Berlin. Die Ukraine erzielt Erfolge gegen russische Truppen. Und die Rufe nach Panzern aus Deutschland werden lauter. Doch der Kanzler zögert.

„Keine deutschen Alleingänge“ – so lautet seit Wochen die Antwort von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), wenn er nach den Bitten der Ukraine um die Lieferung westlicher Kampf- und Schützenpanzer gefragt wird. Nur in enger Abstimmung mit den Partnern und hier in erster Linie mit den USA könne ein solcher Schritt entschieden werden, argumentiert die Bundesregierung.

Doch der Druck auf die Bundesregierung zur Ausweitung ihrer militärischen Unterstützung der Ukraine nimmt zu – auch und gerade jetzt, wo die ukrainische Armee Landgewinne gegen die russischen Truppen verbucht.

Ukraine: US-Botschafterin fordert „größere Führungsrolle“ von Deutschland

FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und der Grüne Anton Hofreiter fordern die Ausweitung der deutschen Waffenlieferungen auf Leopard 2 Kampfpanzer – ein Waffensystem, das die Ukraine nun beim Vormarsch benötigen könne.

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Die Befürworter einer offensiveren Politik sahen sich am Dienstag in ihrem Drängen von US-Seite unterstützt. Auf Twitter wies die US-Vertretung in Berlin noch einmal auf ein TV-Interview von Botschafterin Amy Gutmann hin, die sich am Sonntag eine „größere Führungsrolle“ von Deutschland gewünscht und gefordert hatte: „Wir müssen alles machen, wozu wir in der Lage sind.“ Dazu ergänzte die US-Botschaft nun: „Die Entscheidung über die Art der Hilfen liegt letztlich bei jedem Land selbst.“

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„Unsere Partner selbst geben uns grünes Licht, endlich selbst voranzugehen“

Strack-Zimmermann folgerte daraus: „Unsere Partner selbst geben uns grünes Licht, endlich selbst voranzugehen.“ In SPD-Kreisen wurde die Stellungnahme jedoch genau umgekehrt gedeutet, die USA drängten Deutschland gerade nicht zur Ausweitung seiner Waffenlieferungen. Fakt ist: Gerade die osteuropäischen Staaten wie Polen und Tschechien liefern Panzer an den Nachbar – allerdings bisher keine Nato-Kampfpanzer westlicher Bauart. Und auch die USA schicken zwar Kampfgeräte im Wert von 25 Milliarden Euro, allerdings ebenfalls keine Kampfpanzer.

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In der SPD sind manche es daher leid, von FDP und Grünen als Bremser dargestellt zu werden. Zumal aus Sicht der Sozialdemokraten auch andere Gründe der Lieferung westlicher Panzer entgegenstehen. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) fürchtet um die Einsatzbereitschaft der Truppe, wenn diese zu viel Material abgibt, und verweist auf Nato-Verpflichtungen. Der Generalsekretär der Allianz, Jens Stoltenberg, machte vor wenigen Tagen jedoch deutlich, dass er eine Niederlage der Ukraine für gefährlicher hält als unter Plan gefüllte Waffenlager in Nato-Staaten.

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„Deutschland könnte Dutzende Kampfpanzer bis Ende des Jahres liefern“

Hinzu kommt, dass die Rüstungsindustrie bereitsteht, die Ukraine mit schwerem Gerät zu beliefern. So hat der Rüstungskonzern Rheinmetall 16 von der Bundeswehr ausgemusterte Marder-Schützenpanzer weitestgehend wiederhergestellt. Die Marder seien auslieferfähig, teilte das Unternehmen am Dienstag dem NDR und dem ARD-Hauptstadtstudio mit. Doch bislang gebe es keine Ausfuhrgenehmigung durch die Bundesregierung. 70 weitere Fahrzeuge aus Altbeständen könnten wieder nutzbar gemacht werden.

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Der Militärexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations (ECFR) hebt hervor: „Deutschland könnte Dutzende Kampfpanzer bis Ende des Jahres liefern. Durch Reparatur und Instandsetzung könnten es noch einmal viel mehr sein.“ Gressel erklärt das „Zögern“ so: „Es ist die Angst von Scholz vor dem Bild des deutschen Panzers in Osteuropa. Es ist eine psychologische Hemmschwelle, die er nicht überwindet.“

Russische Einheiten hinterlassen bei ihrem Rückzug in der Ukraine ein chaotisches Bild.
Russische Einheiten hinterlassen bei ihrem Rückzug in der Ukraine ein chaotisches Bild. © AFP | JUAN BARRETO

Der Kanzler sprach in den vergangenen Monaten mehrfach von der Sorge, „dass sich der Krieg ausweitet, dass der Frieden auch bei uns in Gefahr geraten könnte“. Als einen seiner Grundsätze benannte Scholz: „Wir werden keine Entscheidung treffen, die die Nato Kriegspartei werden lässt.“

„Rote Linie überschritten“ – der russische Botschafter in Berlin droht

Mehrere Spitzenpolitiker, die Scholz nahestehen, sehen genau diese Sorge als eine der Leitlinien der Politik des Kanzlers. Man könne bei Putin nie ausschließen, dass die Lage eskaliere, sagt einer, der Scholz lange kennt. Zumal die Informationskanäle nach Moskau schwinden, die Botschaft dezimiert ist, Stiftungen schließen mussten.

Den Kanzler treibt also die Sorge um, dass der mit Atomwaffen ausgerüstete russische Machthaber Wladimir Putin die Unterstützung der Ukraine ab einem bestimmten Punkt als Anlass für einen Angriff auf Nato-Partner oder sogar Deutschland nehmen könnte. Der russische Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, drohte zu Wochenbeginn in einer russischen Zeitung bereits, die Lieferung „tödlicher Waffen“ an die Ukraine sei eine „rote Linie“, die die deutsche Regierung nicht hätte überschreiten dürfen.

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Militärexperte Gressel: „Ein Kampfpanzer wird keinen dritten Weltkrieg auslösen“

Es mangele nicht an Solidarität mit der Ukraine, sagte nun Generalsekretär Kevin Kühnert. Aber Deutschland wolle nicht „schleichend hineingezogen werden“ in den Krieg oder Russland dazu animieren, „völlig irrational am Ende zu handeln und noch ganz andere Staaten anzugreifen“.

Militärexperte Gressel sieht keine Eskalation durch weitere Waffenlieferung. Die Bundesregierung habe längst diesen Weg eingeschlagen. Laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft hat Berlin militärische Zusagen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro gemacht – und ist hinter den USA und Großbritannien der drittgrößte nationale Geber. „Ein Kampfpanzer wird keinen dritten Weltkrieg auslösen. Putin wird nicht die Nato-Staaten angreifen, er ist nicht einmal in der Lage, die zentralen Stellungen in der Ukraine zu halten“, sagt Gressel.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.