Washington. Ein Bild von einem ertrunkenen Vater-Tochter-Paar geht um die Welt. Es wirft ein Schlaglicht auf die Tragödie an Amerikas Süd-Grenze.

Das Bild des syrischen Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi (3), der 2015 an den Strand des türkischen Badeorts Bodrum angeschwemmt wurde, erschütterte die Welt. Ein Foto mit ähnlich hoher Symbolkraft lenkt jetzt die internationale Aufmerksamkeit auf das eskalierende Flüchtlingsdrama an der amerikanischen Südgrenze.

Das Bild zeigt Oscar Ramirez und die kleine Valeria. Mit den Gesichtern nach unten, Arm in Arm eng umschlungen, liegen Vater und Tochter tot im Ufer-Schilf des von tückischen Strömungen durchzogenen Grenzflusses Rio Grande zwischen Matamoros (Mexiko) und Brownsville (Texas).

Oscar Ramirez starb mit seiner Tochter im Rio Grande

Der 25-Jährige aus dem von Drogen, Korruption und Gewalt verseuchten Elendsstaat El Salvador wagte den hochriskanten Sprung nach Amerika, weil ihm die legal zugestandene Wartezeit in Mexiko auf Beantragung seines Asylgesuchs in den USA zu lang wurde. Es endete wie bei über 280 anderen Lateinamerikanern allein im vergangenen Jahr. Sie verdursteten oder ertranken laut US-Grenzbehörden auf dem Weg ins „gelobte Land”. Menschenrechts-Organisationen betonen, die Dunkelziffer sei entschieden höher.

In den wenigsten Fällen nimmt die von Präsident Donald Trump mit massiven Bedrohungs-Szenarien durch Armuts-Flüchtlinge konfrontierte Öffentlichkeit von solchen Tragödien Notiz. Als am Sonntag in der Nähe des Flucht-Hotspots McAllen/Texas die Leichen von einer jungen Frau, zwei Säuglingen und einem Kleinkind gefunden wurden, reagierten viele Medien nur mit Fußnoten.

Herzzerreißendes Dokument der Zeitgeschichte

Der Tod von Oscar Ramirez und der kleinen Valeria schlägt höhere Wellen. Festgehalten von der Fotografin Julia LeDuc, fand das herzzerreißende Dokument der Zeitgeschichte, das bei Papst Franziskus „ungeheure Traurigkeit” auslöste, über den Umweg einer kleinen mexikanischen Zeitung den Weg auf die Titelseite der „New York Times“.

Hinweis: Diese Redaktion hat sich entschlossen, das Bild nicht zu zeigen. Wer sich entscheidet, das verstörende Foto sehen zu wollen, findet es hier.

Damit ist sichergestellt, dass es auch Präsident Donald Trump nicht entgeht. Ein Mann, der visuell getaktet ist. Militäraktionen gegen Syriens Diktator Assad ordnete er erst an, als ihm Fotos von Giftgas-Opfern im Kindesalter vorgelegt wurden.

Trump rief wegen Migranten den Notstand aus

Mit einer vergleichbaren Antwort oder humanitären Geste ist diesmal aber nicht zu rechnen. Seit Wochen setzt Trump in der Flüchtlingspolitik auf Abschottung und Abschreckung. „Geht dahin zurück, wo ihr hergekommen seid. Wir sind voll”, ruft er den Zigtausenden entgegen, die aus Amerikas südlichem Hinterhof gen Norden ziehen wollen. Allein im Mai setzten US-Grenzpolizisten über 140.000 Menschen fest, die vor Gewalt und Armut in ihren Heimatländern geflüchtet waren; darunter fast 50.000 Minderjährige.

Bereits vor Wochen rief Trump den Notstand aus. Vor allem um sein Prestigeprojekt zu beschleunigen – den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko. Um dem Ansturm Herr zu werden, drängen Trump und die Republikaner die Opposition zu schärferen Asylgesetzen.

Demokraten nennen Trumps Migrationspolitik „grausam“

Die Demokraten spielen nicht mit. Sie machen Trump indirekt mitverantwortlich für Tragödien wie die von Oscar Ramirez und seiner Tochter Valeria. Präsidentschaftskandidaten/-innen wie Kamala Harris und Elizabeth Warren nennen die Politik des Weißen Hauses „grausam”. Und einen „Schandfleck für unser moralisches Bewusstsein”.

Im Repräsentantenhaus, das von den Demokraten dominiert wird, sind in dieser Woche 4,5 Milliarden Dollar (vier Milliarden Euro) freigegeben worden. Mit dem Geld sollen vor allem die nach Bezeugungen von Flüchtlingsbetreuern „unhaltbaren Zustände” im Grenzgebiet zwischen Kalifornien und Arizona gelindert werden. Dort platzen die Auffanglager für Asylsuchende nicht nur aus den Nähten.

Hunderte Kinder lebten in US-Einrichtungen im eigenen Dreck

Wie Anwälte jetzt in einem Lager in Clint nahe der texanischen Stadt El Paso entdeckten, lebten Hunderte Kinder unter menschenunwürdigen Bedingungen in ihrem eigenen Dreck. Weil Betten und Matratzen fehlten, mussten sie auf dem nackten Betonboden schlafen. Zahnbürsten, Zahnpasta, Seife und Babywindeln wurden ihnen verwehrt. Eine Vertreterin des Justizministerium löste vor Gericht Kopfschütteln aus, als sie erklärte, Flüchtlingskinder hätten auf Hygenie-Artikel keinen Anspruch. Im Senat wollen die Republikaner die Bewilligung der Hilfsgelder stoppen. Es seien Anreize für noch mehr Flüchtlinge, sagen sie.

Aus Sicht der Demokraten steckt hinter der Misere eine „besondere Perfidie”. Laut Gesetz dürfen aufgegriffene Migrantenkinder maximal 72 Stunden lang in Lagern wie dem in Clint festgehalten werden. Danach müssen sie von gut ausgestatteten Jugendeinrichtungen des Gesundheitsministeriums aufgenommen werden. Bis ihre meist in den USA ansässigen Angehörigen sie abholen.

In Clint, einem von Dutzenden vergleichbaren Standorten, waren viele Kinder aber über viele Wochen festgesetzt. Verwandte wurden laut Juristen nicht informiert. Demokratische Abgeordnete aus den Südstaaten glauben, das hat Methode: „Es werden Missstände erzeugt, die auf potenzielle Migranten abschreckend wirken sollen.”

Das könnte der Grund für den plötzlichen Rücktritt von John Sanders sein. Der Chef der US-Grenzschutzbehörde war erst seit zwei Monaten im Amt. Sein Nachfolger Mark Morgan kommt von der umstrittenen Eingreiftruppe ICE. Sie setzt illegale Einwanderer, auch wenn sie schon zehn Jahre unbescholten in den USA leben, arbeiten und Steuern zahlen, landesweit fest und schiebt sie ab. Trump nennt das „vorbildlich”.