Berlin. Juso-Chef Kevin Kühnert hat in einem Interview bekanntgegeben, dass er keine Bewerbung für einen Posten an der SPD-Spitze abgeben wird.

Die Sommerferien waren für Kevin Kühnert Stress pur. Wochenlang quälte sich der Juso-Chef beim Einschlafen mit der Frage: Soll ich, oder soll ich nicht? Jetzt hat er sich entschieden, drei Tage vor Ablauf der Bewerbungsfrist. Der erst 30 Jahre alte SPD-Nachwuchsstar kandidiert nicht für den SPD-Vorsitz. „Ich trete nicht an. Das war keine leichte Entscheidung. Viele Leute haben sich bei mir gemeldet und mich gebeten zu kandidieren. Andere haben mir abgeraten“, sagte Kühnert in einem Interview mit „Spiegel Online“.

Die Parteiführung dürfte erleichtert sein. Viele hatten gefürchtet, dass Kühnert mit einer Kandidatur die SPD vor eine Zerreißprobe gestellt hätte. Kühnert, der Rebell und Anführer der Anfang 2018 unterlegenen No-Groko-Bewegung gegen Olaf Scholz, den Vizekanzler, Finanzminister und Mit-Architekten der Koalition mit CDU und CSU. Scholz will gemeinsam mit der Brandenburger Landespolitikerin Klara Geywitz die Parteispitze erobern.

Kühnert spürte, dass er der ums Überleben kämpfenden Partei wohl keinen Gefallen getan hätte, wenn er gegen den Widerstand aus Vorstand und Bundestagsfraktion angetreten wäre. „Nichts wäre fahrlässiger gewesen, als jetzt eine Hoffnungskurve bis weit in den Himmel zu produzieren, die dann nach wenigen Wochen zu Enttäuschungen führt“, begründete der Berliner seinen Verzicht.

Kevin Kühnert: Seine Fans werden bitter enttäuscht sein

Seine Fans, die 80.000 Juso-Mitglieder und viele SPD-Linke, dürften bitter enttäuscht sein. Sie hatten gehofft, dass der Sohn eines Finanzbeamten und einer Jobcenter-Angestellten, der nach dem früheren britischen Fußballstar Kevin Keagan benannt wurde, es zumindest versuchen würde, die SPD weiter nach links auszurichten.

Vor der Europawahl hatte Kühnert genau diese Erwartungshaltung mit einem Interview befeuert, in dem er sich eine gerechtere Gesellschaft wünschte, nebenbei aber auch die „Kollektivierung“ großer Konzerne am Beispiel von BMW vorstellen konnte. Tagelang arbeitete sich die halbe Republik an Kühnert ab. Auch aus der SPD gab es scharfe Kritik. Dies dürfte für Kühnert ein unappetitlicher Vorgeschmack gewesen sein, was ihm auf dem Weg an die Spitze bevorgestanden hätte.

Kühnert betont, er habe der SPD ein „Spektakel“ Kühnert gegen Scholz ersparen wollen. „Genau das war meine Sorge. Wir wären in einen Arena-Wahlkampf geredet worden. Das ist für Außenstehende interessant, schadet aber der SPD, weil es emotional weiter spaltet. Wir sind eine politische Partei und keine Unterhaltungssendung.“ Persönlich komme er mit Scholz klar. „Aber Scholz und ich werden vielfach als zwei Antipoden in der SPD gesehen. Ich will, dass wir mit der Suche nach einer neuen Parteiführung in wesentlichen Fragen eine inhaltliche Klärung hinkriegen, indem wir Mitglieder überzeugen und nicht etwa auf die Bäume treiben. Die SPD ist in ihrer DNA keine Partei, in der man eine Revolution veranstalten kann“, sagte Kühnert.

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Kühnert erfreut über Kandidatur von Walter-Borjans

Allerdings lotete Kühnert, der für einen Berliner Abgeordneten arbeitet, hinter den Kulissen sehr wohl intensiv seine Chancen aus. Im Raum stand, dass er in einem Bewerberteam um Generalsekretär Lars Klingbeil eine prominente Rolle übernommen hätte, etwa als künftiger Generalsekretär. Doch Klingbeil fand keine passende Frau für eine Doppelbewerbung.

