Berlin. Nach drei Hilfspaketen ist Griechenland finanziell wieder selbstständig. Experten warnen jedoch: Die Krise ist längst nicht vorbei.

Griechenland: Bei vielen Bürgern in der EU klingt das nach unendlicher Krise. Kein Land in Europa hat eine derart harte wirtschaftliche und soziale Rosskur hinter sich. Seit Ausbruch der Krise im Mai 2010 hat Griechenland rund 275 Milliarden Euro Hilfskredite der Eurozone und des Internationalen Währungsfonds (IWF) erhalten. Als Gegenleistung musste die Regierung in Athen schmerzhafte Reformen umsetzen: radikale Reduzierung der Staatsausgaben, herbe Einschnitte bei sozialen Leistungen wie der Krankenversicherung, Erhöhung des Renteneintrittsalters, Heraufsetzung der Mehrwertsteuer.

Doch an diesem Montag soll alles anders werden. Nach drei Hilfspaketen nabelt sich das Sorgenkind Griechenland finanziell ab. Ab sofort kann das Land am internationalen Kapitalmarkt Darlehen aufnehmen. Bescheidene Fortschritte gibt es immerhin: 2017 wuchs die Wirtschaft erstmals seit fast einem Jahrzehnt wieder, nämlich um 1,4 Prozent. Der Haushalt wies ohne Schuldendienst einen Primärüberschuss von 4,0 Prozent auf. Bis 2022 soll laut Vorgaben der Euro-Staaten die Marke von 3,5 Prozent pro Jahr erreicht werden.

Einkommen in Griechenland sanken um ein Drittel

Die Löhne sind im Keller, die Arbeitslosenquote hoch – das spüren auch die Händler auf dem Markt in Athen.
Die Löhne sind im Keller, die Arbeitslosenquote hoch – das spüren auch die Händler auf dem Markt in Athen. © LightRocket/Getty Images | Getty Images

Der soziale Preis, den die Griechen hierfür bezahlen mussten, ist jedoch hoch. Seit 2009 ist ein Viertel der Wirtschaftsleistung des Landes weggebrochen. Die Einkommen sanken im Schnitt um ein Drittel. Die Arbeitslosenquote beträgt heute knapp 20 Prozent. Die staatliche Gesamtverschuldung beläuft sich auf mehr als 180 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – einsamer Rekord in Europa.

Dennoch hat sich der Kraftakt nach Einschätzung von Experten gelohnt. Aus Berlin und Brüssel gab es jedenfalls jede Menge Vorschusslorbeeren. „Die düsteren Prophezeiungen der Untergangspropheten sind nicht eingetreten. Das ist gut“, lobte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) im „Handelsblatt“. Den griechischen Bürgern gebühre für ihre großen Anstrengungen Respekt. „Die Rettung Griechenlands ist aber auch ein Zeichen europäischer Solidarität“, fügte Scholz hinzu. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sprach vom Beginn eines „neuen Kapitels“.

Experten sehen Griechenland wenig wettbewerbsfähig

Doch es gibt auch kritische Stimmen. „Der Weg zur Wiederherstellung der Kreditfähigkeit ist noch weit. Ob Griechenland dauerhaft ohne Finanzhilfe auskommen wird, ist zweifelhaft“, heißt es in einer Studie des Freiburger Centrums für Europäische Politik (cep), die am Montag vorgestellt wird und dieser Redaktion vorliegt.

Die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft hat laut cep mehrere Gründe. Zum einen schrumpfe der Kapitalstock von Unternehmen, Banken und dem öffentlichen Sektor seit sieben Jahren. Zudem hätten die Importe stärker zugelegt als die Exporte. Drittens: Staats und Privatwirtschaft verbrauchten zu viel und investierten zu wenig.

„Das Land konsumiert 107 Prozent des verfügbaren Einkommens und lebt damit im 13. Jahr in Folge über seine Verhältnisse. Zum Vergleich: Die deutsche Konsumquote betrug vergangenes Jahr 88 Prozent, die der EU 93 Prozent“, so der cep-Bericht.

