Rukla. Mit einer Kampfbrigade und Initiative zur Luftverteidigung für die Nato-Ostflanke will Deutschland Verantwortung für Europa übernehmen.

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht ließ kürzlich aufhorchen. In einer Grundsatzrede definierte die Sozialdemokratin Deutschland als „Führungsmacht“. Ausdrücklich fügte Lambrecht hinzu: „Auch im Militärischen.“ Und das mitten in dem gefährlichsten Konflikt seit Jahrzehnten auf dem Kontinent. Während sich knapp die Hälfte der Deutschen wünscht, Deutschland solle gegenüber Russland mehr Härte zeigen, fordert in einer aktuellen Umfrage knapp die andere Hälfte mehr Zurückhaltung, um Kreml-Herrscher Wladimir Putin nicht zu provozieren.

Ausgerechnet Deutschland als militärische Führungsmacht? Angesichts etwa der Weigerung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die Ukraine mit modernen Kampf- und Schützenpanzern westlicher Produktion zu unterstützen, schütteln manche Vertreter der Ampel-Koalition aus den Reihen von FDP und Grünen über diesen Anspruch nur den Kopf. Die Sozialdemokraten um Scholz und Lambrecht hingegen sind der Ansicht, dass Deutschland diese Rolle bereits angenommen hat. Zum Beispiel in Litauen.

Litauen: Bundesverteidigungsministerin besucht Truppe

Ein deutscher Radpanzer Boxer prescht durch den litauischen Sand und kommt den Kameraden zur Verstärkung. Verwundete haben sich in ein herbstlich belaubtes Birkenwäldchen zurückgezogen. Der Rauch des Gefechts liegt in der Luft. Zusammen mit einer litauischen Aufklärungseinheit befreien die Soldaten der Bundeswehr ein Flugfeld von den feindlichen Truppen. So das Szenario der gemeinsamen Übung, das Lambrecht am Samstag auf dem Truppenübungsplatz Gaiziunai beobachtet.

Die Verteidigungsministerin ist für die Indienststellung einen neuen dauerhaften Brigadegefechtsstands der Bundeswehr nach Litauen gekommen. Vor Lambrechts Augen läuft die erste deutsch-litauische Truppenübung unter Führung der neuen Kommandoeinheit ab. Im Beisein des litauischen Verteidigungsministers Arvydas Anušauskas versichert Lambrecht: „Die Sicherheit Litauens ist die Sicherheit Deutschlands.“ Die neue Kampfbrigade soll ein praktisches Bekenntnis von Scholz und Lambrecht zu deutschen Führungsverantwortung für Europas Sicherheit und die Partnerländer im Osten sein.

Nato-Ostflanke: Bundesregierung stäkt die deutsche Präsenz

Litauen ist ebenso wie Estland und Lettland eine frühere Sowjetrepublik, in den drei Baltenstaaten ist die Furcht vor einem russischen Angriff nicht erst seit Beginn des Krieges in der Ukraine groß. Litauen grenzt an die russische Ostsee-Exklave Kaliningrad sowie an Russlands Verbündeten Belarus. Seit 2017 beherbergt Litauen ein von Deutschland geführtes Nato-Bataillons mit derzeit etwa 1600 Soldaten. Davon gehören mehr als die Hälfte der Bundeswehr an.

Mit Putins Angriff auf die Ukraine stärkte die Bundesregierung schnell die deutsche Präsenz an der Nato-Ostflanke. Ein weiterer Schritt kam im Sommer: „Wir werden jeden Zentimeter des Nato-Territoriums gemeinsam mit unseren Verbündeten verteidigen, wenn sie angegriffen werden“, versprach Scholz bei einem Besuch in Litauen Anfang Juni und kündigte den Aufbau einer „robusten Kampfbrigade“ mit 3000 bis 5000 Soldaten an. Der neue Gefechtsstand ist inzwischen an dem Stützpunkt Rukla stationiert, er wird im Nato-Jargon als Forward Command Element (FCE) bezeichnet.

Das Konzept sieht vor, Waffen, Munition und den bis zu 50-köpfigen Führungsstab in Litauen zu stationieren. Zeitweise sollen immer wieder Teile der Brigade vor Ort sein, der Rest der Soldaten der Panzergrenadierbrigade 41 „Vorpommern“ hält sich in Deutschland bereit. Sie sollen im Ernstfall mit ihrem Gerät innerhalb von zehn Tagen dorthin verlegt werden können sollen, um an der Seite der Litauer zu stehen. Die von Lambrecht besuchte Übung dienst dazu, für solche Krisensituationen zu trainieren.

Litauen baut derzeit die Infrastruktur am Standort Rukla aus, um mehr Truppen und Gerät befreundeter Nationen unterbringen zu können. „Wir müssen beginnen so zu denken, als ob wir selbst im Krieg wären“, sagt Anušauskas. „Die ständige Präsenz von Deutschland und anderen Nato-Bündnispartnern ist die wichtigste Garantie für unsere Sicherheit“, fügt der litauische Verteidigungsminister hinzu und lobt ausdrücklich die „Führungsrolle“ Deutschlands.

Deutschland will europäisches Luftverteidigungssystem aufbauen

Der Kanzler und seine Ministerin werden diese Worte gerne hören. Im Zusammenhang mit den Waffenlieferungen an die Ukraine stand die Bundesregierung auch in den baltischen Staaten als zu zögerlich am Pranger. Doch derzeit scheint sich Deutschland neues Vertrauen zu erarbeiten.

Dazu trägt auch eine andere Initiative bei, mit der Scholz und Lambrecht Deutschlands Agieren als Führungsmacht unterstreichen wollen. Deutschland will ein europäisches Luftverteidigungssystem aufbauen. Scholz hatte Ende August in einer Grundsatzrede in Prag „erhebliche“ Investitionen in die Luftverteidigung angekündigt und europäische Nachbarn eingeladen, sich zu beteiligen. Ausdrücklich nannte der Scholz „Polen, Balten, Niederländer, Tschechen, Slowaken oder unsere skandinavischen Partner“.

Bei Lambrechts Besuch kündigt Anušauskas nun an: „Wir werden uns an der Initiative aktiv beteiligen.“ Mit dem Wunsch ist Litauen nicht allein. „Es freut mich sehr, dass Litauen mit dabei ist“, sagt Lambrecht. „Weitere Staaten haben zugesagt, dass sie Interesse daran haben.“ Es sei ein wichtiges Zeichen, dass diese Lücke in der Nato-Verteidigung gemeinsam geschlossen werden solle, betont die Ministerin.

podcast-image

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.