Bremerhaven . SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil besucht gebeutelte Regionen Deutschlands. Der Name seines Programms: „Neue Arbeit, neue Sicherheit“.

Es dauert nicht lange, da wird der Arbeitsminister Hubertus Heil persönlich. Er komme aus der Stadt Peine in Niedersachsen, erzählt der Arbeitsminister. Früher hätten dort 10.000 Leute im Stahlwerk gearbeitet. Heute seien noch 800 beschäftigt. „Was mich umtreibt, ist die Schnelligkeit, mit der so ein Strukturwandel heute stattfindet“, sagt Heil.

Die Hafenarbeiter, mit denen er zusammensitzt, nicken. Sie machen sich selbst Sorgen um ihre Jobs. Der Sozialdemokrat Heil ist in Bremerhaven zu Gast, der Stadt mit der zweithöchsten Arbeitslosenquote in ganz Deutschland. 12,5 Prozent der erwerbsfähigen Menschen hier haben keinen Job – mehr als in jeder ostdeutschen Stadt. Nur in Gelsenkirchen sind es noch etwas mehr.

Dabei ist die Lage heute schon besser als vor 20 Jahren. Damals lag Bremerhaven am Boden: keine Fischerei mehr, keine Werften. Inzwischen verdient der Hafen gutes Geld mit der Verladung von Autos und Containern. Aber die Arbeit wird immer mehr digitalisiert und automatisiert. „Neue Arbeit, neue Sicherheit“ heißt die Veranstaltung, mit der Heil herausfinden will, was die Bürger bewegt.

„Ich will etwas aus dem Lebensalltag der Menschen mitbekommen“, sagt der Minister und besucht mehr oder weniger gebeutelte Regionen in Deutschland. Im April soll aus den Erkenntnissen ein Bericht werden, aus dem dann konkrete Politik entstehen soll.

Arbeitsmarkt und Rente entscheiden über die Zukunft der SPD

Gleich eine Handvoll neuer Gesetze kündigt Heil bei seiner Visite in Bremerhaven für das Ende des Jahres an. Kein Zufall: Im Herbst steht die Überprüfung des Koalitionsvertrags von CDU, CSU und SPD an. Für die Sozialdemokraten geht es um die Frage, was sie in dem Bündnis erreicht haben und ob sie es fortsetzen wollen. Hubertus Heil ist dabei ein wichtiger Akteur.

Der 46-Jährige führt das sozialdemokratischste Ressort. Arbeitsmarkt und Rente – das sind die Themen, die über die Zukunft der SPD entscheiden. Ob die Partei aus dem Umfragetief kommt und zu neuer Stärke findet, hängt vom Arbeitsminister mindestens so sehr ab wie von Parteichefin An­drea Nahles und Bundesfinanzminister Olaf Scholz, dem Vizekanzler.

In Bremerhaven geht es erst einmal ganz konkret um Arbeitsplätze. Bei einer Fahrt durch das Containerterminal sieht Heil, wie menschenleer ein Hafen heute sein kann. Riesige Kräne hieven die Stahlkisten von den Schiffen an Land, aus Sicherheitsgründen darf niemand zu Fuß auf dem Gelände unterwegs sein. „Wir bedienen nur noch Geräte und schleppen längst keine Säcke mehr“, sagt anschließend einer der Arbeiter, der seit mehr als 30 Jahren im Hafen ist. Das Problem dabei: „Es wurden Hafenarbeiter eingestellt, keine Techniker.“

Am 26. Mai wird in Bremen ein neues Parlament gewählt


Im Gespräch mit Betriebsräten erfährt Heil, wie groß die Sorge ist, dass viele Kollegen in einem automatisierten Hafen nicht mehr gebraucht werden oder für die verbleibenden Jobs nicht ausgebildet wurden. „Wichtig ist Altersteilzeit, um die Kollegen nach Hause zu bringen“, sagt einer. „Wir brauchen Hilfe bei Qualifizierung und Weiterbildung“, sagt ein anderer. Schnell landet die Diskussion bei höheren Steuern für Reiche, bei der schlechten Bildungspolitik in Bremen – und bei der Zukunft der SPD.