Das raten die Wissenschaftler Griechenland

Matthias Kullas, Co-Autor der Studie, empfiehlt der Regierung in Athen eine Reihe von Maßnahmen, um die wirtschaftliche Lage des Landes zu verbessern. „Zum Beispiel müssten Steuerbetrug oder Schwarzarbeit viel stärker bekämpft werden. Auch müsste die Privatisierung vorangetrieben werden“, sagte Kullas dieser Redaktion. Bislang seien nur Privatisierungserlöse in Höhe von rund acht Milliarden Euro anstatt der anvisierten 50 Milliarden Euro erzielt worden.

Darüber hinaus müssten die Verwaltungsverfahren beschleunigt werden. „Das reicht von der vollständigen Erfassung von Grundstücken in Katasterämtern bis hin zur wirksamen Bekämpfung von Bestechung. Viele Unternehmen klagen über mangelnde Rechtssicherheit in Griechenland“, so Kullas.

Nach Auslaufen des dritten Hilfspaketes ist der Wirtschaftswissenschaftler skeptisch. „Die Gefahr ist hoch, dass Griechenland in den alten Schlendrian zurückfällt. Die alten Mechanismen sind höhere Staatsausgaben, ein öffentlicher Beschäftigungssektor, die Verteilung von Wahlgeschenken.“

Union und FDP mahnen weitere Reformen an

Auch aus der Politik kamen warnende Stimmen. „Der Abschluss des dritten Griechenland-Programms ist ein wichtiger Zwischenschritt – nicht mehr und auch nicht weniger“, sagte Ralph Brinkhaus, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dieser Redaktion.

Die sich aus dem Hilfspaket ergebenden finanziellen Spielräume sollten für „weitere strukturelle Reformen“ genutzt werden. „Griechenland kehrt auf Bewährung an die Märkte zurück. Das Land muss jetzt solide wirtschaften, sonst wird seine finanzpolitische Resozialisierung scheitern“, mahnte der stellvertretende FDP-Fraktionschef Alexander Graf Lambsdorff.

Nur kleiner Teil der Hilfspakete kam bei Bevölkerung an

Dagegen übte die Linkspartei scharfe Kritik. „Die vermeintliche Griechenland-Rettung war eine Bankenrettung und hat das Land verwüstet“, sagte Fabio De Masi, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken. De Masi rügte, dass Griechenland nach den Vorgaben der Eurozone bis 2060 Haushaltsüberschüsse vor Zinsen erzielen müsse. „Die Bundesregierung verweigert eine nachhaltige Umschuldung, um Griechenland noch etwa 30 Jahre an der kurzen Leine zu halten.“

Tatsächlich kam nur ein geringer Teil der drei Griechenland-Hilfspakete bei der heimischen Bevölkerung an. Mehr als 40 Milliarden Euro flossen zur Rückzahlung von Krediten an europäische Geldhäuser. Deutsche Institute waren besonders stark in Griechenland aktiv. Auch der Bundeshaushalt profitierte von der Begleichung der Schulden durch Athen.

Griechenland schönte seine Zahlen

Als Griechenland im Mai 2010 das erste Mal seine Partner um Hilfe bat, stand das Land direkt vor der Pleite. Der damalige Premierminister Giorgos Papandreou musste Geld auftreiben, um die laufenden Rechnungen noch bezahlen zu können.

Am Markt bekam er so kurz nach der tiefsten globalen Finanzkrise der letzten Jahrzehnte kaum mehr Kapital, auch nicht zu hohen Zinsen. Der Hauptgrund: Das Land hatte über Jahre hemmungslos Schulden gemacht und finanzierte schließlich im Jahr 2009 weit über 15 Prozent seines Staatshaushalts über teure Kredite. Dabei war kurz zuvor in offiziellen Zahlen noch von sechs Prozent Defizit die Rede gewesen – doch selbst das waren geschönte Angaben.

Angela Merkel wurde zum Hassobjekt der Griechen

In der Folgezeit schlugen die politischen Wogen hoch. Der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mahnte die griechische Regierung zu einem drastischen Schuldenabbau. Andernfalls sei ein Grexit – ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone – nicht mehr zu vermeiden.

