Berlin. Die Bundesregierung plant massive Kürzungen für Langzeitarbeitslose. Das sorgt für enormen Zündstoff innerhalb der Ampel-Koalition.

  • Die Meldung über eine angebliche Kürzung des Hartz-IV-Etats platzte kürzlich mitten in die Hochzeitspläne von Finanzminister Christian Lindner
  • Die Aufregung war groß: Will die Bundesregierung ausgerechnet bei den Arbeitslosen den Stift ansetzen?
  • Im Finanzministerium schob man die Verantwortung von sich und zeigte stattdessen auf einen SPD-Minister

Den Start in seinen Hochzeitstag hatte sich Christian Lindner mit Sicherheit anders vorgestellt. Während sich Lindner und die Journalistin Franca Lehfeldt auf Sylt das Ja-Wort gaben, entzündete sich im 425 Kilometer Luftlinie entfernten Berlin Krach innerhalb der Ampel-Koalition. „Lindner plant drastische Kürzungen bei Leistungen für Langzeitarbeitslose“, titelte das Nachrichtenmagazin „Spiegel“. Vor allem Hartz-IV-Beziehende dürften von den Plänen betroffen sein.

In Finanzministerium herrschte Empörung, Lindners Haus sieht die Verantwortung für die Pläne bei Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Dort wiederum beschwichtigt man und sieht die Verantwortung beim Bundestag. Fest steht: Nach der derzeitigen Planung steht für Langzeitarbeitslose in den kommenden Jahren weniger Geld zur Verfügung. Unsere Redaktion beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was plant die Ampel-Koalition?

Vor einer Woche billigte das Bundeskabinett den Haushaltsplan für das kommende Jahr und den Finanzplan bis 2026. Nach den Krisenjahren mit immensen Schulden will Lindner bereits im kommenden Jahr zur Schuldenbremse zurückkehren. Nur noch 17,2 Milliarden Euro wird der Bund im kommenden Jahr an Schulden machen – in diesem Jahr waren es knapp 140 Milliarden Euro, das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Bundeswehr nicht miteingerechnet. Für die Ressorts innerhalb der Bundesregierung heißt das: sparen.

Unter anderem sollen die sogenannten „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ von derzeit 4,8 Milliarden Euro auf rund 4,2 Milliarden Euro abgeschmolzen werden. Drastisch wird es in den Folgejahren: 2024 sollen nur noch 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. 2029 dann plötzlich nur noch fünf Millionen Euro.

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Wer hat die Pläne veranlasst?

Haushaltverhandlungen folgen einem steten Muster: Die Minister melden ihren Bedarf beim Bundesfinanzminister an, der entscheidet über die Vergabe Mittel. Natürlich sind die Wünsche dabei stets größer als das zur Verfügung stehende Geld. Für das kommende Haushaltsjahr etwa meldeten die Minister 25 Milliarden Euro mehr an, als zur Verfügung stehen, wie das „Handelsblatt“ unter Berufung auf Regierungskreise berichtete. Lindner weist den Ressorts einen gewissen Etat zu. Wie sie das Geld innerhalb dieses Rahmens verteilen, müssen die Ministerien selbst entscheiden.

NameChristian Lindner
Geburtsdatum7. Januar 1979
SternzeichenSteinbock
AmtFDP-Vorsitzender, Finanzminister
ParteiFDP
Parteimitglied seit1995
FamilienstandVerheiratet
Größe1,86 Meter
WohnortBerlin

Streicht Lindner den Sozialetat zusammen?

Die Ausgaben für Arbeit und Soziales sind der mit Abstand größte Kostenblock im Bundeshaushalt. Von dem im aktuellen Jahr geplanten Ausgaben von rund 458 Milliarden Euro entfällt fast jeder dritte Euro auf das Haus von Hubertus Heil. Von den rund 160 Milliarden Euro werden allerdings rund etwa 112,4 Milliarden Euro an Leistungen für die gesetzliche Rentenversicherung fällig. Im kommenden Jahr kann das Heil-Ministerium den derzeitigen Plänen zufolge drei Milliarden mehr ausgeben – die mit Abstand größte Steigerung im Haushalt. Allerdings steigt der Bedarf für die Rentenversicherung zeitgleich um rund 6,4 Milliarden Euro an. Es muss also an anderer Stelle gespart werden.

Welche Leistungen sind von der Kürzung betroffen?

Zunächst einmal handelt es sich bei der Finanzplanung um einen Entwurf, über den noch der Bundestag beraten muss. Sollten die Pläne in ihrer jetzigen Form bestand haben, wären davon vor allem Langzeitarbeitslose betroffen. Als Langzeitarbeitslos gilt, wer länger als zwölf Monate arbeitslos ist. Die Bundesagentur für Arbeit teilte auf Anfrage mit, dass im Juni insgesamt 906.000 Personen als langzeitarbeitslos registriert sind. Damit liegt das Niveau 28 Prozent höher als im März 2020 – also vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Im April 2021 war die Zahl der Langzeitarbeitslosen auf einen Höchststand gestiegen und hatte mit 1,07 Millionen Langzeitarbeitslosen die Millionen-Marke überschritten.

