Berlin. Die Fraktionschefin Wagenknecht bringt mit ihrer Sammlungsbewegung viel Unruhe in die Linke. Will sie ihre eigene Partei gründen?

Sahra Wagenknecht sitzt in einem kleinen Konferenzraum ihrer Fraktion, gerader Rücken, die Haare streng zurückgebunden, Blazer und Rock hellblau, auch Ohrringe und Kette schimmern hellblau.

Alles passt. In den Händen hält sie eine rosa Tasse mit Schneemännern und Weihnachtspäckchen, darauf steht „Merry Christmas“. Wagenknecht trinkt Tee, hinterlässt Lippenstift am Rand. Die Tasse passt nicht ins Bild.

Bei der Linken haben manche Genossen allerdings den Eindruck, dass mit ihrer Fraktionschefin vieles nicht mehr passt. Sahra Wagenknecht, 49 Jahre, Bestsellerautorin, charismatische Rednerin, Stammgast in Talkshows, populärste Politikerin ihrer Partei, Frau von Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine, hat im Sommer die linke Sammlungsbewegung Aufstehen gegründet.

Viele Linke begreifen Aufstehen als Konkurrenz. Und als Machtinstrument Wagenknechts, um die eigene Partei zu erpressen. Manche arbeiten an ihrem Sturz. Nur: Was plant Sahra Wagenknecht?

Mit Sehnsucht blickt Wagenknecht nach Frankreich

Ihre Bilanz fällt, nicht überraschend, positiv aus. „Aufstehen hat ein wichtiges Ziel erreicht, weil wir viele Menschen wieder zum politischen Engagement motivieren, die sich von den Parteien nicht mehr angesprochen fühlen“, sagt Wagenknecht. „Jetzt muss es uns allerdings auch noch gelingen, echten Druck zur Veränderung der Politik in diesem Land zu machen.“

Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht

Sie gilt als stramme Sozialistin, ist die Fraktionschefin der Linken im Bundestag und Gründerin der linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“. Das ist Sahra Wagenknecht.
Sie gilt als stramme Sozialistin, ist die Fraktionschefin der Linken im Bundestag und Gründerin der linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“. Das ist Sahra Wagenknecht. © REUTERS | REUTERS / THOMAS PETER
Gemeinsam mit Dietmar Bartsch hat Wagenknecht den Fraktionsvorsitz der Linken inne. Für eine Aktion pro Bootsflüchtlingshilfe legten die beiden Politiker im Oktober 2015 in Berlin Rettungswesten an.
Gemeinsam mit Dietmar Bartsch hat Wagenknecht den Fraktionsvorsitz der Linken inne. Für eine Aktion pro Bootsflüchtlingshilfe legten die beiden Politiker im Oktober 2015 in Berlin Rettungswesten an. © REUTERS | REUTERS / FABRIZIO BENSCH
Schon seit den Zeiten, als die Partei noch PDS hieß, arbeiten sie zusammen. Hier ein Foto aus dem Oktober 2002 mit Petra Pau (M.), damals stellvertretende PDS-Bundesvorsitzende.
Schon seit den Zeiten, als die Partei noch PDS hieß, arbeiten sie zusammen. Hier ein Foto aus dem Oktober 2002 mit Petra Pau (M.), damals stellvertretende PDS-Bundesvorsitzende. © picture alliance/AP | Jens Meyer
Wagenknecht beim Bundesparteitag in Leipzig im Juni 2018 mit der restlichen aktuellen Linken-Spitze (v.l.): die Parteichefs Bernd Riexinger (r.) und Katja Kipping sowie Dietmar Bartsch.
Wagenknecht beim Bundesparteitag in Leipzig im Juni 2018 mit der restlichen aktuellen Linken-Spitze (v.l.): die Parteichefs Bernd Riexinger (r.) und Katja Kipping sowie Dietmar Bartsch. © imago | Sammy Minkoff
Geboren wurde Wagenknecht als Tochter eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter am 16. Juli 1969 in Jena.
Geboren wurde Wagenknecht als Tochter eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter am 16. Juli 1969 in Jena. © REUTERS | REUTERS / ALEX DOMANSKI
Ab den frühen 1990er Jahren hatte Wagenknecht maßgebliche Funktionen in verschiedenen Vorstandsgremien der PDS inne.
Ab den frühen 1990er Jahren hatte Wagenknecht maßgebliche Funktionen in verschiedenen Vorstandsgremien der PDS inne. © imago/Detlev Konnerth | imago stock&people
Die 29-jährige Reformkommunistin beim Verteilen von Flugblättern in Dortmund im September 1998.
Die 29-jährige Reformkommunistin beim Verteilen von Flugblättern in Dortmund im September 1998. © REUTERS | REUTERS / Str Old
Wagenknecht im Januar 2000 in Berlin beim traditionellen Gedenkmarsch für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
Wagenknecht im Januar 2000 in Berlin beim traditionellen Gedenkmarsch für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. © picture-alliance / Berliner_Zeit | dpa Picture-Alliance / Herschelmann Kay
Diese Aufnahme zeigt die damalige Chefin der „Kommunistischen Plattform“ der PDS beim Bundesparteitag im Oktober 2002 in Gera.
Diese Aufnahme zeigt die damalige Chefin der „Kommunistischen Plattform“ der PDS beim Bundesparteitag im Oktober 2002 in Gera. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content
In der Flüchtlingsdebatte bezieht Sahra Wagenknecht klar Stellung. Mit ihrem Vorschlag, Arbeitsmigration einzuschränken, stieß sie in ihrer Partei auf heftigen Gegenwind.
In der Flüchtlingsdebatte bezieht Sahra Wagenknecht klar Stellung. Mit ihrem Vorschlag, Arbeitsmigration einzuschränken, stieß sie in ihrer Partei auf heftigen Gegenwind. © imago/Eibner | imago stock&people
Auch bei Demonstrationen gegen einen militärischen Einsatz westlicher Truppen in Syrien ist Sahra Wagenknecht häufig zu sehen, hier bei einer Demo 2015 in Berlin. Seit 2013 trägt Wagenknecht einen Doktortitel. Sie promovierte im Fach Volkswirtschaftslehre. Titel der in englischer Sprache verfassten Dissertation: „Die Grenzen der Auswahl. Sparentscheidungen und Grundbedürfnisse in entwickelten Ländern“.
Auch bei Demonstrationen gegen einen militärischen Einsatz westlicher Truppen in Syrien ist Sahra Wagenknecht häufig zu sehen, hier bei einer Demo 2015 in Berlin. Seit 2013 trägt Wagenknecht einen Doktortitel. Sie promovierte im Fach Volkswirtschaftslehre. Titel der in englischer Sprache verfassten Dissertation: „Die Grenzen der Auswahl. Sparentscheidungen und Grundbedürfnisse in entwickelten Ländern“. © imago/IPON | imago stock&people
Sie hat viel von ihrer Schärfe früherer Jahre abgelegt, tritt aber immer noch für eine Überwindung des Kapitalismus in Deutschland ein.
Sie hat viel von ihrer Schärfe früherer Jahre abgelegt, tritt aber immer noch für eine Überwindung des Kapitalismus in Deutschland ein. © REUTERS /
Im Bundestag ruft sie regelmäßig gereizte Reaktionen der anderen Parteien hervor.
Im Bundestag ruft sie regelmäßig gereizte Reaktionen der anderen Parteien hervor. © dpa | Britta Pedersen
Unvergessen: Beim Linke-Bundesparteitag im Mai 2016 in Magdeburg gab es einen Tortenangriff auf die Politikerin.
Unvergessen: Beim Linke-Bundesparteitag im Mai 2016 in Magdeburg gab es einen Tortenangriff auf die Politikerin. © imago/Christian Schroedter | imago stock&people
Als kontrollierte und ehrgeizige Rednerin kann die Frau von Oskar Lafontaine Zuhörer für sich einnehmen.
Als kontrollierte und ehrgeizige Rednerin kann die Frau von Oskar Lafontaine Zuhörer für sich einnehmen. © REUTERS | REUTERS / HANNIBAL HANSCHKE
Seit Ende 2014 ist sie mit dem früheren Ministerpräsidenten des Saarlandes, Ex-SPD-Kanzlerkandidaten und späteren Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Linken in zweiter Ehe verheiratet.
Seit Ende 2014 ist sie mit dem früheren Ministerpräsidenten des Saarlandes, Ex-SPD-Kanzlerkandidaten und späteren Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Linken in zweiter Ehe verheiratet. © imago/Becker&Bredel | imago stock&people
Am 4. September stellte die Linksfraktionschefin die neue politische Sammlungsbewegung „Aufstehen“ vor. Mit der von ihr gegründeten parteiübergreifenden Initiative wollen Wagenknecht und Lafontaine linke Wähler erreichen, die sich von den klassischen Parteien abgewendet haben.
Am 4. September stellte die Linksfraktionschefin die neue politische Sammlungsbewegung „Aufstehen“ vor. Mit der von ihr gegründeten parteiübergreifenden Initiative wollen Wagenknecht und Lafontaine linke Wähler erreichen, die sich von den klassischen Parteien abgewendet haben. © dpa | Bernd von Jutrczenka
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Bisher hat Aufstehen knapp 170.000 Unterstützer – im Internet. Es gibt 180 Ortsgruppen. Ziel ist unter anderem, Druck auf die anderen linken Parteien auszuüben – und so deren Politik zu verändern. Doch prominente Sozialdemokraten und Grüne haben sich Wagenknecht bisher nicht angeschlossen. Es ist eher eine One-Woman-Show.

