Hamburg. Wolfgang Schmidt gilt als Olaf Scholz’ wichtigster Vertrauter, Stratege und Strippenzieher. Nun wird der Hamburger Kanzleramtschef.

Politik ist oft ein seltsames Geschäft: Der eine steht im Licht, den anderen sieht man oftmals nicht. Wer kannte schon Frank-Walter Steinmeier, als dieser noch emsig seinem Kanzler Gerhard Schröder zuarbeitete? Wem war vor der Corona-Krise der Name Helge Braun ein Begriff? Und wer – so werden sich viele Wähler fragen – ist eigentlich Wolfgang Schmidt?

Zumindest bei Google häufen sich bereits seit Wochen die Suchanfragen nach dem Mann, den die „Bild“-Zeitung 2018 den „mächtigsten Unbekannten Berlins“ genannt hatte.

Wolfgang Schmidt wird der neue Kanzleramtsminister

Nun dürfte der Hamburger etwas bekannter sein, denn er wird Kanzleramtsminister an der Seite von Olaf Scholz. Der 51-Jährige ist Scholz’ wichtigster Mann, er ist Denker und Lenker, Berater und Kritiker zugleich.

Manchmal hält er sich wie ein Diplomat im Hintergrund und knüpft eher diskret Kontakte, spinnt Fäden und zieht Strippen. Dann stürzt er sich wie ein Terrier in die Debatten auf Twitter, um seinen Chef herauszuhauen. Er antwortet binnen Sekunden auf SMS, Mails und Whatsapp-Nachrichten und befüllt zugleich so emsig die sozialen Netzwerke, dass manche denken, er habe wie eine indische Gottheit mehrere Hände.

Schmidts wichtigster Job? Scholz bestmöglich aussehen zu lassen

Zumal er ja noch einem anspruchsvollen Job nachgeht: Zuletzt war Schmidt beamteter Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Hier leitete er die Abteilung für finanzpolitische und volkswirtschaftliche Grundsatzfragen sowie internationale Finanz- und Währungspolitik.

Wichtiger noch: Unter Vizekanzler Scholz koordinierte er die sozialdemokratischen Ministerien in der Bundesregierung. Sein dritter, vielleicht wichtigster Job seit Jahrzehnten: Seinen zwölf Jahre älteren Freund und Chef Scholz in ein freundliches, ja glänzendes Licht zu rücken.

Freunde und politische Weggefährten: SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz (l.) und sein Staatssekretär Wolfgang Schmidt – hier vor wenigen Wochen beim G20-Treffen der Finanzminister und Notenbankgouverneure in Rom.
Freunde und politische Weggefährten: SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz (l.) und sein Staatssekretär Wolfgang Schmidt – hier vor wenigen Wochen beim G20-Treffen der Finanzminister und Notenbankgouverneure in Rom. © imago images/photothek | imago stock

Wolfgang Schmidt war sicher: Olaf Scholz wird Kanzler

Legendär sind seine seit Langem geteilten Visionen, dass es Olaf Scholz einstmals ins Kanzleramt schaffen werde – seit Jahren arbeitete Schmidt auf diesen Tag hin und erzählte Journalisten auch ungefragt, wie das Ziel erreichbar wäre.

Manche Gesprächspartner dachten da angesichts von Umfragewerten, die die SPD bei 15 Prozent festgetackert sahen, eher an einen anderen Hamburger Schmidt namens Helmut: Der hatte einen Journalisten einmal angeraunzt, wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen.

Die beiden Hamburger vertrauen sich blind

Manchmal reicht eine Bundestagswahl: Seit Jahren hatte Schmidt erklärt, die Karten würden erst kurz vor der Wahl neu gemischt, wenn den Deutschen aufgehe, dass Angela Merkel nicht mehr antrete. Vielleicht hätte die Konkurrenz genauer hinhören sollen.

Nun folgt mit Scholz’ Karrieresprung auch Schmidts Aufstieg: Die beiden Hamburger kennen sich seit Jahrzehnten, vertrauen sich blind. Ohne einen Anruf von Olaf Scholz wäre der Jurist Schmidt heute vermutlich Richter in seiner Heimatstadt. Doch Scholz, 2002 zum Generalsekretär der Bundes-SPD gewählt, holte ihn nach Berlin und machte ihn zu seinem persönlichen Referenten.

