Berlin. Überraschende Wende bei der Aktion vom Zentrum für politische Schönheit: Mit dem Online-Pranger sollten Rechtsextreme angelockt werden.

Das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) hat seine umstrittene Denunziationsplattform „Soko Chemnitz“ aufgelöst und für eine überraschende Wendung gesorgt: Ziel der Seite sei es gewesen, dass sich Rechtsextreme durch Suchen ihres Namens selbst identifizieren.

Die Aktivisten und Aktionskünstler hatten am Montag die Webseite freigeschaltet und dazu aufgerufen, mögliche Straftäter und Rechtsextreme, die sich bei den Chemnitz-Demonstrationen Ende Augst beteiligt hätten, zu melden. Dafür versprach das ZPS finanzielle Belohnung.

Suchfunktion auf soko-chemnitz war das eigentliche Ziel

Nun stellt sich heraus: Die Aktion war ein „Honigtopf“, eine gezielte Ablenkung mit einem anderen Ziel: „Ihr liefert uns Euer gesamtes Netzwerk selbst aus und zwar ohne es zu merken. Das wichtigste Element dieser Seite: die Suchfunktion. Über die Suche habt Ihr uns mehr mitgeteilt, als öffentlich zugängliche Quellen je verraten hätten“, schreibt das ZPS auf der Soko-Chemnitz-Seite. Süffisant bedankt sich das ZPS zudem bei den Rechtsextremen für deren Mithilfe und für „das vorzeitige Weihnachtsgeschenk“.

Wohl 2,5 Millionen Besucher der Webseite

Über 2,5 Millionen Besucher habe die Seite in den knapp drei Tagen, in denen sie online war, gezählt, teilte das ZPS auf Anfrage mit. „Wir werden nun diesen riesen Datensatz gemäß der Datenschutzgrundverordnung auswerten“, sagte ZPS-Aktivistin Zora Kich unserer Redaktion.

Bei der Suchfunktion auf der Seite sei eine Funktion eingebaut worden, die nach Relevanz die Suchen gewichte. „Wer Namen wie Björn Höcke gesucht hat, wurde bei weiteren Suchanfragen eher niedrig eingestuft. Wer dagegen Namen weniger bekannte Namen gesucht hat, wurde bei den folgenden Anfragen höher gelistet, die dort gesuchte Namen hatten also eine höhere Relevanz“, erklärte Kich das Vorgehen.

Dieses Ranking ermöglichte dem ZPS laut der Webseite eine einfache Ergebnissicherung: „Mittels Netzwerkanalyse und Datenvisualisierung waren Freundeskreise, Knotenpunkte, Mitläufer relativ einfach auswertbar.“

Nur wenige Profile waren zu sehen

Die Aktion war in den letzten Tagen scharf kritisiert worden, unter anderem auch wegen datenschutzrelevanter Bedenken. Nun gab das ZPS bekannt, dass jeder Besucher der Seite lediglich eine Auswahl aus 20 Profilen pro Kategorie zu sehen bekomme habe. ZPS-Gründer Philipp Ruch hatte auf einer Pressekonferenz am Montag betont, dass über 1500 Demonstranten identifiziert worden seien, zum Teil mit Vor- und Nachnamen sowie zusätzlichen Eigenschaften, wie der Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Vereinigung wie „Der 3. Weg“ oder dem Hobby Kampfsport.

Ruch wies darauf hin, dass die interne Rechtsabteilung bei einzelnen Profilen Bedenken angemeldet habe und man die Fotos entfernen lasse. So verfestigte sich das Bild einer breiten Auswahl an Profilen, auf die das ZPS bereits zurückgreifen könne. Die wirklich relevante Funktion der Aktion, die Suchleiste auf der Homepage, fand dagegen kaum Beachtung.

1552 Demonstranten wurden identifiziert

„Viele von Euch braunen Mobbern haben dann sofort die Suchfunktion genutzt und oftmals zuerst den eigenen Namen gesucht“, heißt es auf der Webseite. Gemäß der Datenschutzbestimmungen seien die Suchdaten mitgeloggt und einer pseudonymisierten Benutzerkennung zugewiesen worden.

Im Schnitt sei auf der Seite nach 6,72 Freunden oder Bekannten gesucht wurden, teilt das ZPS mit. Schon bevor die Seite online gegangen war, konnte das ZPS nach eigenen Angaben 1552 Demonstranten identifizieren. In Chemnitz nahmen laut Polizeiangaben rund 6000 Demonstranten an der angemeldeten Versammlung der rechtspopulistischen Bürgerbewegung Pro Chemnitz teil. Viele Demonstranten blieben also unerkannt. Sie sollten sich mit der Seite selbst überführen.

Juristisches Vorgehen gegen Polizei bleibt bestehen

Die Polizei hat ein Ladenlokal des ZPS in Chemnitz geräumt.
Die Polizei hat ein Ladenlokal des ZPS in Chemnitz geräumt. © imago/HärtelPRESS | imago stock

Während der Online-Pranger aus dem Netz verschwunden ist, wird das ZPS ihr juristisches Vorgehen gegen die Chemnitzer Polizei fortsetzen. Ein Laden in Chemnitz, bei dem einzelne Plakate aushingen, wurde zudem von der Polizei geräumt, nach dem die Aktion bekannt geworden war. Als Begründung wurde die „Gefahrenabwehr“ in Kombination „Verdacht einer Straftat nach dem Kunsturhebergesetz“.

In sozialen Netzwerken war von einigen Usern zu Sachbeschädigung und Brandstiftung aufgerufen worden. Das nahm die Polizei als Grundlage, um den Laden zu öffnen und die Einrichtung sicherzustellen. Anschließend wurde das Schloss ausgetauscht und der Schlüssel an den Vermieter übergeben.

„Das Vorgehen der Polizei in Chemnitz haben wir nicht erwartet, maximal befürchtet. Über das Handeln der Polizei sind wir zutiefst schockiert. Die Polizei hat in der vorauseilenden Gehorsam einiger weniger rechter Pöbler gehandelt und das mit Gefahrenabwehr begründet“, kritisierte Zich. Das ZPS werde daher weiter juristisch gegen die Polizei wegen Hausfriedensbruch vorgehen. Zudem fordere es die sichergestellten Plakate zurück.

ZPS fordert Schlüssel für Büroräume zurück

Auch fordert das ZPS vom Eigentümer der Ladenfläche, der Grundstücks- und Gebäudewirtschafts-Gesellschaft (GG), ein Tochterunternehmen der Stadt Chemnitz, die Herausgabe des Schlüssels. Die GGG hatte nach Bekanntwerden der Aktion dem ZPS den Mietvertrag fristlos gekündigt. Auf Anfrage erklärte die GGG, dass die Anmietung nicht durch das ZPS erfolgt sei.

Aktivistin Zich wies diese Begründung als „fadenscheinig“ zurück: „Natürlich haben wir unsere wahren Daten angegeben, anders kann man einen Mietvertrag nicht schließen. Wenn der Vermieter uns nicht kennt oder nicht weiß, was wir machen, dann muss er sich im Vorfeld informieren. Das geht ja auch einfach über unsere Homepage.“ Bei der Polizei in Chemnitz sind derweil bereits neun Strafanzeigen gegen die Aktion eingegangen. Große Sorgen macht sich das ZPS deswegen nicht. Nach eigenen Angaben habe man keinen einzigen seiner 30 Rechtsstreitigkeiten vor Gericht verloren.