Vorbild ist die Sammlungsbewegung von Jean-Luc Mélenchon, der Franzose holte bei der Präsidentenwahl fast 20 Prozent. Im nächsten Jahr soll irgendwann ein Aufstehen-Bundeskongress stattfinden. „Wir brauchen in Zukunft bei Aufstehen mehr neue, junge Gesichter an der Spitze“, sagt Wagenknecht. „Aufstehen hat da viel Potenzial.“

Gegner glaube, dass Aufstehen tot ist

Die Bilanz ihrer Gegner fällt, auch nicht überraschend, negativ aus. Sie glauben, dass Aufstehen tot ist. Sie verweisen auf eine Protestkundgebung am 9. November vor dem Brandenburger Tor, zu der etwa 1000 Menschen kamen. Das sei in einer Stadt wie Berlin so gut wie nichts. Wagenknecht wehrt ab: „Das war ja nicht als große Kundgebung geplant.“ Sie sei positiv überrascht gewesen, dass 1000 Menschen gekommen sind. „Im nächsten Jahr sind größere Protestkundgebungen geplant.“

Mit Sehnsucht blickt Wagenknecht nach Frankreich, wo die Gelbwesten demonstrieren. Gut möglich, dass sie selbst bald eine gelbe Weste überziehen wird. „Die Gelbwesten sind jetzt das Symbol einer starken Protestbewegung gegen den Präsidenten der Reichen“, sagt sie. „Deshalb hätte ich kein Pro­blem damit, eine gelbe Weste zu tragen.“ Die Gelbwesten hätten den französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu Korrekturen gezwungen. „Die Gewalt zeigt auch, wie viel Wut sich aufgestaut hat.“

Natürlich sei das nicht gut. Aber die Protestkultur in Frankreich sei eben auch eine andere als in Deutschland. „Und es ist in keinem Fall legitim, die Gelbwesten auf Gewalt zu reduzieren. Wir haben es mit einer breiten Bewegung zu tun, mit der sich Tausende Schüler und sogar die Polizeigewerkschaft solidarisch erklärt haben.“ Der Forderungskatalog – höhere Löhne, bessere Renten, Investitionen in die öffentliche Infrastruktur – sei ein absolut vernünftiges Programm, sagt Wagenknecht.

Wagenknecht: „Wollen linkes Lager zusammenführen“

Sahra Wagenknecht.
Sahra Wagenknecht. © Getty Images | Sean Gallup

„Hier haben sich Menschen eine Stimme verschafft, die von der Politik nie gehört wurden.“ In einer ähnlichen Lage sei auch in Deutschland ein nicht geringer Teil der Bevölkerung. Doch wird Aufstehen jemals auch nur annähernd so viel Durchschlagskraft haben wie die Gelbwesten? Das glauben nur wenige. Der Berliner Soziologe Dieter Rucht sieht Aufstehen eher von „professioneller PR statt Dialog“ geprägt. Das Projekt dürfte „mittelfristig ins Stocken geraten“, analysiert er in einer Studie für das Institut für Protest- und Bewegungsforschung.

Und Manfred Güllner, Chef des Umfrageinstituts Forsa, sieht bei der Sammlungsbewegung nur wenig Durchschlagskraft. „Aufstehen ist in der breiten Bevölkerung bisher nicht wahrgenommen worden“, sagt Güllner unserer Redaktion. Er erinnert daran, dass es in der Geschichte öfter Abspaltungen bei linken Parteien gegeben hat, etwa in der Weimarer Republik. „Auch Aufstehen könnte zu einer Spaltung der Linken führen.“

Das glauben auch manche Wagenknecht-Gegner. Doch sie lässt keine Ambitionen erkennen. „Wir wollen das linke Lager nicht zersplittern. Wir wollen es zusammenführen“, sagt Wagenknecht. Und: „Die Linke ist meine Partei. Ich bin Fraktionsvorsitzende, und diese Funktion schließt es aus, nebenbei eine konkurrierende Partei an den Start zu bringen.“ Doch ihre Gegner glauben, dass sie auf jeden Fall gehen wird – am liebsten als Märtyrerin, um dann mit ihrer neuen Partei möglichst viele Stimmen einzufahren.

Zum Bruch könnte es nächstes Jahr kommen

Und hinter dem Streit mit den Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger über die Arbeitsmigration steckt laut Wagenknecht mehr: „Es geht um die Frage: Welche Schichten wollen wir als linke Partei vor allem erreichen und vertreten?“ Es reiche nicht, akademische Milieus in Großstädten anzusprechen. „Wir sind als linke Partei verpflichtet, vor allem die Menschen zu erreichen, denen es nicht gut geht. Wenn diese Menschen keine Partei im linken Spektrum mehr haben, von der sie sich ernst genommen und repräsentiert fühlen, dann ist die Gefahr groß, dass sie zu einer rechten Partei gehen.“

Und wenn Wagenknecht doch ihre eigene Partei gründet? Wahlforscher Güllner sieht das so: „Bei einer Bundestagswahl würde eine Wagenknecht-Partei nur das linke Potenzial spalten und vielleicht sechs bis sieben Prozent einfahren.“ Die Linke bekäme dann auch nur noch sechs bis sieben Prozent.

Zum Bruch könnte es nächstes Jahr im Oktober kommen, nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Der Osten war das Stammland der Vorgängerpartei PDS, sie war hier Volkspartei. Der Status bröckelt aber, spätestens seitdem die AfD viele unzufriedene Wähler einsammelt. Manche Linke rechnen im Osten mit hohen Verlusten wie bei der Bundestagswahl – und mit anschließenden Chaostagen in der Partei. Einer sagt: „Danach bleibt hier kein Stein auf dem anderen.“