Im Kanzleramt laufen alle politischen Fäden zusammen. Hier fallen letzte Entscheidungen, bei Konflikten wird ein Machtwort gesprochen.

Als Gerhard Schröder (SPD) den Bau am Spreeufer vor 20 Jahren als erster Kanzler bezog, schieden sich am Kanzleramt die Geister. „Wenn ich das Kanzleramt anschaue, weiß ich gar nicht, warum da alle rein wollen“, sagte der inzwischen verstorbene FDP-Politiker Guido Westerwelle damals. Er war nicht der Einzige, der nach der Fertigstellung des Kanzleramts 2001 über die neue Regierungszentrale spöttelte. „Bundeswaschmaschine“ wurde der Bau wegen seiner runden Fensterfassade getauft.

Unabhängig von seiner Architektur ist das Kanzleramt das Ziel vieler politischer Karriereträume. Das gilt nicht nur für den neuen Bundeskanzler und Hausherren Olaf Scholz (SPD), der sich derzeit mit seiner Mannschaft auf den acht ­Etagen des Gebäudes einrichtet. Auch viele Mitarbeiter von anderen Bundesministerien und Behörden streben danach, einmal das Kanzleramt zu erreichen. Denn die Arbeit im Kanzleramt bedeutet Regieren pur.

Im Hintergrund der Reichstag: Hausherr Olaf Scholz im Kanzleramt. Ihm arbeiten 800 Menschen zu.
Im Hintergrund der Reichstag: Hausherr Olaf Scholz im Kanzleramt. Ihm arbeiten 800 Menschen zu. © Getty Images | Pool

Die Fäden des Regierungshandelns laufen im Kanzleramt zusammen, hier werden Handlungsanweisungen gegeben, finale Entscheidungen getroffen. Jeden Mittwoch tagt hier das Bundeskabinett. Das Kanzleramt ist die Schaltzentrale der Macht in Deutschland.

Die Zahl der Mitarbeiter im Kanzleramt stieg über die Jahre stetig an. Arbeiteten 1949 unter dem ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) dort rund 120 Menschen, waren zuletzt rund 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Angela Merkel (CDU) damit beschäftigt, die Arbeit der Bundesregierung und aller Ministerien zu koordinieren und zu lenken. Unter Scholz könnte der Mitarbeiterstab sogar noch weiter anwachsen.

Ein Organigramm unter Scholz gibt es noch nicht

Am Tag seiner Vereidigung am 8. Dezember unterzeichnete Scholz einen Organisationserlass, in dem er den Zuschnitt der Ministerien und des Kanzleramts regelt. So ist zwar etwa der Normenkontrollrat künftig nicht mehr im Kanzleramt, sondern beim Justizministerium angesiedelt. Dafür adelte Scholz die Stelle des zuvor im Wirtschaftsministerium untergebrachten Ostbeauftragten, indem er den Posten und dessen Stab im Kanzleramt ansiedelte.

Den Job hat der Thüringer Carsten Schneider im Range eines Staatsministers übernommen. Scholz brachte aus dem Finanzministerium zudem seine bisherige parlamentarische Staatssekretärin Sarah Ryglewski mit, die im Kanzleramt als Staatsministerin die Bund-Länder-Beziehungen koordiniert. Staatsministerin für Integration ist Reem Alabali-Radovan (alle SPD). Die Grünen-Politikerin Claudia Roth übernahm das Amt der Staatsministerin für Kultur.

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© funkegrafik nrw | Marc Büttner

Bislang sind die organisatorischen Umbauten im Kanzleramt nicht abgeschlossen, ein offizielles Organigramm des Hauses unter Olaf Scholz gibt es noch nicht. Die wichtigsten Personalien im Machtsystem Scholz stehen jedoch fest. Aus dem Bundesfinanzministerium hat der Kanzler auch den verbeamteten Staatssekretär Jörg Kukies mitgebracht und ihn zu seinem wichtigsten Berater in Wirtschaftsfragen gemacht.

Der 53-Jährige wird als sogenannter Sherpa für den Kanzler künftig die Verhandlungen auf G7- und G20-Gipfeln zu den Themen Wirtschaft und Finanzen vorbereiten. Für den Bereich Außen- und Sicherheitspolitik übernimmt dies Jens Plötner. Der 54-Jährige war zuvor Politischer Direktor im Auswärtigen Amt. Plötner kennt die internationalen Krisenherde wie den Ukraine-Konflikt oder den Streit um das iranische Atomprogramm samt aller Fallstricke bestens.

In der achten Etage ist die Kanzlerwohnung

Der Chef des Bundeskanzleramts ist Scholz’ Vertrauter Wolfgang Schmidt. Der „ChefBK“ steht mit den anderen Ministerien und den Regierungsfraktionen in Kontakt. Seine Aufgabe ist es, unter anderem Konflikte innerhalb der Koalition zu entschärfen, bevor sie den Kanzler erreichen – notfalls per Machtwort.

Damit das Kanzleramt die Arbeit der anderen Ministerien eng verfolgen kann, ist der Informationsfluss auf die Regierungszentrale zugeschnitten. In Paragraf 24 der Geschäftsordnung der Bundesministerien heißt es: „Die Bundesministerien unterrichten das Bundeskanzleramt frühzeitig über alle Angelegenheiten von grundsätzlicher politischer Bedeutung.“ Auch bei der Bearbeitung von „Anfragen, Fragen und Anträgen sowie im Gesetzgebungsverfahren“ müssen die Ministerien das Kanzleramt stets schriftlich auf dem Laufenden halten.

Damit dem Kanzleramt nicht entgeht, woran die Ministerien arbeiten, ist die Regierungszentrale in „Spiegelreferaten“ organisiert. Jedes Fachressort trifft im Kanzleramt also auf eine mit Experten besetzte Abteilung, die sich über die Tätigkeiten des zugeordneten Ministeriums auf dem Laufenden hält.

Zu den Aufgaben des Kanzleramts, über die in der Öffentlichkeit am wenigsten bekannt ist, zählt zudem die Koordination der deutschen Geheimdienste. Dafür gibt es eine eigene Abteilung, über deren Tätigkeit ein Regierungssprecher jedoch bloß mitteilt: „Das Bundeskanzleramt übt die Fach- und Dienstaufsicht über den Bundesnachrichtendienst aus und unterstützt den Beauftragten für die Nachrichtendienste des Bundes in der Wahrnehmung seiner Aufgaben.“

In der achten Etage findet sich die Kanzlerwohnung zur freien Verfügung des Hausherren. Angela Merkel nutzte das kleine Appartement jedoch nicht. Und auch Scholz dürfte wohl zu Hause in Potsdam schlafen, wo er gemeinsam mit seiner Frau Britta Ernst lebt. Als Scholz vor einigen Jahren bereits in Berlin arbeitete, Ernst aber noch in Hamburg wohnte, ließ er sich manchmal nur für eine Nacht zu ihr fahren.