Berlin. Der künftige Gesundheitsminister Jens Spahn hat eine hitzige Debatte über den Sozialstaat ausgelöst. Wir erklären die Streitpunkte.

Noch bevor er im Amt ist, hat der designierte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine Debatte über Armut und die Höhe von Sozialleistungen angestoßen. „Hartz IV bedeutet nicht Armut“, hatte der CDU-Politiker im Interview mit dieser Redaktion gesagt. Diese staatliche Grundsicherung garantiere jedem „das, was er zum Leben braucht“. Der Widerspruch, den Spahn mit seinen Äußerungen ausgelöst hat, ist groß. Wohlfahrtsverbände laden ihn zum „Armutspraktikum“ ein. Der Deutsche Gewerkschaftsbund wirft ihm „Ahnungslosigkeit“ vor, die Linke „arrogante Belehrungen“.

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer wies ihren Parteifreund darauf hin, dass gut verdienende Politiker besser nicht „versuchen zu erklären, wie man sich mit Hartz IV fühlen sollte“. Es gehe darum, dass Menschen gar nicht auf diese Leistung angewiesen sind. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Debatte:

Wer bekommt Hartz IV?

Jens Spahn (CDU) hat mit seinen Äußerungen zu Hartz IV eine hitzige Debatte.
Jens Spahn (CDU) hat mit seinen Äußerungen zu Hartz IV eine hitzige Debatte. © Reto Klar | Reto Klar

Hartz IV heißt eigentlich Arbeitslosengeld II und ist Teil der staatlichen Grundsicherung. Dieses Geld ist für Menschen ohne Job gedacht, die aber eigentlich arbeiten könnten. Rentner, deren Einkommen nicht zum Leben reicht, können Grundsicherung beantragen. Das Ziel ist jeweils ein „menschenwürdiges Existenzminimum“. Die Grundsicherung ist das unterste Netz des deutschen Sozialstaats. Finanziert werden die Leistungen aus Steuergeld.

Wie hoch ist die Grundsicherung?

Vereinfacht gesagt zahlt der Staat die lebensnotwendigen Ausgaben und die Wohnung. Im Amtsdeutsch heißt das „Regelbedarf“ und „Kosten der Unterkunft“. Der Regelbedarf soll Ausgaben für Ernährung, Kleidung, Körperpflege und Hausrat decken. Die Summe bemisst sich danach, ob jemand allein lebt oder mit Partner und Kindern. Ein Kriterium ist auch eigenes Einkommen, das angerechnet wird. Das Geld soll reichen, um „am sozialen und kulturellen Leben“ teilzunehmen. Grundsätzlich steht es jedem Empfänger frei, wie er das Geld ausgibt.

Ein Erwachsener, der allein in einer Wohnung lebt, bekommt aktuell 416 Euro im Monat. Paare erhalten zusammen 748 Euro. Für jedes Kind zwischen 14 und 17 Jahren zahlt der Staat 316 Euro; für jüngere Kinder gibt es weniger. Zusätzlich erstattet der Staat die ortsübliche Miete für eine Sozialwohnung inklusive Nebenkosten für Heizung und Wasser. Grob gesagt bekommt ein Single rund 400 Euro Kaltmiete für 50 Quadratmeter bezahlt. Bei vier Personen sind es 90 Quadratmeter und 700 Euro Kaltmiete.

Was zahlt der Staat noch?

Wer Grundsicherung bekommt, dem zahlt der Staat die Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung. Für Kinder von Arbeitslosengeld-II-Empfängern gibt es das Bildungspaket, aus dem der Schulranzen, das kostenlose Schulessen und die Teilnahme an Schulausflügen finanziert werden können. Die meisten Städte bieten Empfängern von Grundsicherung ermäßigte Tickets für den Nahverkehr und ermäßigten Eintritt in Museen.

Wie wird die Leistung berechnet ?

Das Statistische Bundesamt ermittelt alle fünf Jahre, wofür Menschen ihr Geld ausgeben, die etwas mehr verdienen als die Grundsicherung. Hartz-IV-Empfänger selbst werden dabei nicht berücksichtigt. Ausgehend von diesen Zahlen (die jüngste Erhebung ist von 2013) errechnet die Bundesregierung den Regelbedarf. Diese Summe wird jedes Jahr erhöht, Grundlage ist die Entwicklung der Löhne und bestimmter Preise.

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    Reicht das Geld aus?

    Die Bundesregierung meint: Das Existenzminimum ist gesichert. Gewerkschaften und Sozialverbände dagegen werfen der Regierung vor, die Regelsätze „politisch motiviert“ kleinzurechnen. So würden Ausgaben für einen Weihnachtsbaum oder Malstifte für Schulkinder bei der Herleitung der Sätze gestrichen, klagt etwa DGB-Vorstand Annelie Buntenbach. 2,77 Euro pro Tag würden für Essen und Trinken für ein Vorschulkind nicht reichen. Auch 87 Euro pro Jahr für Schuhe von Jugendlichen seien zu wenig.

    Der Präsident des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, kritisiert, die Regierung rechne Kleinstbeträge etwa für Tierfutter heraus. Der Regelsatz müsse 520 Euro pro Monat betragen. Andere Rechnungen ergeben 560 Euro.

    Was will die Politik tun?

    Die geschäftsführende Familien- und Arbeitsministerin Katarina Barley (SPD) sagt, der Koalitionsvertrag sehe wichtige Punkte für die Bekämpfung von Armut vor. Die SPD habe eine Reform des Kinderzuschlages und die Solidarrente durchgesetzt. „Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass Menschen die Leistungen, die ihnen zustehen, auch wirklich in Anspruch nehmen“, sagt sie. „Der Wohlstand des Landes muss bei allen Menschen ankommen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages.

    Was sagen Gerichte?

    Das Bundesverfassungsgericht musste sich mehrfach mit der Berechnung von Arbeitslosengeld II und mit der Grundsicherung befassen. 2010 entschied es, dass die bisherige Berechnung der Regelsätze verfassungswidrig war. Die Richter beanstandeten das von der Regierung gewählte Verfahren nicht. Es werde nur nicht immer nachvollziehbar gerechnet. Im selben Jahr entschieden die obersten Richter auch, dass das Kindergeld auf die Hartz-IV-Leistungen angerechnet werden darf.

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      Wie steht Deutschland im europäischen Vergleich da?

      Bei der Unterstützung von Arbeitslosen liegt Deutschland seit der Hartz-IV-Reform nur noch im Mittelfeld der EU. Einige Staaten – vorwiegend in Skandinavien, dem Benelux-Raum und Frankreich – statten die Arbeitslosen zum Teil deutlich besser aus. Statistisch gesehen ist das Armutsrisiko für Arbeitslose – gemessen im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen – in Deutschland so hoch wie in keinem anderen EU-Land: 2016 lag die Quote laut des EU-Statistikamtes bei 70,8 Prozent, im EU-Durchschnitt dagegen nur bei 49 Prozent. Die Statistik ist aber nur bedingt aussagekräftig.

      Wo haben es Arbeitslose besser, wo schlechter?

      Gemessen an der Höhe der Bezüge ist Dänemark für Arbeitslose besonders attraktiv: Das Arbeitslosengeld beträgt maximal fünf Jahre lang 90 Prozent des letzten Einkommens (höchstens 1700 Euro). Danach gibt es unter strengen Voraussetzungen Sozialhilfe von rund 1000 Euro. Auf der anderen Seite gibt es in Griechenland gar kein Sicherungssystem wie Hartz IV: Die Familie ersetzt das soziale Netz, sonst drohen absolute Armut und Obdachlosigkeit.

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