Berlin. Große Sorge in Europa über ein neues US-Gesetz: Unternehmen unter Druck, Investoren mit Abwanderungsplänen. Die EU muss reagieren.

Europa und die USA steuern auf einen schweren Wirtschafts- und Handelskonflikt zu. In der Europäischen Union schwindet die Hoffnung, dass die US-Regierung ein umstrittenes Subventionsgesetz mit Milliardenhilfen für amerikanische Produzenten noch wesentlich korrigieren wird. Damit steht die EU unter Druck, heimische Unternehmen vor bedrohlichen Wettbewerbsnachteilen gegenüber der US-Konkurrenz zu schützen und Investitionsverlagerungen nach Amerika zu verhindern. Die Ankündigung des Elektro-Autobauers Tesla, wegen der neuen US-Subventionen Pläne für den Bau einer Batteriefabrik im brandenburgischen Grünheide zu überdenken, gilt nicht nur in Berlin als Alarmsignal - die Furcht vor einer „Deindustrialisierung“ Europas geht um.

Dabei hatte es zuletzt noch positive Signale gegeben. Als sich Mitte voriger Woche Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim Besuch in Washington zornig über die „super aggressiven“ US-Subventionen beschwerte und vor einer Spaltung des Westens warnte, beruhigte US-Präsident Joe Biden: Er wolle Jobs in den USA schaffen, „aber nicht auf Kosten Europas“. Das umstrittene Inflationsreduzierungsgesetz (IRA) habe wohl einige Mängel und könne „optimiert“ werden, räumte Biden ein. Doch das war offenbar ein leeres Versprechen. Stattdessen droht ein Handelskrieg, wie etwa Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) warnt.

Milliardenschwere Klimaschutzpaket der USA: Darum ist Europa so besorgt

Das bereits beschlossene Gesetz sieht Investitionen von rund 410 Milliarden Euro vor, davon rund 300 Milliarden für Klimaschutz und Energiesicherheit – etwa durch Steuersenkungen für Unternehmen, die in saubere Energie investieren. Vorgesehen sind Subventionen zum Beispiel für Elektroautos, Batterien und Projekte zu erneuerbaren Energien – wenn sie vollständig in den USA hergestellt wurden. So erhalten Käufer eines Elektroautos „Made in USA“ mit einer ebenfalls in den USA hergestellten Batterie einen Zuschuss von 7500 Dollar. Subventionen fließen auch an Unternehmen, die Windräder oder Solaranlagen mit US-Stahl herstellen.

Die Europäer sind alarmiert: Sie müssen künftig bei strategischen Zukunftsbranchen nicht nur gegen eine hoch subventionierte US-Konkurrenz kämpfen, auch Industriekooperation mit amerikanischen Unternehmen könnte es an den Kragen gehen. Besonders betroffen sind die Autoindustrie und Batterieproduzenten. Nicht nur Tesla überlegt, Investitionen in die USA umzulenken. „Die Subventionen, die Washington für die heimische Industrie ausschüttet, verzerren den Wettbewerb auf gefährliche Weise“, sagte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton jetzt unserer Redaktion.

Der drohende Handelskrieg ist nur kurz Thema beim Mittagessen

Mit Spannung erwarteten Breton und seine Kommissionskollegen deshalb eine Tagung des gemeinsamen Handels- und Technologierats von EU und USA, bei der am Montag in Washington auf hoher Ebene Lösungen für die europäischen Beschwerden geprüft werden sollten. Doch die sind nicht in Sicht. Breton sagte seine Teilnahme an dem Treffen kurzfristig ab, als sich herausstellte, dass das umstrittene Gesetz nicht mehr wichtiger Tagesordnungspunkt sein würde, sondern während eines 45-minütigen Mittagessens erörtert wird; die beiden Kommissions-Vizepräsidenten Margrethe Vestager und Valdis Dombrovskis nehmen trotzdem teil, sie werden mehr über den Ukraine-Krieg sprechen. Dass die USA auf die Forderung der EU eingehen, auch europäischen Industriebranchen Ausnahmen einzuräumen wie jetzt schon Mexiko und Kanada, zeichnet sich bisher nicht ab. Die Vorarbeiten einer Task-Force von Beamten aus Washington und Brüssel seien sehr überschaubar, heißt es.

