Brüssel. Ein chaotischer Brexit ohne vertragliche Regelungen wird immer wahrscheinlicher. Das würde den deutschen Bundeshaushalt hart treffen.

Bei dem drohenden EU-Austritt Großbritanniens ohne Brexit-Vertrag kämen auf Deutschland kurzfristig erhebliche Milliardenkosten zu. Davor warnen nach Informationen unserer Redaktion Experten in Brüssel und Berlin den Deutschen Bundestag.

Bis Ende nächsten Jahres müsste Deutschland demnach bis zu 4,2 Milliarden Euro zusätzlich in den EU-Haushalt einzahlen, hat das renommierte Brüsseler Bruegel-Forschungsinstitut errechnet.

Dies wäre der deutsche Anteil zum Ausgleich einer Lücke von insgesamt 16,5 Milliarden Euro, die im EU-Haushalt von April 2019 bis Ende 2020 bei einem ungeregelten britischen EU-Austritt entstehen würde. So steht es im Schreiben von Bruegel-Institutsdirektor Guntram Wolff an den Bundestag, das unserer Redaktion vorliegt.

„Feindlicher Akt“ von den Briten

Großbritannien ist bislang nach Deutschland der größte Nettozahler in der EU. Den Mehrkosten für Deutschland stünden nur etwa 200 Millionen Euro Erlöse aus den Zolleinnahmen im Bundeshaushalt gegenüber.

Es ist das erste Mal, dass genaue Zahlen für die Haushalts-Folgen eines chaotischen Brexit vorliegen. Die EU-Kommission hat genaue Angaben bisher vermieden, spricht aber von einstelligen Milliarden-Beträgen, die 2019 und 2020 jeweils fehlen würden.

In der Kommission heißt es, möglicherweise könne ein Teil der Haushaltslücke noch durch Kürzungen ausgeglichen werden. EU-Experte Wolff rät dem Bundestag und der EU indes zu einer harten Gangart – sollte Großbritannien seinen Zahlungspflichten nicht nachkommen, müsse dies als „feindlicher Akt“ betrachtet werden. Dann sollte die EU Großbritannien auch keine Konzessionen bei notwendigen Notfallmaßnahmen für einen harten Brexit machen.

Chaotischer Brexit für beide Seiten schwerwiegend

Die deutsche Wirtschaft rechnet bei einem chaotischen Brexit unterdessen mit hohen Belastungen durch Zölle. Der deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) kalkuliert mit jährlich drei Milliarden Euro an Zöllen, die deutsche Unternehmen für Exporte nach Großbritannien voraussichtlich entrichten müssten.

Hinzu kämen nach einer DIHK-Aufstellung für den Bundestag der bürokratische Aufwand für bis zu 10 Millionen zusätzliche Zolldokumente, was die Unternehmen mit weiteren 200 Millionen Euro belasten würde.

Das britische Unterhaus stimmt am Dienstag über den Brexit-Vertrag ab. Eine Mehrheit für den Deal zwischen Großbritannien und der EU gilt als unwahrscheinlich – eine Chance hätte der Vertrag allenfalls bei einer zweiten, späteren Abstimmungsrunde.

Die Protestierenden in London tragen gelbe Westen und fordern Neuwahlen.
Die Protestierenden in London tragen gelbe Westen und fordern Neuwahlen. © REUTERS | HENRY NICHOLLS

CDU-Politiker McAllister: Britische Abgeordnete in der Verantwortung

Doch im EU-Parlament drängen führende Abgeordnete das britische Parlament weiter zur Zustimmung. Der Chef des Außen-Ausschusses im EU-Parlament, David McAllister (CDU), sagte unserer Redaktion: „Alle Abgeordneten im britischen Unterhaus sollten sich ihrer großen politischen Verantwortung bewusst sein.“

Nach über 17 Monaten schwieriger Verhandlungen liege ein für beide Seiten vertretbares Abkommen vor. „Es ist die Grundlage für einen geregelten britischen EU-Austritt“, sagte McAllister. Ohne Zustimmung zum Abkommen drohe ein harter Brexit ohne eine Übergangsphase. „Das hätte sehr negative Folgen für beide Seiten und sollte unbedingt vermieden werden“, warnte der CDU-Politiker.