Berlin. Städtetagspräsident Markus Lewe über Hardware-Nachrüstungen für Dieselautos, drohende Fahrverbote und mehr Förderung für Radfahrer.

Berlin, Frankfurt, Hamburg und Stuttgart: Die Liste der Großstädte, in denen Dieselfahrverbote drohen oder sie bereits eingerichtet sind, wird länger. Am Donnerstag wird vor dem Verwaltungsgericht Köln über Fahrverbote in Köln und Bonn verhandelt. In den Kommunen wächst der Zorn auf die Pkw-Hersteller. Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetags, kann die bremsende Haltung der Branche nicht mehr nachvollziehen.

Beim Diesel droht ein Flickenteppich aus Fahrverboten und Ausnahmeregelungen in den Städten. Blicken Sie noch durch?

Markus Lewe: Wir müssen das Vertrauen der Autofahrerinnen und Autofahrer wieder herstellen. Sie dürfen nicht in die Lage geraten, mit ihren Autos nicht mehr durch die Städte fahren zu dürfen. Wir tun als Städte alles dafür, damit Fahrverbote vermieden werden. Aber die Städte allein können das nicht schaffen, weil Diesel-Pkw die Hauptquelle für Stickoxid sind. Deshalb legen wir größten Wert darauf, dass die Automobilindustrie rasch die zugesagten Austauschprämien für den Autokauf umsetzt, aber auch die Hardware-Nachrüstung. Der Idealfall für den Umstieg wäre: Jemand fährt seinen alten Diesel zum Händler – und dann mit einem gleichwertigen sauberen Auto wieder nach Hause, und zwar ohne Zuzahlung.

Solche Lösungen sind mit der Autoindustrie offenbar nicht zu machen.

Lewe: Wie gut die Prämien wirken, werden wir sehen. Und bei der Hardware-Nachrüstung müssen alle Autohersteller endlich von der Bremse runtergehen. Die Automobilindustrie muss ihrer Verantwortung gerecht werden, auch weil diese Industrie sehr wichtig für Deutschland ist und viele Arbeitsplätze daran hängen. Ich verstehe nicht, warum die Autobranche sich nicht – auch wenn es kurzfristig Geld kostet – auf einen anderen Kurs einlässt. Die Unternehmen könnten eine positive Geschichte erzählen: Wir bauen und verbessern Autos, damit sie modern sind und das Leben und die Gesundheit der Menschen berücksichtigen. Eine bessere Botschaft kann es doch gar nicht geben.

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    Was, wenn die Fahrverbote doch kommen?

    Lewe: Dann ist die blaue Plakette die beste Lösung. Die Plakette macht sichtbar, welche Autos in die Innenstädte dürfen. Unabhängig davon muss der Fahrradverkehr stärker gefördert werden, und wir brauchen einen guten öffentlichen Nahverkehr. Viele Menschen verlieren zu viel Lebenszeit in Staus. Auch hier dürfen uns Bund und Länder nicht im Regen stehen lassen.

    Wie sieht für Sie die Stadt der Zukunft aus?

    Lewe: Wir brauchen intelligente, vernetzte Verkehrssysteme, mehr Schienenverkehr und mehr große Fahrradrouten. Wir müssen Stadt- und Umlandverkehr so organisieren, dass sich der Verkehr verringert. Es geht darum, die Blechlawinen aus den Innenstädten rauszuholen. Teilweise über 20 Prozent des Verkehrs in den Städten ist Parksuchverkehr. Viele Flächen in den Städten werden von Autos zugeparkt. Diese Flächen müssen wir anders nutzen können. Ich wünsche mir, dass wir wieder mehr Raum für Freizeit und Begegnung in den Städten haben.

    In vielen Großstädten wird der Wohnraum aber immer knapper. Die Koalition plant nun eine Offensive mit 1,5 Millionen neuen Wohnungen bis 2021. Ist das zu schaffen?

    Lewe: Das ist sehr ambitioniert, aber nötig. Für die wachsenden Städte ist besonders wichtig, dass pro Jahr 80.000 bis 120.000 Sozialwohnungen gebaut werden. Das wird viel Anstrengung kosten. Das größte Problem dabei sind die Baugrundstücke: Bebaubare Flächen in Innenstadtlagen sind ein knappes Gut. Um dieses zu aktivieren, brauchen wir ein Bündel an Maßnahmen.

    Was schwebt Ihnen vor?

    Lewe: Brachflächen müssen schneller bebaut werden. Dabei würde ein Wohnbauland- und Erschließungsfonds des Bundes helfen, an dem sich auch die Länder beteiligen sollten. Die Kommunen könnten dann leichter Grundstücke kaufen und erschließen. Für mehr Wohnungsbau muss zudem das Baurecht vereinfacht werden. Wichtig wäre darüber hinaus, dass der Bund sein finanzielles Engagement in der Wohnungspolitik dauerhaft über 2021 hinaus fortsetzt. Die bisherigen Zusagen sind gut, reichen aber nur bis zum Ende der Legislaturperiode. Ziel ist, dass die Städte ihren Charakter nicht verlieren. In den europäischen Städten haben über Jahrhunderte Menschen aus allen Schichten auf engem Raum zusammengelebt. Die soziale Durchmischung gibt es immer weniger, und das ist nicht gut.

    Sehen Sie mancherorts bereits eine Getto­isierung?

    Lewe: Viele Städte haben in den vergangenen Jahren starken Zuzug erfahren, eine Gettoisierung, also die Konzentration einer Bevölkerungsgruppe in einem Viertel, erleben wir in Deutschland aber nicht. Die Herausforderung besteht ­darin, das Wachstum der Städte und Ballungsgebiete zu steuern. Klar ist: Wachsende Städte brauchen mehr Wohnraum, und zwar für alle Einkommensklassen. Bezahlbares Wohnen für Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen ist der Kitt für den sozialen Zusammenhalt in den Städten.

    Experten aus Politik und Bauwirtschaft ­sagen, es müssten jährlich 350.000 bis 400.000 neue Wohnungen in Deutschland entstehen, um die Not zu lindern. Im vergangenen Jahr wurden aber nur knapp 285.000 neue Wohnungen errichtet. Was passiert, wenn sich die Lage weiter zuspitzt?

    Lewe: Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum wird in vielen Städten zunehmend zum sozialen Problem, das immer breitere Schichten der Bevölkerung betrifft. Vor allem in Groß- und Universitätsstädten, aber inzwischen auch vielen mittleren Städten mit wachsenden Einwohnerzahlen ist es für weite Teile der Bevölkerung finanziell schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Diese Probleme dürfen sich nicht weiter verschärfen. Die Trendwende auf dem Wohnungsmarkt muss gelingen. Denn die Wohnungsfrage ist eine entscheidende soziale Frage unserer heutigen Zeit.