Die Karriere von Wolfgang Schäuble

Er sitzt schon so lange im Bundestag wie kein anderer.  Seine große Zeit begann 1989 als Bundesinnenminister, hier 1989 bei einem CDU-Parteitag.
Er sitzt schon so lange im Bundestag wie kein anderer. Seine große Zeit begann 1989 als Bundesinnenminister, hier 1989 bei einem CDU-Parteitag. © dpa | Harry Melchert
1984 legte Wolfgang Schäuble vor dem Bundestag den Amtseid als Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes ab.
1984 legte Wolfgang Schäuble vor dem Bundestag den Amtseid als Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes ab. © imago | Sven Simon
Gemeinsam mit dem damaligen DDR-Innenminister Peter Michael Diestel (r.) unterzeichnete Wolfgang Schäuble (M.) am 1. Juli 1990 das „Abkommen über die Aufhebung der Personenkontrollen an den innerdeutschen Grenzen
Gemeinsam mit dem damaligen DDR-Innenminister Peter Michael Diestel (r.) unterzeichnete Wolfgang Schäuble (M.) am 1. Juli 1990 das „Abkommen über die Aufhebung der Personenkontrollen an den innerdeutschen Grenzen". Dieser Sonntag gilt als kaum weniger historisch als der Mauerfall selbst. © © epd-bild / Heidi Losansky | Losansky, Heidi
Ein enges Verhältnis verband Wolfgang Schäuble über lange Jahre mit Helmut Kohl. Später wurden beide erbitterte Gegner.
Ein enges Verhältnis verband Wolfgang Schäuble über lange Jahre mit Helmut Kohl. Später wurden beide erbitterte Gegner. © dpa | Franz-Peter Tschauner
Eigentlich wollte Kohl seinen Mitstreiter zu seinem Nachfolger als Kanzler machen – doch daraus wurde nichts. Kohl wollte nicht von der Macht lassen.
Eigentlich wollte Kohl seinen Mitstreiter zu seinem Nachfolger als Kanzler machen – doch daraus wurde nichts. Kohl wollte nicht von der Macht lassen. © REUTERS / Juergen Schwarz
Am 12. Oktober 1990 wurde der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble bei einer CDU-Wahlkampfveranstaltung in seinem Wahlkreis in Oppenau/Mittelbaden von dem 37jährigen Attentäter durch zwei Schüsse aus einem Revolver schwer verletzt. Schäuble kämpfte sich zurück ins politische Leben und ist seitdem auf den Rollstuhl angewiesen.
Am 12. Oktober 1990 wurde der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble bei einer CDU-Wahlkampfveranstaltung in seinem Wahlkreis in Oppenau/Mittelbaden von dem 37jährigen Attentäter durch zwei Schüsse aus einem Revolver schwer verletzt. Schäuble kämpfte sich zurück ins politische Leben und ist seitdem auf den Rollstuhl angewiesen. © dpa | Norbert Försterling
Auch das Verhältnis Schäubles zu Angela Merkel war nicht immer störungsfrei. Im Laufe der Jahre wurde Schäuble jedoch zu einem der engsten und wichtigsten Vertrauten der Bundeskanzlerin.
Auch das Verhältnis Schäubles zu Angela Merkel war nicht immer störungsfrei. Im Laufe der Jahre wurde Schäuble jedoch zu einem der engsten und wichtigsten Vertrauten der Bundeskanzlerin. © REUTERS | REUTERS / Fabrizio Bensch
Als Innenminister und später als Finanzminister war Schäuble über Jahre hinweg eine Stütze der Kanzlerin im Kabinett Merkels.
Als Innenminister und später als Finanzminister war Schäuble über Jahre hinweg eine Stütze der Kanzlerin im Kabinett Merkels. © Getty Images | Sean Gallup
Am 22. November 2005 leistete Wolfgang Schäuble vor Bundestagspräsident Norbert Lammert seinen Amtseid als Innenminister.
Am 22. November 2005 leistete Wolfgang Schäuble vor Bundestagspräsident Norbert Lammert seinen Amtseid als Innenminister. © imago | Fabian Matzerath
Schäuble pflegte als Minister meist einen unaufgeregten Ton, war in der Sache jedoch knallhart.
Schäuble pflegte als Minister meist einen unaufgeregten Ton, war in der Sache jedoch knallhart. © dpa | Christina Sabrowsky
Auf der Regierungsbank im Bundestag war Wolfgang Schäuble in verschiedenen Rollen viele Jahre präsent.
Auf der Regierungsbank im Bundestag war Wolfgang Schäuble in verschiedenen Rollen viele Jahre präsent. © Getty Images | Andreas Rentz
Seine politische Lebensleistung brachte Wolfgang Schäuble 2005 sogar den Bambi ein.
Seine politische Lebensleistung brachte Wolfgang Schäuble 2005 sogar den Bambi ein. © Getty Images | Andreas Rentz
Seine Urlaube verbringt Schäuble gern mit Ehefrau Ingeborg auf Sylt.
Seine Urlaube verbringt Schäuble gern mit Ehefrau Ingeborg auf Sylt. © dpa | Jens Kalaene
Zwei, die sich nicht so gut verstanden: Wolfgang Schäuble und der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis lieferten sich während der Griechenland-Euro-Krise so manche Verhandlungsschlacht.
Zwei, die sich nicht so gut verstanden: Wolfgang Schäuble und der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis lieferten sich während der Griechenland-Euro-Krise so manche Verhandlungsschlacht. © Getty Images | Carsten Koall
Mit der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, verbindet Wolfgang Schäuble eine verlässliche politische Partnerschaft.
Mit der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, verbindet Wolfgang Schäuble eine verlässliche politische Partnerschaft. © dpa | Christina Sabrowsky
Das Verhältnis Schäubles zur Presse war nicht immer einfach. Hier ein Schnappschuss von einem Hintergrundgespräch Schäubles mit Journalisten auf einem Flug nach Washington. Es war im Oktober 2017 seine letzte Reise als Finanzminister. Später fungierte er als Bundestagspräsident, seit 2021 auch als Alterspräsident.
Das Verhältnis Schäubles zur Presse war nicht immer einfach. Hier ein Schnappschuss von einem Hintergrundgespräch Schäubles mit Journalisten auf einem Flug nach Washington. Es war im Oktober 2017 seine letzte Reise als Finanzminister. Später fungierte er als Bundestagspräsident, seit 2021 auch als Alterspräsident. © imago | Thomas Koehler/photothek.net
Heute kann Wolfgang Schäuble auf 50 Jahre als Abgeordneter im Deutschen Bundestag zurückblicken.
Heute kann Wolfgang Schäuble auf 50 Jahre als Abgeordneter im Deutschen Bundestag zurückblicken. © Getty Images | Sean Gallup
1/17

