Peenemünde/Wolgast. Seit einem Jahr ist Manuela Schwesig Landesmutter von Mecklenburg-Vorpommern. Anderen SPD-Hoffnungsträgerinnen hat sie etwas voraus.

Das entspannte Lächeln aus Manuela Schwesigs Gesicht verschwindet abrupt. Nach dem Aufstehen war sie am Ostseestrand, ein paar Yoga-Übungen taten ihr gut. Jetzt wappnet sie sich. Sie weiß, was kommt.

Peenemünde auf der Insel Usedom: Schulklassen strömen auf das riesige Kraftwerk aus rotem Klinkerstein zu, das heute ein Museum ist. An der Mündung des Peenestroms produzierten die Nazis während des Zweiten Weltkriegs Unmengen Strom, um damit Treibstoff für Testflüge von Hitlers berüchtigten V2-Raketen zu gewinnen. Schwesig, seit einem Jahr Ministerpräsidentin einer großen Koalition in Mecklenburg-Vorpommern und eine der wenigen Hoffnungsträgerinnen der geschundenen SPD, ist auf ihrer Sommerreise vorbeigekommen.

Seit zwei Wochen tourt die 44-Jährige durch „Meck-Pomm“. In einem Tierpark in Marlow streichelte sie Kängurus, hielt in Ludwigslust die Drillinge Johann, Friedrich und Leon auf dem Arm oder bewunderte bei einem Greifswalder Start-up kühlendes Plasma, das Wunden keimfrei heilen lassen soll.

AfD fuhr auf Usedom bei Landtagswahl fast 40 Prozent ein

© dpa | Bernd Wüstneck

In Peenemünde wird Schwesig am Eingang der Raketenanlage gleich von zwei Gruppen abgefangen. Links steht ein Dutzend AfD-Anhänger, rechts Rentner, Frauen und Kinder mit Plakaten. Sie kämpfen in einer Bürgerinitiative dafür, dass die im nahen Wolgast dichtgemachte Kinderstation wieder öffnet. Schwangere müssen zum Entbinden nach Greifswald oder Anklam. Die Klinik ist zu einem Symbol für den Rückzug des Staates aus der Fläche geworden. Die AfD zapft den Frust vieler Bürger erfolgreich an.

Das Paradoxe ist: Hotels und Ferienzimmer sind voll, jedes Jahr gibt es um die 30 Millionen Übernachtungen, die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit 1991 nicht mehr, die Werften schwimmen in Aufträgen, Patrouillenboote für die Saudis oder Kreuzfahrtschiffe für den asiatischen Markt sichern viele Jobs – doch auf Usedom fuhr die AfD bei der Landtagswahl fast 40 Prozent ein.

Beim Klinik-Protest sind die Grenzen fließend. So ist Ralph Weber Mitglied der Bürgerinitiative. Der Juraprofessor mit Vollbart ist aber auch parlamentarischer Geschäftsführer der AfD im Landtag. „Ich stehe hier als Teil der Bevölkerung, nicht als AfD-Politiker“, sagt er.

Schwesig spürt großen Schatten ihres Mentors Sellering

Während Schwesig den Protestlern erklärt, dass die Landesregierung verstanden habe und nun eine Notaufnahme und niedergelassene Kinderärzte nach Wolgast holen wolle, hält sie zu Weber größtmögliche Distanz. „Was ich nicht mitmache, ist, dass Herr Weber dieses wichtige Anliegen parteipolitisch instrumentalisiert“, so Schwesig barsch.

Kuschelig ist ihr neues Leben als Landesmutter nicht. Schwesig wird nichts geschenkt, seit sie vor einem Jahr die Nachfolge von Erwin Sellering antrat, der sich wegen einer Krebserkrankung zurückzog. Den großen Schatten ihres Mentors, der sie einst zur Landessozialministerin machte, spürt Schwesig immer noch. In einer Umfrage waren kürzlich 54 Prozent der Bürger mit ihrer Arbeit zufrieden. Kein schlechter Wert, aber mit Luft nach oben. West-Import Sellering, der acht Jahre an der Spitze stand, kam auf fast 80 Prozent.

Scholz gilt als Favorit für die nächste Kanzlerkandidatur

Ende Juni, als eine Umfrage die SPD im Land bei 25 Prozent nur knapp vor der AfD mit 22 Prozent sah, twitterte Schwesig mit Daumen hoch: „Wir bleiben stärkste Kraft in MV!“ Redet sie sich die Lage schön? Bei der Landtagswahl im September 2016 kam Sellering schließlich auf 30,6 Prozent, 2011 waren es sogar 35,6. Aber mit 25 Prozent liegt Schwesig acht Punkte über der Bundespartei.

