Berlin. Der Tatverdächtige von Straßburg, Chérif C., war französischen Behörden bekannt. Wie überwachen deutsche Behörden Terrorverdächtige?

Passiert ein Anschlag, ist der Attentäter – wie Chérif C. – erfahrungsgemäß polizeibekannt. Der Abgleich im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) ergibt beim Täter von Straßburg keinen Treffer. Er ist dem deutschen Geheimdienst nicht als Islamist bekannt. Ebenso wenig findet sich sein Name in der Datenbank Islamismus (DABIS) vom Bundeskriminalamt (BKA).

Er wird nicht als einer der bundesweit 774 islamistischen „Gefährder“ geführt. Das sind laut Gesetz Menschen, von denen die Sicherheitsbehörden annehmen, dass sie eine politisch motivierte Straftat von erheblicher Bedeutung begehen wollen. Gut die Hälfte von ihnen befindet sich im Land, 153 in Haft.

Das undatierte Foto, von der französischen Polizei zur Verfügung gestellt, zeigt Cherif C.
Das undatierte Foto, von der französischen Polizei zur Verfügung gestellt, zeigt Cherif C. © dpa | Uncredited

Chérif C. galt den Deutschen „nur“ als Krimineller. In Singen war der Franzose wegen schweren Diebstahls verurteilt worden. Gefährder werden beobachtet, um Bedrohungen frühzeitig zu erkennen und um sie beim erstbesten Anlass strafrechtlich zu verfolgen – und abzuschieben, wenn sie denn Ausländer sind. Wie schwer das in der Praxis ist, zeigt das Beispiel Sami A., dem mutmaßlichen Leibwächter des Terrorführers Osama bin Laden, der widerrechtlich abgeschoben wurde und auf gerichtliche Anweisung hin zurückgeholt werden soll.

Wie viele Ermittler an einer Beobachtung von Gefährdern beteiligt sind

Es ist ein großer Aufwand, jeden Gefährder sieben Tage lang 24 Stunden zu beobachten, „unter Wind zu halten“, wie die Ermittler sagen. Der frühere Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, hat am Beispiel von drei Islamisten, die in Schleswig-Holstein gut neun Monate lang rund um die Uhr überwacht wurden, folgende Rechnung für eine 24/7-Maßnahme aufgemacht: 22.000 Observationsstunden.

Anschlag in Straßburg: Was man jetzt wissen muss

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    Das sei etwa so, „als wenn 150 Mitarbeiter einen ganzen Monat nichts anderes machen, als drei Leute zu observieren.“ Man muss vier bis sechs Teams einsetzen, jedes mit etwa zehn Mann; Expertenarbeit, mindestens 35 bis 40 Leute am Tag. Der Aufwand ist umso größer, je mobiler ein Gefährder ist. Der Berliner Attentäter Anis Amri war oft auf Achse.

    Bewertungssystem RADAR-iTE kategorisiert Gefährder

    So bleibt den Behörden nichts weiter übrig, als zwischen Gefährdern zu differenzieren und eine Prioritätenliste aufzustellen. Das macht das BKA mit einem Bewertungssystem namens RADAR-iTE. Damit finden die Ermittler heraus, von welchen Gefährdern in ihrer Datei das größte Risiko ausgeht. Das System basiert auf Antworten zu 73 Fragen.

    Das Ergebnis ist eine Risikoskala, je nachdem, ob von jemand ein hohes oder ein eher moderates Risiko ausgeht: Rot, Orange, Gelb. Etwa 42 der Gefährder sind unter Rot eingestuft. In Sicherheitskreisen gibt es Befürworter der Fußfessel, es erleichtert die Beobachtung, wenn man erfährt, wo sich jemand aufhält. Aber praktisch angewandt wird die Fußfessel auf Bundesebene in keinem Fall.

