Offenburg. Ein Asylbewerber tötet in Offenburg einen Arzt. Die „Tagesschau“ meldete den Fall nicht – und erklärt nach Kritik nun die Entscheidung.

Knapp eine Woche nach dem gewaltsamen Tod eines Arztes in Offenburg haben mehrere Organisationen zu einem Trauermarsch aufgerufen. Der stille Zug soll an diesem Mittwoch (17.00 Uhr) von einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge zu der Hausarztpraxis führen, in der der 51 Jahre alte Mediziner am Donnerstag erstochen worden war.

Organisatoren des Trauerzuges sind Gruppen der Flüchtlingshilfe. Sie äußerten sich entsetzt über die Tat. „Indem wir unsere Bestürzung auf eine (stille) Art zum Ausdruck bringen, grenzen wir uns zugleich von dem Versuch ab, diese schreckliche Tat zur Stimmungsmache gegen Flüchtlinge zu nutzen.“

Der Fall löste bundesweit ein großes Medienecho aus. Eine Richterin erließ Haftbefehl wegen Mordverdachts. Das Motiv für den Angriff ist noch immer unklar.

Die Tat löste viele Reaktionen aus. Vor allem in den sozialen Netzwerken gab es heftige Diskussionen. Auch die „Tagesschau“ wurde dabei kritisiert – denn in Deutschlands meistgesehener Nachrichtensendung wurde nicht über den Fall berichtet.

„Tagesschau“-Chefredakteur erklärt Entscheidung

Wohl auch aus diesem Grund meldete sich am Samstag „Tagesschau“-Chefredakteur Kai Gniffke zu Wort. In einem langen Blogbeitrag, der auch auf Facebook geteilt wurde, erklärt er die Entscheidung der Nachrichtensendung, nicht über die Messerattacke in Offenburg zu berichten.

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„Wir berichten in der Tagesschau über Dinge von gesellschaftlicher, nationaler oder internationaler Relevanz. Dinge, die für die Mehrzahl der rund 83 Millionen Deutschen von Bedeutung sind“, heißt es in dem Beitrag. Man könne daher nicht über jeden Mordfall berichten.

Kai Gniffke, Chefredakteur der „Tagesschau“.
Kai Gniffke, Chefredakteur der „Tagesschau“. © imago/reportandum | imago stock&people

Viele Zuschauer würden das wohl nachvollziehen können, so Gniffke. Allerdings: „Wo die Meinungen auseinander gehen, ist die Frage, ob wir darüber berichten sollten, wenn es sich beim Tatverdächtigen um einen Asylbewerber handelt.“

Dann erläutert der Journalist seine Einstellung dazu. Er nehme die Position ein, dass die „Tagesschau“ nur dann über solche Fälle berichten sollte, wenn „Asylbewerber überproportional an Tötungsdelikten beteiligt wären“. Das sei allerdings nicht so – und deshalb habe man sich gegen die Berichterstattung entschieden.

Dazu passen die Zahlen des BKA, das in seinem Bericht „Krimi­nalität im Kon­text von Zu­wan­de­rung“ für das vergangene Jahr schreibt: „Die überwiegende Mehrheit der Zuwanderer trat nicht im Zusammenhang mit einer Straftat in Erscheinung.“

Im Gniffkes Post heißt es weiter: „So, und nun kommt ein Satz, der mir ganz wichtig ist. Es haben all diejenigen Recht, die sagen, dass der Arzt heute noch leben würde, wenn dieser Flüchtling nicht ins Land gekommen wäre.“ Das sei aber noch keine Begründung dafür, über einzelne Kriminalfälle in der „Tagesschau“ zu berichten. Wer die Sendung wegen der Haltung beim Fall Offenburg kritisiere, sei kein Rassist.

Kritik vom Grünen Boris Palmer

Grünen-Politiker Boris Palmer.
Grünen-Politiker Boris Palmer. © dpa | Christoph Schmidt

Der Facebook-Beitrag wurde innerhalb von drei Tagen mehr als 2000 Mal geteilt und ebenso oft kommentiert.

Grünen-Politiker Boris Palmer widersprach Kai Gniffke am Wochenende. „Wenn ein Mensch, der im Beruf anderen Menschen hilft, ohne erkennbaren Grund mit dem Messer erstochen wird, dann ist das kein gewöhnlicher Raubmord, sondern ein Fall von besonderer Abscheulichkeit, egal woher der Täter kommt. Daher eine Nachricht für die Tagesschau“, kommentierte der Oberbürgermeister der Stadt Tübingen auf Facebook.

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„Tagesschau“ hatte nicht über Mord an Studentin berichtet

Bereits im Dezember 2016 gab es viel Kritik für die „Tagesschau“-Redaktion, als sie zuerst nicht über den Mord an einer Studentin in Freiburg berichtet hatte. Die Begründung damals: Es handle sich um „einen Einzelfall“, der keine „nationale oder internationale Relevanz“ habe.

Nachdem sich viele Politiker zu Wort gemeldet hatte, lenkte die Redaktion doch ein und berichtete in den „Tagesthemen. Ein 17-jähriger afghanischer Flüchtling war später für die Tat verurteilt worden. Ähnliches Verhalten auch im Fall des in einem Drogeriemarkt in Kandel ermordeten 15-jährigen Mädchens. Auch hier schwieg die „Tagesschau“ zunächst.

ZDF thematisierte Fall auch nicht in Nachrichtensendungen

Nach der tödlichen Messerattacke auf einen Arzt hatten sich zahlreiche Menscnen zu Demonstrationen in Offenburg versammelt.
Nach der tödlichen Messerattacke auf einen Arzt hatten sich zahlreiche Menscnen zu Demonstrationen in Offenburg versammelt. © dpa | Benedikt Spether

Im Gegensatz zur ARD berichtete das ZDF über die Tat in Offenburg, „bereits am 16. August in der Sendung „hallo deutschland“ aktuell und in aller Ausführlichkeit“, wie ein ZDF-Sprecher unserer Redaktion mitteilte.

In den „heute“-Nachrichtensendungen wurde die Messerattacke allerdings nicht thematisiert. Man könne nicht über „jedes der mehr als 700 vollendeten Mord- und Totschlagsdelikte im Jahr berichten“, heißt es in der Begründung.

„Die „heute“-Nachrichtensendungen berichten etwa, wenn Umstände und Ausführung eines Falles besonders grausam sind, in aller Öffentlichkeit verübt werden und der Fall auf eine größere Dimension verweist, wie etwa in Kandel oder im Fall der getöteten Jugendlichen in Wiesbaden, wo der mutmaßliche Täter mitsamt Familie unbehelligt in das Land ausreiste, aus dem er geflohen war.“

Am Samstag hatte die AfD eine Kundgebung organisiert und den Rücktritt der Oberbürgermeisterin Edith Schreiner (CDU) wegen der Asylpolitik gefordert. (bekö/jha)