„Die SPD stand früher mal für soziale Gerechtigkeit“, ruft ein Betriebsrat in den Raum. Da müsse sie wieder hin. Die Diskussion um die Zukunft seiner Partei – Hubertus Heil wird sie auch in Bremerhaven nicht los. Am 26. Mai wird parallel zur Europawahl im Land Bremen ein neues Parlament gewählt. Die SPD könnte dabei nach mehr als 70 Jahren das erste Mal das Bürgermeisteramt verlieren. Es wäre ein Desaster. Heil achtet darauf, dass er in Bremerhaven keinen Wahlkampf macht und als Minister auftritt. Die Veranstaltungen werden von der Bundesregierung bezahlt. Trotzdem macht er Werbung für die SPD.

„Die Partei der Arbeit“

Die Partei sei zwar lange keine reine Arbeiterpartei mehr, sagt er. Die SPD müsse aber weiter „die Partei der Arbeit“ sein. Ziel müsse es sein, zuerst das Leben der Menschen zu verbessern und weniger auf gute Umfragewerte zu schielen, ist Heil überzeugt. Wenn die Koalition im Herbst eine Zwischenbilanz ziehe, dann sei das für die SPD eine Chance: „Die Bilanz für die Sozialdemokraten in der großen Koalition sieht bisher nicht schlecht aus. Und wir haben noch viel vor.“

Tatsächlich ist Heil einer der Minister, die jetzt – nach einem Jahr großer Koalition – am fleißigsten waren. Er hat das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit durchgesetzt, einen sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose geschaffen und ein großes Rentengesetz gemacht. Auf seiner Liste stehen noch Veränderungen bei Hartz IV – hier wird das Bundesverfassungsgericht bald ein Grundsatzurteil sprechen. Der Koalitionsvertrag sieht außerdem Einschränkungen bei befristeten Arbeitsverträgen vor und eine Pflicht zur Altersvorsorge für Selbstständige. Beides will Heil noch dieses Jahr angehen.

Auch die Arbeitsbedingungen für Paketboten will Heil verbessern und ein Recht auf Arbeit im Homeoffice durchsetzen – er sucht dafür den Konflikt mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der in beiden Fällen gesetzliche Regelungen für unnötig hält. „Der Wirtschaftsminister irrt, wenn er hier Nichtstun für eine Option hält. Ich werde im Herbst einen Gesetzentwurf dazu vorlegen“, bekräftigt Heil. In einigen Tarifverträgen seien die Arbeit im Homeoffice und der Anspruch darauf schon geregelt. Er wolle nun erreichen, dass „diese Möglichkeit durch einen praktikablen Rechtsrahmen verstärkt genutzt“ werden könne.

Mit Leidenschaft kommt er auf die Grundrente zu sprechen


Die nächsten Monate werden anstrengend für die Beamten im Arbeitsministerium. Heil sieht die reale Chance, dass die SPD gerade in der Sozialpolitik wieder in die Offensive kommen kann. Am neuen Sozialstaatskonzept der Partei hat er mitgearbeitet. Und trotzdem: Sätze wie den von Parteichefin Nahles, wonach die SPD Hartz IV „überwinden“ müsse, wird man von Heil nicht hören. Das liegt an seinem zurückhaltenden Temperament. Das liegt aber auch daran, dass er einen völligen Bruch mit der Agenda-Politik Gerhard Schröders für falsch hält. „Es gibt Dinge, die haben wir unterschätzt und nicht richtig gemacht“, sagt er in Bremerhaven. Das ist hier der einzige Kommentar zu den Reformen, an denen die SPD seit 15 Jahren leidet.

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Mit Vergangenheitsbewältigung, ist Heil überzeugt, gewinnt man keine Wahlen. Dass er damit nicht falsch liegt, zeigt eine Diskussionsrunde mit 150 Bürgern in der Bremerhavener Innenstadt. Um Hartz IV geht es hier nur am Rand, das wichtigste Thema ist die Zukunft der Altersvorsorge. Mit Leidenschaft kommt Heil auf seine Grundrente zu sprechen. Damit sollen niedrige Renten angehoben, die Lebensleistung von langjährigen Beitragszahlern gewürdigt und Altersarmut verhindert werden. Heil erntet vom Publikum viel Sympathie, wenn auch keinen überwältigenden Applaus. Er glaubt aber, dass er einen Nerv getroffen hat. Das spüre er an den Reaktionen von CDU und CSU.

„Ich kann Sie nicht vor dem technischen und wirtschaftlichen Wandel bewahren“, sagt Heil den Bürgern. Aber die Politik und der Sozialstaat könnten immerhin grundlegenden Schutz bieten. Deshalb verspricht er: „Ich werde kämpfen wie ein Löwe, um die Grundrente durchzusetzen.“ Die nächsten Monate werden zeigen, ob das auch der SPD nützen wird.