    Schüsse in Straßburg: Tote und Verletzte

    Eingang des Weihnachtsmarktes: In Straßburg fielen Schüsse in der Innenstadt. Es gab mehrere Tote und Verletzte. Der Täter wurde von der Polizei erschossen.
    Eingang des Weihnachtsmarktes: In Straßburg fielen Schüsse in der Innenstadt. Es gab mehrere Tote und Verletzte. Der Täter wurde von der Polizei erschossen. © dpa | -
    Er befand sich auf der Flucht, war von den Behörden identifiziert worden.
    Er befand sich auf der Flucht, war von den Behörden identifiziert worden. © REUTERS | VINCENT KESSLER
    Polizisten hatten den Verdächtigen am Donnerstag auf der Flucht erkannt und gestellt – in einem Stadtviertel, in dem er zuvor auch verkehrte.
    Polizisten hatten den Verdächtigen am Donnerstag auf der Flucht erkannt und gestellt – in einem Stadtviertel, in dem er zuvor auch verkehrte. © REUTERS | CHRISTIAN HARTMANN
    Der Verdächtige eröffnete das Feuer auf die Polizisten und wurde dann von diesen erschossen. Am Tatort sicherten Polizisten danach Spuren.
    Der Verdächtige eröffnete das Feuer auf die Polizisten und wurde dann von diesen erschossen. Am Tatort sicherten Polizisten danach Spuren. © REUTERS | CHRISTIAN HARTMANN
    Die Ermittler behandeln den Fall als Terrorakt. Frankreich hat noch immer hohe Sicherheitskontrollen aufgrund der Terrorakte der Vergangenheit.
    Die Ermittler behandeln den Fall als Terrorakt. Frankreich hat noch immer hohe Sicherheitskontrollen aufgrund der Terrorakte der Vergangenheit. © REUTERS | VINCENT KESSLER
    Die Innenstadt in Straßburg war Minuten nach dem Vorfall abgeriegelt.
    Die Innenstadt in Straßburg war Minuten nach dem Vorfall abgeriegelt. © REUTERS | VINCENT KESSLER
    Das Innenministerium wies die Bürger an, in ihren Häusern zu bleiben oder Restaurants und Geschäfte nicht zu verlassen.
    Das Innenministerium wies die Bürger an, in ihren Häusern zu bleiben oder Restaurants und Geschäfte nicht zu verlassen. © dpa | Violetta Heise
    Auch das Europaparlament war zeitweise abgeriegelt.
    Auch das Europaparlament war zeitweise abgeriegelt. © REUTERS | VINCENT KESSLER
    Polizisten, Soldaten und eine Spezialeinheit waren in der Stadt unterwegs.
    Polizisten, Soldaten und eine Spezialeinheit waren in der Stadt unterwegs. © REUTERS | VINCENT KESSLER
    Spezialkräfte nahmen die Suche nach dem Verdächtigen auf.
    Spezialkräfte nahmen die Suche nach dem Verdächtigen auf. © REUTERS | VINCENT KESSLER
    Die Polizei ist mit Sturmgewehren vor Ort.
    Die Polizei ist mit Sturmgewehren vor Ort. © REUTERS | VINCENT KESSLER
    Ermittler befragten nach dem Anschlag Augenzeugen in einem Restaurant.
    Ermittler befragten nach dem Anschlag Augenzeugen in einem Restaurant. © dpa | Milja Rämö
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    Wer sich lange Zeit unauffällig verhält, fällt auf der Prioritätenliste zurück. So kann es passieren, dass ein als besonders gefährlich eingestufter Islamist wie Halil D. sich im November unbemerkt in die Türkei absetzt. Er war zwar verpflichtet, einen Auslandsaufenthalt anzuzeigen, gegen ihn lag aber kein Verbot vor, Deutschland zu verlassen.

    Wie Deutschland führt jeder EU-Staat eine Gefährder-Kartei, mal enger, mal weiter gefasst. Die französische Fiche S soll 26.000 Namen enthalten. Die deutschen Behörden haben keine direkte Einsicht, aber sie können die europäischen Partner abfragen. Es gibt keine gemeinsame europäische Datei; der Weg dorthin ist nach Ansicht von Experten „weit“. Nach dem Anschlag 2001 in New York haben die Geheimdienste die Counter Terrorism Group gegründet – und dort eine Plattform auf europäischer Ebene, um sich auszutauschen.