Schwesigs Vorgänger: Erwin Sellering.
Schwesigs Vorgänger: Erwin Sellering. © ddp images/BUG | BUG

In Sachsen und Thüringen droht der SPD 2019 die Einstelligkeit, in Brandenburg der Machtverlust. Der Bundespartei stehen nach den Landtagswahlen im Oktober in Bayern und Hessen und spätestens nach der Europawahl im Mai womöglich düstere Tage bevor. Nicht ausgemacht ist, wie viel Zeit die nervöse Partei der neuen Chefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz für die versprochene „Erneuerung“ gewährt. Scholz gilt als Favorit für die nächste Kanzlerkandidatur. Aber auch Schwesigs Name wird immer wieder genannt.

Schwesig hat Tempo-30-Schilder aufhängen lassen

Die will sich mit guter Arbeit und einem Wahlsieg 2021 an der Küste für höhere Weihen empfehlen. Schwesig preist die kostenlosen Kita- und Hortplätze ab 2020. Die Opposition wirft ihr vor, allein von der guten Konjunktur zu profitieren und viele Fehler aus 20 Jahren SPD-Regentschaft wegzulächeln. Internet und Handynetz sind ein Witz, Sozialwohnungen fehlen.

Der schöne Schein der Tourismushochburgen trügt. Wenn Wessis aus teuren Hotels an den Strand schlurfen, Ossis für kleines Geld im Service schuften und sich keine Wohnung mehr leisten können, kann das den sozialen Frieden gefährden. In der vorpommerschen AfD-Hochburg Zirchow warten sie seit Jahren vergeblich auf eine Ortsumgehung. Jetzt hat Schwesig Tempo-30-Schilder aufhängen lassen. Eine Mini-Lösung. Aber besser als nichts.

Angela Merkel entschuldigte sich bei Schwesig

Das erste Jahr als Ministerpräsidentin brauchte sie, um sich als Generalistin in alle Themen einzuarbeiten. Bald dürfte man von ihr bundespolitisch wieder mehr hören. Bei Hartz IV wünscht sich die SPD-Vize mehr Leistungsgerechtigkeit für ältere Arbeitnehmer. In der Asylfrage, wo die Genossen zwischen Grünen und AfD zerrieben werden, will sie Klarheit: „Wir brauchen einen Dreiklang: Wer kann unter welchen Bedingungen bleiben, wer kann nicht bleiben und muss zügig zurück, und was müssen wir tun für gute Inte­gration?“

Manuela Schwesig (SPD) unterhält sich bei ihrer Erntetour in der Wariner Pflanzenbau-Genossenschaft mit Mechaniker Jörg Mayer vor einem Mähdrescher.
Manuela Schwesig (SPD) unterhält sich bei ihrer Erntetour in der Wariner Pflanzenbau-Genossenschaft mit Mechaniker Jörg Mayer vor einem Mähdrescher. © dpa | Bernd Wüstneck

Dass sie durchsetzungsstark ist, bewies die in Brandenburg aufgewachsene Tochter eines Schlossers und einer Statistikerin in Berlin. Die Familienministerin nervte erfolgreich Union und Wirtschaft. Als die Frauenquote in Aufsichtsräten stockte, spottete Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) im Bundestag, die Ministerin solle nicht so „weinerlich“ sein. Da griff die Kanzlerin ein. Angela Merkel entschuldigte sich bei Schwesig und erzählte ihr, sie selbst sei anfangs in der CDU als „Zonenwachtel“ verunglimpft worden.

Top-Ergebnisse auf Parteitagen

Bis heute wird Schwesig unterschätzt. Gerade von Männern. Dabei hat sie seit einem Jahrzehnt Regierungsämter inne, was sie von anderen SPD-Hoffnungen wie Katarina Barley und Franziska Giffey unterscheidet. Selbst in der SPD hält sich hartnäckig die Umschreibung „Küstenbarbie“, was die frühere Finanzbeamtin und verheiratete Mutter von Julia und Julian, die in Schwerin in Kita und Schule gehen, mehrfach diskriminiert: blond, ostdeutsch, Frau.

Öffentlich tritt Schwesig – außer, die AfD ist in der Nähe – fast immer verbindlich auf. Ihre teils strenge und belehrende Art kommt nicht überall gut an. Auf Parteitagen erhält sie aber stets Top-Ergebnisse. Sie kann hart gegen Mitarbeiter sein, ihre Kontrollwut ist bekannt. Jedes Detail will sie absegnen. Minister, die Sellering an der langen Leine ließ, bekommen von ihr „Zuckerbrot und Peitsche“, wie es heißt. Dass Schwesigs Karriere in Schwerin noch nicht zu Ende ist, davon ist sie selbst wohl am meisten überzeugt.