Putlos. In Schleswig-Holstein bildet ein deutscher Rüstungskonzern ukrainische Bäcker und Zahnärzte am Panzer aus. Dafür wirbt auch Scholz.

Als Olaf Scholz mit etwas zittrigen Knien auf das gut drei Meter hohe Dach des Panzers klettert und in der schmalen Lucke aus dickem Stahl verschwindet, hocken rund zwei Kilometer entfernt im Gelände gerade einige Ukrainer genauso wie der Bundeskanzler in einem Flugabwehrpanzer des Typs „Gepard“ und schießen mit Übungsmunition auf einen schwarzen Sack hoch im Himmel über der ostholsteinischen Ostsee. Vielleicht ist es ein Soldat der ukrainischen Streitkräfte. Vielleicht auch ein Ukrainer, der vor dem russischen Angriffskrieg noch ein Leben als Bäcker, Zahnarzt oder Lastwagenfahrer hatte.

Jetzt lernen sie auf dem Truppenübungsplatz der Bundeswehr in sechs Wochen, wie sie einen Flugabwehrpanzer fahren, wie sie feindliche Flieger abschießen. Ein Crashkurs für den Krieg. Die Männer, so heißt es, hätten sich freiwillig in der Ukraine gemeldet zum Kriegsdienst. Das Verteidigungsministerium in Kiew schickt sie nach Deutschland. Das deutsche Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann (KMW) bildet die Ukrainer aus, die Bundeswehr stellt den Übungsplatz und die Logistik. Die Bundesregierung finanziert alles.

„Gepard“-Panzer: Auf diese Eigenschaft hofft die Ukraine

Die Ukraine konnte den russischen Angriff bisher so gut verteidigen, weil sie Waffen und Munition aus dem Westen erhält. Vor allem mit Präzisionswaffen wie Drohnen zerstört die Armee russische Stellungen. Der „Gepard“ ist spezialisiert auf die Abwehr von Kampfhubschraubern und feindlichen Fliegern – er soll in der Ukraine weiter verhindern, dass die russische Armee die Kontrolle über den Luftraum gewinnt.

Vor allem die USA und Großbritannien sowie Polen liefern Waffen an die Ukraine. Aber auch Deutschland hat Zusagen gemacht. Fliegerabwehrraketen, Panzerhaubitzen, gut 20 Millionen Schuss Munition für Pistolen und Gewehre und einiges mehr. Mittlerweile sind nach Angaben der Bundesregierung auch 15 Panzer vom Typ „Gepard“ in der Ukraine. 15 weitere will KMW zeitnah ausliefern.

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Doch was nutzt ein Panzer, wenn ihn niemand bedienen kann. Also bildet Deutschland aus. Genauer: der Rüstungskonzern KMW. Mehrere Mitarbeiter sind an diesem Tag auf den Truppenübungsplatz in Schleswig-Holstein gereist. Auch der Vorstand der deutsch-französischen Mutterfirma ist da. Der Kanzler kommt – beste Werbung.

Im Hubschrauber der Luftwaffe fliegt Scholz am Donnerstagmittag an, spricht mit den Rüstungsbauern, die ihn in ein Militärzelt mit KMW-Banner einladen. Danach steigt Scholz noch in einen „Gepard“, bereitgestellt für ein Foto-Shooting. Einige Minuten verschwindet er mit einem Techniker in der Lucke. Es ist ein Symbolbild zu einer Geste, die der Kanzler nun noch einmal bekräftigt: Wir helfen der Ukraine mit schweren Kriegsgerät, wir sehen an Kiews Seite im Kampf gegen Russland.

Bundeswehr hat den „Gepard“ vor mehr als zehn Jahren ausgemustert

Auch ranghohe Bundeswehr-Soldaten sind auf dem Stützpunkt Putlos an der Ostsee dabei – wobei die Bundeswehr den Eindruck vermeiden will, man bilde selbst die Ukrainer aus. Fotos von Menschen in Uniform, unerwünscht. Die Bundeswehr soll nicht irrtümlich in Richtung Kriegspartei gedrängt werden.

Ohnehin musterte die Bundeswehr den Flugabwehrpanzer „Gepard“ vor mehr als zehn Jahren aus. Ausbildungspläne sind längst ad acta gelegt. Krauss-Maffei Wegmann kaufte die Fahrzeuge nach und nach wieder auf, sanierte sie, installierte neue Software. Nach Katar verkaufte KMW diesen Panzer schon, auch nach Brasilien, wo der „Gepard“ 2014 den Luftraum über den Fußball-WM-Stadien sicherte.

Nun liefert KMW nach Kiew. Und bildet ukrainisches Personal aus. Kommandeur, Fahrer und Schütze sitzen in einem „Gepard“. Für alle 30 gelieferten Panzer übernimmt der Rüstungskonzern das Training. Sechs Wochen, so sagen die KMW-Fachleute, sei gar nicht so kurz. Allerdings gehe es nur um das Fahren und Schießen. Per Radar, per Laseroptik oder manuell kann die Besatzung Ziele ins Visier nehmen.

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Immer wieder rauscht ein Learjet der Bundeswehr über den Übungsplatz. An einer vier Kilometer langen Seil zieht er einen schwarzen Sack durch die Luft – das Trainingsziel. Ein elektronischer Sensor misst, ob die Ukrainer das Flugobjekt getroffen haben. Oder nicht. Immer wieder wummert das dumpfe Donnern der Geschosse über das Feld.

Die Männer aus der Ukraine seien „motiviert bis in die Haarspitze“

Wie man einen defekten Gepard Instand setzt? Dafür ist keine Zeit in der Ausbildung. Wie man Fehler in der Software behebt? Nicht Teil des Trainings. Militärtaktik? Nicht Aufgabe von KMW. Und: Nur eine Woche schießen die Männer hier im Feld mit Übungsmunition. Sie wüssten dann alles, heißt es, was aber fehle, sei die Erfahrung. In der Ukraine tobt ein Krieg, die Freiwilligen und die Panzer werden an der Front gebraucht. Sie sollen so schnell wie möglich dahin. „Erfahrung werden sie bald sammeln“, sagt einer am Übungsplatz.

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Die Männer aus der Ukraine seien „motiviert bis in die Haarspitze“. Und der aktuelle Lehrgang sei durchaus talentiert, hält ein ranghoher Mitarbeiter des Rüstungsunternehmens fest. Ruckelig war es offenbar vor allem anfangs mit der Übersetzung, viele technische Begriffe, die der Dolmetscher erst lernen musste.

Sprechen darf man die Ukrainer nicht. Die Bundeswehr schottet die Panzerschützen ab. Einige Details nennt auch KMW nicht, etwa wie viele Freiwillige noch ausgebildet werden sollen. Nur so viel dringt nach außen: Der ukrainische Zahnarzt, erzählt einer, der beim Gespräch zwischen Kanzler und den Kämpfern dabei war, soll der beste Schütze der Gruppe sein.

Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de.