Familienministerin Franziska Giffey winkte wegen der Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit ab. Klingbeil, Giffey, Kühnert – das wäre ein unwiderstehliches Personalpaket für die knapp 430.000 SPD-Mitglieder gewesen, die Ende Oktober über die Nachfolge der zurückgetretenen Andrea Nahles abstimmen werden.

Viel Sympathie zeigt Kühnert für die Kandidatur des früheren nordrhein-westfälischen Finanzministers Norbert Walter-Borjans, der mit der Bundestagsabgeordneten Saskia Esken antreten will. „Er kommt meinen persönlichen Wünschen an Inhalt und Form sehr nah. Er hat als Finanzminister in Nordrhein-Westfalen mit dem Ankauf von Steuer-CDs begonnen, sich dabei mit unangenehmen Leuten angelegt und so bewiesen, dass er für echte Verteilungsgerechtigkeit steht“, sagte Kühnert.

Nach dem Verzicht auf die Parteispitze stellt sich für viele die Frage: Was wird jetzt aus Kevin Kühnert?

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Die Bewerbungsfrist für die Nachfolge der zurückgetretenen Andrea Nahles läuft am Sonntag ab. Für eine Bewerbung brauchen die Kandidaten die Unterstützung von fünf Kreisverbänden/Unterbezirken, einem Bezirk oder einem Landesverband.

Bislang hat der Wahlvorstand der SPD bei fünf Kandidatenduos diese Unterstützung anerkannt, wie ein Parteisprecher mitteilte. Dies sind:

  • Finanzminister Olaf Scholz und die Brandenburger Landtagsabgeordnete Klara Geywitz
  • Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius und Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping
  • Europa-Staatsminister Michael Roth und die ehemalige nordrhein-westfälische Familienministerin Christina Kampmann
  • die beiden Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach – ebenfalls aus NRW – und Nina Scheer
  • die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis und der Verdi-Chefökonom Dierk Hirschel

Die Kandidaten stellen sich in 23 Regionalkonferenzen ab Mitte kommender Woche der Basis und der Öffentlichkeit vor. Ebenfalls bewerben wollen sich:

  • die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, Gesine Schwan, und Parteivize Ralf Stegner
  • die Bürgermeister von Flensburg, Simone Lange, und Bautzen, Alexander Ahrens
  • die Einzelkandidaten Robert Maier (Vizepräsident des SPD-Wirtschaftsforums), Hans Wallow (früherer Bundestagsabgeordneter) und Marcus del Monte (erst seit Juni in der SPD)

Bis die Mindestunterstützung geprüft ist, kann es einige Tage dauern. Formell abgeschlossen wird das Wahlverfahren für den SPD-Bundesvorsitz Anfang Dezember mit einem Parteitag in Berlin.

Kühnert kann der SPD noch später helfen

Aber fürchtet Kühnert, dass sein Ruf leidet? Dass er als einer gilt, der im entscheidenden Moment kneift? „Wenn man das böswillig auslegen will, kann man das so sehen. Ich fände es allerdings etwas seltsam, wenn die Tatsache, dass ich nach 20 Monaten Juso-Vorsitz nun nicht bei der ersten Gelegenheit für das höchste Amt einer 156 Jahre alten Partei kandidiere, zur Entwertung meiner Person benutzt würde.“

Kühnert ist jung und talentiert genug, um später noch der SPD helfen zu können. Die Frage ist nur, wieviel dann noch von der ältesten deutschen Partei übrig ist. Beim Parteitag Anfang 2018 in Bonn, als die Groko-Befürworter gewannen und Kühnert als Verlierer aus der Halle ging, hatte er noch gerufen: „Heute einmal ein Zwerg sein, um künftig wieder Riesen sein zu können.“

Am Donnerstag wird Kühnert wieder das machen, was ihm mit am wichtigsten ist. Malochen für die SPD. In Potsdam wird der Juso-Chef an Haustüren klingeln und um Stimmen bei der Landtagswahl an diesem Sonntag werben.