Beim Besuch von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (links) in Washington gab sich US-Präsident Joe Biden vergangene Woche noch kompromissbereit nach Kritik am umstrittenen Subventionsgesetz zugunsten von US-Produzenten. Doch nach Einschätzung von Experten in Brüssel hat Biden nicht die Absicht, das Gesetz zu ändern - ein Handelskonflikt scheint kaum noch abwendbar.
Beim Besuch von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (links) in Washington gab sich US-Präsident Joe Biden vergangene Woche noch kompromissbereit nach Kritik am umstrittenen Subventionsgesetz zugunsten von US-Produzenten. Doch nach Einschätzung von Experten in Brüssel hat Biden nicht die Absicht, das Gesetz zu ändern - ein Handelskonflikt scheint kaum noch abwendbar. © AFP | JIM WATSON

Der Chef des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange, sagte unserer Redaktion: „Ich gehe davon aus, dass in den Gesprächen noch einige kleine Änderungen für die Umsetzung des IRA vereinbart werden können. Aber ich glaube nicht, dass sich substanziell noch viel ändert, denn das Gesetz ist ja bereits beschlossen.“ So sei zum Beispiel im Gespräch, bei den Rohstoff-Vorschriften für die Batterieherstellung Übergangsfristen festzuschreiben. In der Umsetzungsverordnung, die die US-Seite derzeit erarbeitet, seien solche kleinen Lockerungen möglich. Aber: „Die Grundstruktur des IRA wird bleiben.“

Drohender Handelskrieg mit den USA: Das sind die Optionen der EU

Die EU steht unter Zugzwang, das US-Gesetz tritt am 1. Januar in Kraft. Bis dahin müssen die EU-Staaten eine gemeinsame Linie gefunden haben. Frankreich droht bereits offen mit einem Handelskrieg und wirbt für einen harten Konter: Die EU solle ihrerseits einen protektionistischen Kurs einschlagen und mit einer Initiative „Buy European“ antworten. Dagegen gibt es aber Bedenken auch in Berlin. Leichter einigen dürfte sich die EU auf mehr staatliche Subventionen für Investitionen in Klimaschutz und Energiesicherheit, wie sie sogar Biden den Europäern empfiehlt. Die EU-Kommission will noch vor Weihnachten einen milliardenschweren „Souveränitäts-Fonds“ vorschlagen, der in strategisch wichtigen Branchen Innovationen fördern soll.

EU-Handelsexperte Lange plädiert dafür, auch eine Senkung der Energiepreise für die Industrie zu prüfen, denn die seien im Moment bis zu zehnmal so hoch wie in den USA. Zugleich fordert Lange, die EU müsse zügig in den nächsten Monaten eine Klage bei der WTO gegen den US-Kurs anstrengen. „Damit werden wir Klarheit bekommen, dass das Vorgehen der USA eindeutig nicht kompatibel mit den WTO-Vorschriften ist.“ Noch zögert die Kommission mit einem solchen Schritt.

Aber auch der wirtschaftspolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Markus Ferber, plädiert für einen harten Kurs: Wenn die US-Seite jetzt nicht einlenke, müsse die EU-Kommission „alle Folterinstrumente auf den Tisch legen“ und über die Aktivierung der Handelsschutzinstrumente nachdenken, sagte Ferber unserer Redaktion. „Das wäre sicherlich die nukleare Option und in der derzeitigen Lage alles andere als wünschenswert.“ Doch die Enttäuschung über den protektionistischen Kurs von US-Präsident Joe Biden sei groß, meint Ferber: „Das amerikanische Anti-Inflationsgesetz droht eine schwierige wirtschaftliche Lage in Europa noch deutlich zu verschlimmern.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de