Berlin. Sabotage oder Unfall? In den Gasleitungen von Nord Stream 1 und 2 sind mehrere Lecks aufgetreten. Die Suche nach den Ursachen läuft.

Sabotage oder Unfall? In den Gasleitungen von Nord Stream 1 und 2 sind mehrere Lecks aufgetreten. Die Suche nach den Ursachen läuft. Eine Spurensuche unter Experten.

Nord Stream 1 und 2: Was ist in den Gasleitungen passiert?

In den Pipelines Nord Stream 1 und 2 wurde in der Nacht zu Montag ein "starker Druckabfall" verzeichnet. Laut dänischer Sicherheitsbehörden wurden drei Lecks in den mehr als 1000 Kilometer langen Leitungen bei der Ostseeinsel Bornholm entdeckt. Zwei davon an Nord Stream 1, eines an Nord Stream 2 – die in dänischen und schwedischen Hoheitsgewässern liegen. Die Leitungen befinden sich in einer Tiefe von rund 88 Meter, so das Bergamt Stralsund. Dänemark sperrte die betroffenen Regionen für die Schifffahrt ab.

Wie sicher sind die Gasleitungen von Nord Stream?

Die Stahlrohre gelten als sehr solide konstruiert. "So wären Korrosionsschäden in den nächsten Jahrzehnten nicht zu erwarten", sagt der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Sascha Müller-Kraenner, unserer Redaktion. In Küstennähe seien die Rohre noch zusätzlich durch Geröll abgeschirmt, um Schäden durch Anker oder Schiffskollisionen zu vermeiden. "Einen technischen Defekt halte ich deshalb als Ursache für das Leck für sehr unwahrscheinlich", sagt der DUH-Chef.

Bruch in Gasleitung: Welches sind die Ursachen für die Lecks?

Es spreche vieles für Sabotage, heißt es in Sicherheitskreisen. Der Druckabfall dürfte eine Folge von Lecks sein, die so groß sind, dass man von einer gewaltsamen Störung ausgehen muss – gerade bei Nord Stream 2. Denn die Pipeline ist neu und wurde nie in Betrieb genommen.

Schon der Zeitpunkt und die Parallelität der Ereignisse an beiden Pipelines nähert den Verdacht der Sabotage. Dazu wäre am ehesten ein staatlicher Akteur fähig. Denn diese Art der Störung setzt viel Wissen voraus und ist technisch aufwendig, womöglich sogar eine Unterstützung durch ein U-Boot.

Laut Bundesnetzagentur und Bundeswirtschaftsministerium sei die Ursache derzeit unklar. Man stehe in engem Austausch zu den Sicherheitsbehörden. "Es ist nahezu ausgeschlossen, dass es sich bei drei Löchern in zwei unterschiedlichen Pipelines binnen 24 Stunden um Zufall handelt", sagte Energieökonom Lion Hirth, Professor an der Berliner Hertie School, unserer Redaktion.

Sabotage? Wer könnte hinter einem Anschlag stecken?

Polen traut Kremlchef Wladimir Putin auch eine Operation unter falscher Flagge zu. Vize-Außenminister Marcin Przydacz sagte am Dienstag in Warschau, "leider verfolgt unser östlicher Nachbar ständig eine aggressive Politik." Es könnten "keine Provokationen" ausgeschlossen werden, auch nicht in den Pipeline-Abschnitten in Westeuropa.

Der Kreml selbst kündigte Untersuchungen an, schloss seinerseits Sabotage oder gezielte Anschläge aber nicht aus – allerdings von europäischen Staaten. "Dies ist eine noch nie dagewesene Situation, die dringend untersucht werden muss", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. "Jetzt kann keine Variante ausgeschlossen werden."

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Spekuliert wurde auch darüber, ob ukrainische Kräfte hinter den Lecks stecken könnten – oder ob Russland eine mögliche Sabotage der Ukraine in die Schuhe schieben wolle. Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak schrieb am Dienstag auf Twitter: "Das großflächige ‘Gasleck’ an Nord Stream 1 ist nichts anderes als ein von Russland geplanter Terroranschlag und ein Akt der Aggression gegenüber der EU."

Eine weitere Spekulation: Eine Sabotage könnte Unsicherheit an den Energiemärkten schüren und den Gaspreis nach oben treiben. Tatsächlich stieg der Gaspreis am niederländischen Referenzmarkt TTF um mehr als 10 Prozent – in der Vergangenheit fielen die Preissprünge aber deutlich höher aus, etwa als Russland seine Lieferungen durch Nord Stream 1 gedrosselt hatte.

Was heißen die Lecks für die kritische Infrastruktur?

"Offenbar ist irgendjemand bereit, Energieinfrastruktur zu zerstören. Wenn jemand diese Pipelines beschädigen kann, wer sagt dann, dass nicht auch andere kritische Unterwasserstruktur, etwa Kabelverbindungen, Flüssiggas-Terminals oder Förderanlagen, beschädigt werden können", fragt Energieökonom Hirth. Auffällig sei auch der Zeitpunkt: Am Dienstag eröffneten Norwegen, Dänemark und Polen die "Baltic Pipeline", die Gas von Norwegen nach Polen transportieren und Europa einen Schritt unabhängiger von Russland machen soll. "Würde die Baltic Pipeline beschädigt werden, würde das unsere Energieversorgung massiv treffen. Unsere Energieversorgung ist auf Kante genäht", warnt Hirth. Umso überraschter sei er, dass der Gaspreis an der Börse nicht wirklich stark ausgeschlagen sei.

Pipeline beschädigt: Was muss jetzt getan werden?

"Das Gas muss schnellstmöglich aus den Pipelines vollständig entfernt werden", sagt der DUH-Chef. Das sei in zwei Richtungen möglich – über die Russland in St. Petersburg und über die deutsche Seite in Lubmin. Da das Gas Russland gehört, stehe die russische Seite eigentlich in der Pflicht. "Hier kann man nur hoffen, dass Gazprom hier verantwortungsbewusst handelt. Denn an gefüllten Pipelines können auch keine Schweißarbeiten ausgeführt werden", so Mueller-Kraennert.

Energieversorgung in Deutschland gefährdet?

"Beide Pipelines sind derzeit außer Betrieb. Es tritt also lediglich Restgas aus. Einen unmittelbaren Einfluss auf unsere Energieversorgung hat das noch nicht", sagt Hirth. Die Gas-Speicher sind laut Bundesnetzagentur bereits zu 91 Prozent gefüllt. Trotz Lieferausfälle durch Russland erfolgte die Befüllung deutlich schneller als erwartet.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.