Kattowitz. Auf der UN-Klimakonferenz ist ein völkerrechtlich verbindliches Regelbuch beschlossen worden. Es gilt als historischer Durchbruch.
Endlose Debatten, handfester Streit in Hinterzimmern und Egotrips auf den letzten Metern haben den UN-Klimagipfel im polnischen Kattowitz an den Rand des Stillstands gebracht.
Nach zwei Wochen, einer Extra-Nacht und einem Extra-Tag haben sich die Vertreter von fast 200 Staaten doch noch auf ein 133-seitiges Regelwerk für die Umsetzung des Weltklimavertrags von Paris geeinigt. Es gilt als historischer Durchbruch in den internationalen Klimaverhandlungen, denn erstmals gibt es nun einheitliche und vergleichbare Regeln.
2015 hatte der Klimavertrag von Paris quasi wie ein Grundgesetz nur den Rahmen vorgegeben: Oberstes Ziel ist, die Erderwärmung auf unter zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, den Anstieg möglichst aber schon bei 1,5 Grad zu stoppen. In Kattowitz wurden nun die Regeln für die Klimaschutzmethoden vereinbart. Das sind die wichtigsten Ergebnisse.
• Messung von Treibhausgasen:
Lange war dieses Thema einer der zentralen Knackpunkte der Konferenz. Einheitliche und transparente Regeln sollen dafür sorgen, dass die Klimaschutz-Anstrengungen der Staaten miteinander vergleichbar sind.
Kein Land soll schummeln können, kein anderes sich übervorteilt fühlen, wenn die Staaten künftig darüber berichten, wie hoch ihr Treibhausgasausstoß ist und welche Fortschritte sie mit ihren Klimaschutzmaßnahmen erreicht haben.
Beschlossen wurde: Ab 2024 sollen alle Länder nach denselben Regeln berichten. Arme Länder erhalten allerdings Zeit, um die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Das Pariser Abkommen beruhe auf dem gegenseitigen Vertrauen, dass alle Staaten ihren Beitrag zum Klimaschutz leisteten, kommentierte Bundesumweltministerin Svenja Schulze die Einigung. „Darum ist es entscheidend, dass jeder sehen kann, was der andere tut.“
• Anerkennung des IPCC-Berichts:
Die Warnungen der Klimaforscher überschatteten die Konferenz. Der Weltklimarat IPCC hatte vor wenigen Wochen einen Bericht zu dem Ziel vorgelegt, die Erderwärmung auf nur 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Das Fazit des Berichts: Das 1,5-Grad-Ziel kann nur noch mit radikalen Maßnahmen erreicht werden.
Zwei Grad Erwärmung aber hätten aus Sicht der Forscher drastische Folgen, etwa den Verlust der Korallenriffe oder einen weiteren Anstieg der Meeresspiegel. Ohne zusätzliche Anstrengungen steuere die Welt sogar auf drei bis vier Grad Erwärmung zu. Die Forscher stellten damals auch fest, dass die bislang freiwillig abgegeben Klimaschutzzusagen der Länder überhaupt nicht ausreichen.
In Kattowitz stritten die Delegierten darüber, wie prominent der Gipfel diesen 1,5-Grad-Bericht im Abschlussdokument hervorhebt. Aus Sicht der von Klimafolgen besonders bedrohten Länder wie etwa den kleinen Inselstaaten war dies keine diplomatische Wortklauberei, sondern eine Anerkennung, dass mehr zum Schutz des Klimas getan werden müsse.
Eisbären leiden unter dem Klimawandel
Ausgelöst hatten den Streit Saudi-Arabien und die USA, zeitweise unterstützt durch andere arabische Länder und durch Russland. „Sie wollten eindeutige Bezüge auf die Klimawissenschaft verhindern“, kritisierte Christoph Bals von der Umweltorganisation Germanwatch.
Beschlossen wurde nun eine Kompromissformulierung. In der Abschlusserklärung wird den Wissenschaftlern für ihre Arbeit gedankt, inhaltlich aber wird auf den Bericht nicht wirklich eingegangen.
• Mehr Ehrgeiz im Klimaschutz:
Spannungen gab es rund um die Frage, welche Konsequenzen aus dem IPCC-Bericht gezogen werden müssen. Besonders betroffene Länder hatten im Laufe der Verhandlungen gefordert: Schon in den Jahren bis 2020 müssen die Staaten ihre Klimaziele erhöhen, damit weniger Treibhausgase in die Luft kommen.
