Istanbul. Schwieriger Besuch: In der Türkei will die Innenministerin über Migration sprechen. Doch dort steht das Thema Terror auf der Agenda.

Der Terroranschlag in Istanbul, bei dem vor einer Woche sechs Menschen getötet wurden, überschattet den Besuch von Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Ankara. Mit ihrem türkischen Amtskollegen Süleyman Soylu will Faeser unter anderem über Migration reden. Aber die türkische Seite wird vor allem das Terror-Thema in den Fokus nehmen.

„Es ist Zeit für die Abrechnung, die Schurken werden zur Rechenschaft gezogen“ twitterte das türkische Verteidigungsministerium in der Nacht zum Sonntag. Damit begann die „Operation Klauenschwert“. Türkische Kampfflugzeuge bombardierten mutmaßliche Verstecke der kurdischen Terrororganisation PKK im Nordirak und Stellungen ihres syrischen Ablegers, der Kurdenmiliz YPG, in Nordsyrien.

Damit übt die Türkei Vergeltung für den Bombenanschlag von Istanbul, der nach offizieller Darstellung auf das Konto der YPG gehen soll. Das türkische Verteidigungsministerium berief sich auf das Recht zur Selbstverteidigung nach der Uno-Charta. Völkerrechtler halten allerdings die Operationen in Nordsyrien, wo die Türkei bereits seit 2016 große Gebiete militärisch besetzt hält, für rechtswidrig.

55 Deutsche sitzen in der Türkei im Knast

Vor diesem Hintergrund bekommt der Türkei-Besuch der Bundesinnenministerin an diesem Montag und Dienstag besondere Bedeutung. In Ankara trifft Faeser ihren Kollegen Soylu. Aus deutscher Sicht steht das Thema Migration ganz oben auf der Tagesordnung. Die Zahl der Asylbewerber, die aus der Türkei über Griechenland und den Balkan nach Deutschland kommen, steigt wieder an. Im Flüchtlingsdeal mit der EU hatte sich die Türkei zwar 2016 verpflichtet, die irreguläre Migration in die EU zu unterbinden und Migranten zurückzunehmen. Aber sie setzt diese Zusage nicht um.

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Ein weiterer Punkt, der auf dem Sprechzettel der SPD-Politikerin stehen dürfte, sind die in der Türkei festgehaltenen deutschen Staatsbürger. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes saßen Mitte dieses Jahres 55 Bundesbürger in türkischer Haft. Weitere 27 können die Türkei aufgrund von Ausreisesperren nicht verlassen. In der Mehrzahl der Fälle geht es um politische Vergehen, darunter auch „Präsidentenbeleidigung“.

Erdogan: Schwerer Vorwurf an die EU und die USA

Innenminister Soylu dürfte sich nicht lange bei diesen Themen aufhalten. Für ihn geht es vor allem um die Terrorbekämpfung. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hatte anlässlich des Anschlags von Istanbul die USA und EU-Staaten beschuldigt, sie gewährten „Terroristen“ Unterschlupf. Dazu zählen nach seinem Verständnis nicht nur PKK-Extremisten, sondern auch Oppositionelle, wie Anhänger der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, den Erdogan für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich macht. Gülen bestreitet jede Beteiligung.

Die Türkei fordert auch die Überstellung des regimekritischen Journalisten Can Dündar, der in Deutschland im Exil lebt. Erdogan ließ schon bei seinem Besuch in Berlin im September 2018 der damaligen Kanzlerin Angela Merkel eine Liste mit den Namen von 69 Personen übergeben, deren Auslieferung die Türkei von Deutschland fordert, darunter Dündar.

Anschlag in Istanbul: Ungereimtheiten bei der Aufklärung

Innenminister Soylu gilt als Hardliner, der sich seit geraumer Zeit als möglicher Nachfolger Erdogans profiliert und bei vielen Themen einen noch härteren Kurs steuert als dieser. Er dürfte gegenüber Faeser das Thema der Auslieferungen unter Hinweis auf den Istanbuler Anschlag mit großem Nachdruck ansprechen.

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Was die Aufklärung des Attentats angeht, gibt es allerdings immer mehr Ungereimtheiten. Die Polizei nahm zwar schon zehn Stunden nach der Explosion die mutmaßliche Täterin fest, angeblich eine Syrerin. Sie soll gestanden haben. Zu überprüfen ist das aber nicht, weil die Ermittler der Frau bisher keinen Kontakt zu einem Anwalt ermöglichen. Ausländische Terrorismusexperten sind skeptisch: Es sei höchst unwahrscheinlich, dass eine kurdische Terrororganisation einer Araberin rekrutiert.

Der in Südafrika lebende türkische Journalist Türkmen Terzi hält es denn auch für möglich, dass die Attentäter in türkischen Geheimdienstkreisen zu suchen sind. Wer auch immer die Bombe gelegt hat: Der Anschlag spielt Erdogan in die Hände, weil er ihm den Anlass für die neuen Militäroperationen in Syrien und dem Nordirak liefert.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.