München. Im NSU-Prozess fordern Zschäpes Wahlverteidiger maximal zehn Jahre Haft. Der Bundesanwaltschaft werfen sie Falschbehauptungen vor.

Am Ende wirkt sie erleichtert, zufrieden, fast gelöst. Beate Zschäpe lacht, plaudert mit ihren beiden Wahlverteidigern Hermann Borchert und Mathias Grasel. Die Stimmung auf der Anklagebank im Saal 101 des Oberlandesgerichts in München ist ausgezeichnet. Dabei soll sie doch im Gefängnis bleiben. Zehn Jahre Haft haben Borchert und Grasel gerade im NSU-Prozess für die Hauptangeklagte gefordert. Maximal.

Ihre heute 43 Jahre alte Mandantin solle wegen besonders schwerer Brandstiftung und der Beihilfe zu Raubüberfällen verurteilt werden, nicht aber wegen Mittäterschaft oder Beihilfe an den Morden und Bombenanschlägen der rechtsextremen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU).

Zschäpe sitzt seit fast sechseinhalb Jahren in Untersuchungshaft

Ginge es nach der Verteidigung, hätte Zschäpe damit einen Großteil ihrer Haftstrafe schon verbüßt. Schließlich sitzt sie seit fast sechseinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Zschäpe hatte schon vor langer Zeit eingeräumt, die 15 Bank- und Raubüberfälle gebilligt zu haben, die nachweislich von ihren Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begangen wurden.

Sie gestand zudem, am 4. November 2011 den Brand in ihrer Zwickauer Wohnung gelegt zu haben. Kurz zuvor waren an diesem Tag Böhnhardt und Mundlos in Eisenach gestorben.

Bundesanwaltschaft geht von Mittäterschaft an NSU-Verbrechen aus

Mit dieser Strafmaß-Forderung enden am Donnerstag die Plädoyers von Borchert und Grasel, die sich über drei Tage gezogen hatten. Mit ihnen begann das vorletzte Kapitel der Hauptverhandlung, die seit fast fünf Jahren andauert – und die zuletzt wieder arg gestockt hatte. Die Bundesanwaltschaft hatte bereits im vorigen Herbst ihre Plädoyers gehalten. Sie sieht eine Mittäterschaft Zschäpes an allen NSU-Verbrechen – zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge mit mehrfach versuchtem Mord, Überfälle und die Brandstiftung – als erwiesen an.

Die geforderte Strafe für Zschäpe: lebenslange Haft plus nachträglicher Sicherungsverwahrung. Die meisten der etwa 80 Nebenklagevertreter und ihre rund 60 Rechtsanwälte hatten sich in ihren Plädoyers, die bis Februar währten, dieser Forderung angeschlossen.

Spekulationen, Fehlschlüsse und Falschbehauptungen

Am Dienstag dieser Woche, dem 419. Verhandlungstag, waren nun endlich die Verteidiger Zschäpes dran. Punkt für Punkt arbeitete sich zuerst Hermann Borchert an den Argumenten der Bundesanwaltschaft ab. Irgendwelche Beweise für die angeblichen Taten seiner Mandantin, sagte er, seien dort nicht zu entdecken – nur Spekulationen, Fehlschlüsse und Falschbehauptungen.

Die Ankläger hätten Beweismittel „manipulativ“, „bewusst fehlerhaft“ und „einseitig“ gewürdigt. „Sämtliche Indizien wurden so ausgelegt, dass sie in das in der Anklageschrift gezeichnete Bild passen.“

„Charakterstärke ein Zeichen meiner Mandantin“

Auch die schriftliche Aussage von Zschäpe, sagte er, habe die Anklage „selektiv und zielgerichtet“ fehlinterpretiert. Einige Passagen seien „unterschlagen“, andere „falsch dargestellt“ worden. Im Übrigen, sagte Borchert, sei „Charakterstärke ein Zeichen meiner Mandantin“.

Sonst hätte sie den Prozess mit all den Anfeindungen nicht durchgehalten. Daraus lasse sich aber nicht der Rückschluss ziehen, dass Zschäpe ihre beiden Freunde Böhnhardt und Mundlos dominiert habe. Das Gegenteil sei der Fall: Sie habe dem aggressiven Auftreten der beiden Uwes nichts entgegensetzen können.

Keine Chance für Rückkehr in ein bürgerliches Leben

Wie schon in Zschäpes Aussage schilderte Borchert die Hauptangeklagte als eine Frau, die im Untergrund in einer „psychischen Ausnahmesituation“ gefangen war. Die Taten der beiden Männer hätten sie zwar abgestoßen, gleichzeitig habe sie Böhnhardt geliebt und keine Chance für eine Rückkehr in ein bürgerliches Leben gesehen.

Nicht nur Zschäpes sogenannte Altverteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm wirkten konsterniert, als Borchert Sätze sagte wie: „Mit ein wenig Ironie können Tatsachen und Fakten ganz unterschiedlich betrachtet werden.“ Oder, an die Anklägerin Anette Greger gerichtet: „Frau Oberstaatsanwältin, widerlegen Sie doch die von der Mandantin geschilderte Liebe zu Uwe Böhnhardt!“

Forderung nach den maximal zehn Jahren Haft

Seine Mandantin habe niemals bestritten, Ausweispapiere besorgt zu haben, sagte Borchert. Die Dokumente waren schließlich nötig, „um überhaupt in der Illegalität leben zu können“. Dasselbe gelte für die Beschaffung von Handys oder SIM-Karten. Das alles habe Zschäpe nur getan, um ihre eigene Existenz und Freiheit zu sichern – und nicht etwa, um Straftaten zu ermöglichen oder zu verdecken.

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    Am Ende steht an diesem Donnerstag die Forderung nach den maximal zehn Jahren Haft, für die Brandstiftung und die Beihilfe bei den Raubüberfällen. Der Rechtsstaat müsse es aushalten, sagte Grasel, dass bei manchen Verbrechen die eigentlichen Täter nicht mehr belangt werden können. Wann das Urteil fällt, ist allerdings noch offen.

    Plädoyers der drei Altverteidiger der Hauptangeklagten

    Vor diesem letzten Kapitel des NSU-Prozesses sind noch die Rechtsanwälte der vier Mitangeklagten Zschäpes – Carsten S., André E., Holger G. und Ralf Wohlleben – mit ihren Schlussvorträgen an der Reihe.

    Danach dürfen auch noch die drei Altverteidiger der Hauptangeklagten plädieren. Passieren kann da noch viel. Denn wenn dieser Prozess in fünf Jahren eines lehrte, dann dies. Das Gericht hat jedenfalls vorsorglich Verhandlungstage bis Januar 2019 terminiert.