Beschlossen wurde, dass ab 2023 alle fünf Jahre Bilanz gezogen wird, welchen Fortschritt die Länder bei ihren Klimaschutzzielen erzielt haben und welche weiteren Anstrengungen sie unternehmen müssen. Schärfere Klimaziele aber sind in der Abschlusserklärung von Kattowitz nicht festgeschrieben.
Erwähnt wird lediglich die bereits in Paris vereinbarte Aufforderung, dass die Länder bis 2020 ihre Ziele für 2030 einreichen oder aktualisieren sollen. „Ein Jahr voller Klimakatastrophen und eindringliche Warnungen der besten Wissenschaftler weltweit hätten zu viel mehr führen sollen“, sagte dazu Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan.
Tote bei Waldbränden in Kalifornien
• Entschädigung für arme Länder:
Hier brachen die alten Gräben zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern auf. Der Sprecher der Gruppe der ärmsten Staaten, der Äthiopier Gebru Jember Endalew, sagte: „Wir fordern Gerechtigkeit, um zu überleben. Wir sind nicht verantwortlich für die Katastrophe, die uns allen droht.“
Die armen Länder kämpften in Kattowitz darum, das Thema Schäden und Verluste durch den Klimawandel in die Berichte der Staaten aufzunehmen. Damit gemeint sind die Folgen, die aufgrund des Klimawandels arme Länder treffen könnten: Dürren, die zu Ernteausfällen führen, Verwüstungen durch Stürme oder Überflutungen.
In Entwürfen des Abschlussdokuments war das Thema in eine Fußnote gerutscht. Doch der Protest der Entwicklungsländer hatte Erfolg: In der Endfassung steht das Thema im Haupttext. Eine völkerrechtliche Pflicht zur Entschädigung ärmerer Staaten durch Industrieländer entsteht daraus nicht.
• Finanzhilfen für den Klimaschutz:
Kern der Debatte war, wie verlässlich und vorausschauend die Industriestaaten armen Ländern Geld zu Verfügung stellen. Mit den Mitteln soll es ihnen etwa ermöglicht werden, klimaschonendere Technologien zu nutzen oder sich an die Folgen der Erderwärmung anzupassen – etwa durch den Bau von Deichen. Auch sollen betroffene Länder nach Naturkatastrophen Geld für den Wiederaufbau erhalten.
Zugesagt haben die reichen Länder, ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar pro Jahr an öffentlichen und privaten Mitteln auszuzahlen. Deutschland hat in Kattowitz eine Verdoppelung seines Beitrags zum sogenannten Grünen Klimafonds auf 1,5 Milliarden Euro zugesagt. Hinzu kamen weitere 70 Millionen Euro für den Anpassungsfonds sowie 68 Millionen Euro für die globale Partnerschaft zur Umsetzung der nationalen Klimaziele.
Deutschland ist in der Klimafinanzierung einer der größten Beitragszahler. Afrika und Asien dürften das meiste Geld empfangen.
Beschlossen wurde, dass die Geberländer künftig allgemein angeben müssen, welche Hilfen sie geben wollen. Wie viel und an welches Land genau ist damit aber nicht festgelegt. Wie es ab 2025 weitergeht, wird ab 2020 besprochen.
• Weltweite Kohlenstoffmärkte:
Am Ende war das der Punkt, der die Konferenz in die Verlängerung zwang. Gerungen wurde um Marktmechanismen: Länder können im Klimaschutz zusammenarbeiten und mit CO2-Zertifikaten handeln. Möglich ist, andere Länder im Klimaschutz zu unterstützen, etwa durch Aufforstungen. Diese Maßnahmen können sie sich dann auf das eigene Klimakonto anrechnen lassen.
Um Schummeleien zu vermeiden, sind „wasserdichte“ Formulierungen nötig – hier aber scherte Brasilien aus: Laut Germanwatch versuchte das Land, „Riesenschlupflöcher hineinzuverhandeln“.
Beschlossen wurde, dass das Thema auf das nächste Jahr vertagt wird.
• Klimaschutz in Deutschland:
Derzeit berät eine Kommission, wie der Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohle-Stromproduktion laufen soll. Auch zum Klimaschutz im Verkehr tagt eine Arbeitsgruppe. Laut Koalitionsvertrag soll im kommenden Jahr ein Klimaschutzgesetz für den Bund verabschiedet werden.
Darin sollen für die Sektoren Energiewirtschaft, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Industrie verbindliche Ziele vorgeschrieben werden. Für Verbraucher würde das strengere Vorgaben bei der Dämmung der Häuser oder schärfere CO2-Ziele für Pkw bedeuten.