Berlin/Madrid. Die Generalstaatsanwaltschaft will Carles Puigdemont auch wegen Rebellion überstellen. Die Auslieferungshaft bleibt weiter ausgesetzt.

Der Countdown läuft. 60 Tage hat die deutsche Justiz Zeit, um über eine Auslieferung des katalanischen Separatistenführers Carles Puigdemont zu entscheiden – in dieser Woche endet die Frist. Die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig will nun die Auslieferung beantragen. Ob das Oberlandesgericht (OLG) zustimmt, ist jedoch offen.

Puigdemont kann jedenfalls bis zu einer Entscheidung weiter auf freiem Fuß bleiben. Der 55-Jährige war am 25. März auf der Rückfahrt von Skandinavien nach Belgien in Deutschland festgenommen worden. Nach knapp zwei Wochen Haft in der JVA Neumünster kam Carles Puigdemont am 5. April gegen Kaution frei. Seitdem lebt er in Berlin, wo auch die Kanzlei seiner deutschen Anwälte ist.

Neue Informationen der spanischen Behörden

Der Katalane darf das Land nicht verlassen, muss sich einmal pro Woche bei der deutschen Polizei melden – ansonsten ist er ein freier Mann. Regelmäßig trifft er Mitstreiter und Unterstützer, bekommt Besuch von Ehefrau und Töchtern oder schaut sich mit dem Berliner Barça-Fanclub die Live-Übertragung eines Spiels des FC Barcelona gegen Erzfeind Real Madrid an.

Die Ankläger in Schleswig wollten dieses freizügige Exilleben nun beenden: Jetzt beantragte die Generalsstaatsanwaltschaft, Puigdemont wieder in Auslieferungshaft zu nehmen. Anlass dafür seien neue Informationen der spanischen Behörden, insbesondere Videos vom illegalen Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober 2017, „die die gegenüber den spanischen Polizeikräften verübten Gewalttätigkeiten zeigen“, wie die Anklagebehörde mitteilte.

Gericht sieht keine erhöhte Fluchtgefahr

Die Ausschreitungen hätten ein solches Ausmaß gehabt, dass die Generalstaatsanwaltschaft davon ausgehe, dass auch wegen des Vorwurfs der Rebellion auszuliefern sei. Nach deutschem Recht käme damit nicht nur eine Strafbarkeit wegen Hochverrats, sondern auch wegen Landfriedensbruchs in Betracht. Deshalb sei davon auszugehen, dass nach wie vor Fluchtgefahr bestehe.

Doch das sahen die Richter des Oberlandesgerichts anders: Es gebe „nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens keine erhöhte Fluchtgefahr“ urteilte der 1. Strafsenat am Dienstag. Puigdemont bleibt damit weiterhin vom Vollzug der Auslieferungshaft verschont.

Termin für Entscheidung noch offen

Ungeachtet dessen betreiben die Ankläger weiter die Auslieferung des Separatistenführers: Die Staatsanwaltschaft bereitet derzeit den formellen Antrag an das OLG vor, „die Auslieferung für zulässig zu erklären“, wie sie am Dienstag mitteilte. Wie lange sich das Verfahren anschließend hinzieht, ist unklar: Laut OLG-Sprecherin Christine von Milczewski ist es „derzeit noch offen“, wann mit einer abschließenden Entscheidung über die Auslieferung zu rechnen ist. Die 60-Tage-Frist ist nur eine gesetzliche Richtschnur.

Sicher ist immerhin: Die Generalstaatsanwaltschaft fährt mittlerweile harte Geschütze gegen Puigdemont auf. Mit dem Vorwurf des „schweren Landfriedensbruchs“ erweitert die Ankläger die bisherigen Auslieferungsgründe. Spaniens Oberster Gerichtshof, der die Ermittlungen gegen Puigdemont führt, unterstützt die deutschen Ankläger dabei nach Kräften und schickt reichhaltiges Untersuchungsmaterial nach Schleswig-Holstein.

Videos zeigen Gewalt gegen Polizisten der Guardia Civil

Darunter auch die Videos vom Unabhängigkeitsreferendum, die zeigen sollen, wie Beamte der spanischen Guardia Civil in verschiedenen Fällen von katalanischen Unabhängigkeits-Aktivisten angegriffen werden, zum Teil ohne, dass katalanische Polizisten eingreifen. „Die Gewalttätigkeiten gegenüber den Polizeibeamten hat der Verfolgte als Täter zu verantworten“, heißt es im Antrag der Staatsanwaltschaft zur Begründung der Auslieferungshaft.

Die OLG-Richter, die letztlich die Entscheidung über die rechtliche Zulässigkeit der Auslieferung treffen müssen, hatten sich in der Sache bisher eher zurückhaltend geäußert. In einem vorläufigen Beschluss Anfang April hatten sie eine Auslieferung wegen des Vorwurfs der Rebellion abgelehnt. Damalige Begründung: Der im deutschen Recht für diesen Vorwurf vergleichbare Straftatbestand des Hochverrats sei nicht erfüllt, „weil es an dem Merkmal der Gewalt fehle“.

Auslieferung wegen Veruntreuung möglich

An dieser Einschätzung haben offenbar auch die Videos nichts geändert: „Der Senat sieht zurzeit für eine Erweiterung des Haftbefehls auch auf den Vorwurf der Rebellion keine Veranlassung“, hieß es am Dienstag. Auch eine Strafbarkeit wegen Landfriedensbruchs liege nach jetzigem Stand nicht vor. Eine Auslieferung wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder dagegen wurde auch damals schon grundsätzlich als möglich bezeichnet, auch wenn die Richter in dieser Frage Klärungsbedarf sahen.

Im laufenden Auslieferungsverfahren müssen die deutschen Behörden prüfen, ob die Puigdemont von Spanien angelasteten Taten auch nach deutschem Recht strafbar sind; nur dann wäre eine Auslieferung nach Spanien rechtens. Eine Beweisaufnahme, in der darüber entschieden wird, ob die Anschuldigungen auch zutreffend sind, steht den deutschen Behörden laut den europäischen Auslieferungsregeln nicht zu. Dafür wäre dann, im Strafprozess gegen Puigdemont, Spaniens Oberster Gerichtshof zuständig.

Doch der Prozess gegen Puigdemont liegt noch in weiter Ferne. Puigdemonts Anwälte kündigten an, im Falle eines Auslieferungsbeschlusses des OLG vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen und dort eine Überstellung an Spanien anzufechten. Das letzte Wort über Puigdemonts Zukunft ist also noch lange nicht gesprochen.