Um Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zu integrieren, stellt der Bund Förderinstrumente parat. So können Unternehmen Lohnkostenzuschüsse erhalten, die Langzeitarbeitslosen können zudem eine individuelle Schulung in Anspruch nehmen. Stellt ein Unternehmen einen Beschäftigten ein, der mindestens zwei Jahre arbeitslos gewesen ist, kann es dafür für zwei Jahre Zuschüsse von zunächst 75 Prozent im ersten und 50 Prozent im zweiten Jahr erhalten. Im Juni machten von dieser Maßnahme 8.000 Personen Gebrauch.

Eine vollständige Lohnkostenübernahme ist für zwei Jahre möglich, wenn Unternehmen Beschäftigte einstellen, die innerhalb von sieben Jahren mindestens sechs Jahre lang Arbeitslosengeld II, besser bekannt als Hartz IV, bezogen haben. Rund 41.000 Personen wurden im Juni mit dieser Maßnahme gefördert. Die Maßnahmen hatten CDU/CSU und SPD im Jahr 2019 im sogenannten Teilhabechancengesetz verabschiedet.

Werden diese Leistungen nun gestrichen?

Das Bundesarbeitsministerium weist das entschieden zurück. Trotz der möglichen Kürzung um rund 600 Millionen Euro bewege man sich mit dem Förderniveau immer noch auf dem Stand vom Vor-Corona-Niveau 2019. Das Ministerium sieht sogar Verbesserungen. Denn die Förderung für Personen, die mindestens sechs Jahre arbeitslos sind, tritt nach derzeitiger Regelung am 1. Januar 2025 außer Kraft. Im Zuge des geplanten Bürgergelds, das Hartz IV ersetzen soll, wolle man die Förderung entfristen und „zu einem dauerhaften Instrument der Arbeitsmarktpolitik machen“, teilte eine Sprecherin mit.

Von den Kürzungen könnten Langzeitarbeitslose betroffen sein.
Von den Kürzungen könnten Langzeitarbeitslose betroffen sein. © Ralf Hirschberger/dpa-Zentralbild/dpa

Wie kann es sein, dass 2029 nur noch fünf Millionen Euro geplant sind?

Bei der langfristigen Haushaltsplanung werden sogenannte Verpflichtungsermächtigungen vereinbart. Der Gesetzgeber ist demnach verpflichtet, in dem entsprechenden Jahr diesen Betrag mindestens zur Verfügung zu stellen. Je weiter das Datum in der Zukunft liegt, desto geringer sind die verbindlichen Zusagen, die getroffen werden.

Wie fallen die Reaktionen auf die Pläne aus?

Verheerend. „Wer bei den Fördertöpfen für Langzeitarbeitslose kürzt, tut dies bei denen, die keine Lobby haben“, sagte Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, unserer Redaktion. Sie forderte Finanzminister Lindner auf, eine Vermögenssteuer einzuführen und die Erbschaftssteuer zu reformieren: „Statt die Krisenverlierer weiter zu schröpfen, sollten die Krisengewinnler endlich zur Kasse gebeten werden.“

Sein Verband werde die Pläne „niemals akzeptieren können“, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, unserer Redaktion. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen sei während der Pandemie in die Höhe geschossen. „In dieser Situation ausgerechnet den sozialen Arbeitsmarkt kaputt zu sparen, hieße, hunderttausende Menschen im Regen stehen zu lassen“, kritisierte Schneider.

Als „politisch kurzsichtig“, bezeichnete Anja Piel, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), die Pläne. Gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel seien Investitionen für Arbeitslose unverzichtbar. Als eine „Frechheit gegenüber Langzeitarbeitslosen“ bezeichnete der frisch gewählte Linken-Parteichef Martin Schirdewan die Pläne. Er kündigte einen Protest an, der „im Kanzleramt Eindruck machen wird.“

Gibt es auch Unterstützer?

FDP-Vize Wolfgang Kubicki nimmt seinen Parteichef Lindner in Schutz: Es sollte klar sein, dass nicht der Finanzminister die entsprechenden Leistungen kürze, sondern die Planungen von Bundesarbeitsminister Heil ausgingen, sagte Kubicki unserer Redaktion. Zugleich betonte der stellvertretende FDP-Vorsitzende, dass es ein „völlig nachvollziehbarer Weg“ sei, staatliche Subventionen in der schwierigen wirtschaftlichen Lage zu hinterfragen.

Auch beim Mittelstandsverband kann man den Plänen etwas abgewinnen. „Unter dem Strich darf der Bezug von Arbeitslosengeld II nicht attraktiver sein als einer geregelten Arbeit nachzugehen“, sagte Markus Jerger, Bundesvorsitzende des Verbandes Der Mittelstand, unserer Redaktion. Die Bundesregierung habe sich zuletzt mit der Aussetzung der Hartz-IV-Sanktionen bis Mitte 2023 vom Prinzip „Fördern und Fordern“ verabschiedet, führte Jerger aus. Dies setze falsche Anreize. Jerger forderte, Pläne für ein „bedingungsloses Bürgergeld“ zu stoppen. (mit fmg)

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.