ihrer Hochzeit kehrten sie nach Russland zurück. Doch nur auf Zeit. Irgendwann werden wir unsere Heimat endgültig verlassen, sagt Maria. "Warum sollten wir an einem Ort bleiben, der für uns unsicher ist, wo man keine Rechte hat, wo man sich verstecken muss, wo man keine Kinder haben kann, wo man für gleichgeschlechtliche Beziehungen eine Haftstrafe bekommen kann?"

Dmitry, mit dem Künstlernamen Kamilla Crazy White, zeigt seine Drag-Queen-Show in einem Moskauer Pub.  Das neue Gesetz gegen „LGBTQ-Propanganda“ könnte solche Auftritte künftig verbieten.
Dmitry, mit dem Künstlernamen Kamilla Crazy White, zeigt seine Drag-Queen-Show in einem Moskauer Pub. Das neue Gesetz gegen „LGBTQ-Propanganda“ könnte solche Auftritte künftig verbieten. © AFP | ALEXANDER NEMENOV

Seit langem leben Maria und Olga zusammen, haben gute Jobs, teilen sich eine Wohnung in Moskau. Im Alltag funktioniert das, in Großstädten wie Moskau und Sankt Petersburg findet sich eine große LBGTQ+-Szene. Bislang gibt es Clubs und Treffpunkte für Schwule, Lesben und Queere. Doch staatlichen Anerkennung und Schutz genießen diese Menschen nicht. Sie haben viele Nachteile, dürfen nicht heiraten und auch nicht gemeinsam Kinder adoptieren.

Homofeindlichkeit: Jede Werbung kann gefährlich werden

Das neue Gesetz soll für Medien, Literatur, Kino und Werbung gelten. Nach Duma-Angaben werden Webseiten mit verbotenen Informationen gesperrt. "Filme, die derartige Beziehungen bewerben, werden kein Vertriebszertifikat bekommen." Unternehmen der russischen Filmproduktion und Buchverlage hatten sich vor der Verabschiedung des Gesetzes besorgt gezeigt. Es könne sogar zum Verbot von russischen Klassikern wie etwa Vladimir Nabokovs Roman "Lolita" führen.

Aktivistinnen und Aktivisten der LBGTQ+-Community in Russland sind entsetzt. Clubs und Treffpunkte werden abtauchen, befürchten sie, jede Werbung könnte gefährlich sein. Durch das neue Gesetz könnte jeder Internet-Auftritte, jede Publikation unter Strafe gestellt werden. Auch Bücher, in denen es um homosexuelle Beziehungen geht, könnten verboten werden, so Befürchtungen aus der russischen Literatur-Szene. Die in Russland blockierte Internet-Plattform "Meduza" zitiert Igor Alyukow, den Chefredakteur des Verlages Phantom Press. "In modernen Büchern, wie auch im Leben, sind Fragen der Homosexualität längst alltäglich geworden", bemerkt er.

Russland: Gesetz ist offen formuliert und kann breit angewendet werden

Im Umgang mit Kindern und Jugendlichen wurde der Verbotskatalog nun auch noch einmal deutlich erweitert: So dürfen an Minderjährige keinerlei Informationen über Geschlechtsangleichungen weitergegeben werden, die sie nach Meinung der Gesetzesgeber zu einem solchen Schritt ermutigen könnten. Aktivisten haben bereits vor Monaten vor der nun eingetretenen Gesetzesverschärfung gewarnt und befürchten eine noch stärkere Diskriminierung von homosexuellen und queeren Menschen in Russland.

Weil das Gesetz so offen formuliert ist, könnte es theoretisch auf alle möglichen Handlungen angewendet werden, erklärt der Jurist Wladimir Komow von der Organisation "Delo-LGBT+" – ob auf schwule und lesbische Liebesgeschichten in Kinofilmen oder auf Fotos in sozialen Netzwerken. Er geht davon aus, dass vor allem in der ersten Zeit in hoher Anzahl Privatpersonen verurteilt werden, um ein Exempel zu statuieren.

Konsequenzen für ihn als Homosexuellen befürchtet auch Wladimir, ein 36-jähriger Rechtsanwalt aus Sankt Petersburg. "Meiner Meinung nach ist in diesem Gesetz nicht ganz klar geregelt, wer und was wem verboten wird. Selbst wenn Sie sich einige sowjetische Filme ansehen, sogar über die Kriegszeit, wo Männer sich umarmen und küssen, fallen sie auch unter das Gesetz, obwohl diese Filme von den Russen heiß geliebt werden."

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.