Schäubles griechischer Amtskollege Yanis Varoufakis lief daraufhin Sturm gegen das deutsche „Spar-Diktat“ und forderte einen Schuldenschnitt für sein Land. Es war die Zeit, als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei Demonstrationen in Athen auf Transparenten mit Hitler-Bärtchen gezeigt wurde.

Griechenlands Kredite laufen teilweise bis 2060

Ganz ohne Aufsicht der strengen Geldgeber wird Griechenland aber auch in Zukunft nicht sein. Denn das Land schuldet Europa immer noch dreistellige Milliardensummen. Damit Griechenland damit überhaupt leben kann, hat es von der Eurozone im Juni eine Reihe von Erleichterungen erhalten. Kredite aus den verschiedenen Hilfsprogrammen laufen zum Teil bis 2060. Von Zins- und Tilgungszahlungen ist das Land ohnehin weitgehend freigestellt.

Das Land im Südosten Europas hat in jedem Fall eine lange Durststrecke vor sich. Diese Einsicht wächst auch in Athen. Griechenland muss nach Darstellung von Notenbankchef Giannis Stournaras auch nach dem Ende der Hilfsprogramme Reformen umsetzen. Ohne die Einhaltung der Sparmaßnahmen – darunter weitere Rentenkürzungen – werde das Land keinen Zugang zu den Finanzmärkten zu vernünftigen Zinsen erhalten, sagte der Direktor der griechischen Notenbank und frühere Finanzminister. „Uns steht noch ein langer Weg bevor.“