Schmidt ging mit Scholz nach Berlin – und blieb

Als Scholz nach der vorgezogenen Bundestagswahl im Herbst 2005 seine Karriere als erster parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion neu aufbaute, übernahm Schmidt sein Büro. Als Bundesarbeitsminister übertrug Scholz Schmidt 2007 das Ministerbüro und den Leitungs- und Planungsstab.

Fast folgerichtig war sein Wechsel 2011 in den Hamburger Senat, als Olaf Scholz bei der Bürgerschaftswahl triumphierte und die absolute Mehrheit der Mandate holte. Schmidt, der sich mit seiner mexikanischen Frau und zwei Töchtern längst in Berlin heimisch fühlte, durfte in der Hauptstadt bleiben: Er wurde Bevollmächtigter der Stadt Hamburg beim Bund, bei der EU und für Auswärtige Angelegenheiten, wie der Titel etwas sperrig heißt – kurz: „Außenminister“ Hamburgs.

Schmidts Traumjob – Hamburgs „Außenminister“

Er holte in dieser Funktion internationale Hochkaräter zum Mat­thiae-Mahl, einem der ältesten Festmahle der Welt, ins Hamburger Rathaus und bastelte eine Gästeliste für die Eröffnung der Elbphilharmonie, die niemand enttäuscht zurückließ.

Dieser Außenministerjob war der Traumjob für den eloquenten wie kontaktfreudigen Schmidt. Er verwandelte die Landesvertretung in eine schlagkräftige Einheit, verfolgte die Interessen der Stadt auf nationaler und internationaler Bühne, förderte die Karriere seines Bürgermeisters und machte das alljährliche Landesfest zu einem Event im umfangreichen Partykalender der Hauptstadt.

Der Hanseat wollte seine Heimatstadt mit Berlin versöhnen

Schmidt kennt nicht nur Politiker und Journalisten, sondern auch Musiker und Autoren. Und stellt seine Gäste einander am Tresen oder am Tischkicker vor. „Dabei ging es auch darum, Hamburg und Berlin wieder zu versöhnen“, sagte Schmidt einmal. Er weiß: Die spröde Schöne im Norden blickt mitunter etwas neidisch auf die lebenslustige Weltmetropole an der Spree.

Scholz und Schmidt passen auch deshalb so gut zueinander, weil sie sich ergänzen: Der 63-jährige Scholz ist in bester Helmut-Schmidt-Manier der „leitende Angestellte“ der Bundesrepublik, wägt jedes Wort ab, wirkt mitunter aber auch schroff und distanziert.

Das ist Olaf Scholz

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    Kurz vor der Bundestagswahl hatte er sich einmal mehr vor seinen Chef geworfen und die Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft Osnabrück im Finanzministerium kritisiert – prompt fing er sich eine Anzeige wegen des Verdachts auf Verletzung von Dienstgeheimnissen ein: Das sind Momente, wo auch der Vollblutpolitiker an seinem Job zu zweifeln beginnt.

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    Schmidt war es, der Scholz 2019 zu seiner Kandidatur für den SPD-Vorsitz riet. Ausgerechnet das Scheitern an den Genossen wurde für Scholz zum Glücksfall, weil es die Partei einte und damit den Kanzler Scholz erst möglich machte.

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    Schmidt selbst ist ein Kind der sozialen Bewegung der 1980er-Jahre. Frühzeitig engagierte er sich für die Interessen der damals so genannten Dritten Welt, für Nicaragua; mit 19 Jahren trat er den Jusos bei. Die Welt will er bis heute verändern – nur nicht mehr auf der Straße, sondern auf der Bühne der großen Politik.

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    Das ist längst Geschichte – seit dem Wechsel ins Finanzministerium 2018 bereitete Wolfgang Schmidt Olaf Scholz den Weg ins Kanzleramt. Sein Umzug in das Gebäude, das die Berliner ironisch „Waschmaschine“ nennen, ist da nur folgerichtig.