Moskau. Die Welt schaut fassungslos auf den Bombenterror gegen die Rebellenhochburg Ost-Ghuta. Ganz andere Syrien-Probleme treiben Moskau um.

„Gegen uns haben sie alles eingesetzt, was da war. Wir fuhren in drei Kolonnen, um das Werk zu erobern. In der ersten Kolonne gab es 200 Tote, ich habe selbst mit Mitai geredet. In der zweiten 20, in unserer 75 Tote. Zum Kotzen.“

Radio Swoboda, die russische Ausgabe des US-Senders Radio Liberty, veröffentlichte einen Mittschnitt, in dem ein russischer Überlebender den blutig gescheiterten Angriff auf die Ölraffinerie El-Isba am Nordufer des Euphrats in Syrien schildert. Man sei verraten worden. „Niemand kam, als sie anfingen, uns aus Hubschraubern plattzumachen. Nacht, Dunkelheit, wir hatten nur zwei lausige schwere Maschinengewehre …“

Die Weltöffentlichkeit diskutiert die heftigen Kämpfe in der Kurdenregion Afrin und die grausamen Luftangriffe auf Ost-Ghuta bei Damaskus. Russland aber, das im Syrien-Konflikt offiziell mit regulären Truppen und verdeckt mit privaten Söldnern auf Seiten des Diktators Baschar Al-Assad steht, hat ganz andere Syrien-Probleme im Kopf.

Wie viele Russen starben beim Sturm auf El-Isba?

Denn es herrscht weiter Unklarheit, wie viele Russen beim Sturm auf El-Isba am 7. Februar wirklich umgekommen sind. Damals überschritten mehrere Hundert Soldaten den Euphrat, der als Demarkationslinie zwischen den syrischen Einflusszonen Russlands und der USA gilt, und griffen eine Ölbasis an, die von kurdischen Kämpfern gehalten wurde. Sie sind die Verbündeten der Amerikaner im Kampf gegen die Terrormiliz IS.

Kaum noch Hoffnung auf Ende der Gewalt in Syrien

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    Die Sturmtruppe, die allem Anschein nach aus Söldnern der russischen Privattruppe „Wagner“ bestand, wurde von US-Drohnen und Hubschraubern attackiert und aufgerieben. Laut der Internetzeitung fontanka.ru gehört „Wagner“ dem Unternehmer und Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Jewgeni Prigoschin.

    Der ehemalige Duma-Abgeordnete Viktor Alknis redet von 334 gefallenen Russen, Medien spekulieren über bis zu 600, Maria Sacharowa, Sprecherin des Außenministeriums, gab vergangene Woche die offizielle Parole von fünf Toten aus. Inzwischen spricht das Außenministerium von Dutzenden Opfern, lässt aber offen, ob es sich um Tote oder Verwundete handelt.

    Offiziell sind in Russland Söldnertruppen verboten

    Gleichzeitig wird es immer schwerer, Kontakt zu den Überlebenden des Gemetzels aufzunehmen. Wie der Freiwilligenkoordinator Michail Polynkow, einer der Anwerber für „Wagner“, auf Livejournal bloggte, wurden den Verletzten in Moskauer Militärkrankenhäusern die Handys abgenommen. Und der Generalstab ordnete an, auf den russischen Militärbasen in Syrien sämtliche Mobilfunksignale zu unterdrücken.

    Experten vermuten, auch so wolle man weitere Einzelheiten über die Schlacht geheim halten. Offensichtlich handelt es sich bei den Toten und Verwundeten meist um „Wagner“-Kämpfer. Eigentlich sind in Russland Söldnergruppen verboten, aber die Infanteristen der Truppe „Wagner“, oft Veteranen des Donbass-Krieges in der Ost-Ukraine, scheinen in Syrien schwerste Frontarbeit zu verrichten.

    Laut der Agentur Reuters starben dort allein in den ersten neun Monaten des Jahres 2017 mindestens 131 russische Staatsbürger, die offiziellen Verluste der regulären Armee von bisher 44 Toten nicht mitgerechnet. BBC-Reporter, die die Nummern der vom russischen Konsulat in Syrien ausgestellten Totenscheine verglichen, kamen zu dem Schluss, dass dort allein vergangenen September 54 „Wagner“-Söldner umgekommen sind.

    Die Gruppe „Wagner“ zählt mindestens 3602 Mann

    Schon spekulieren liberale Blogger, die russische Militärführung habe den Angriff auf die Ölbasis und den massenhaften Einsatz der „Wagner“-Kämpfer in Syrien organisiert, um möglichst viele potenziell extremistische Donbass-Krieger zu beseitigen.

    Aber der Moskauer Nahost-Experte Alexander Schumilin glaubt, „Wagner“ habe in Syrien als klassische Söldnergruppe agiert. „Einerseits setzen die Inhaber ihre Kämpfer durchaus im Interesse syrischer Wirtschaftsgruppen ein, etwa um Ölquellen zu erobern oder zu sichern. Aber die Truppe kann auch ganz andere Aufgaben lösen, die ihr Damaskus oder Moskau stellt. Ein halb verdecktes militärisches Instrument.“

    Nach Angaben des Portals republic.ru zählt die Gruppe „Wagner“ zurzeit mindestens 3602 Mann. Sold, Frontzulagen und Abfindungen sollen in den vergangen zweieinhalb Jahren über 230 Millionen Dollar gekostet haben. Inhaber Prigoschin war in den 1990er-Jahren Würstchenverkäufer und eröffnete dann in St. Petersburg ein Restaurant. Dort traf er Putin – und bald ging es geschäftlich für ihn steil bergauf.

    Prigoschin steht auf der Sanktionsliste der USA

    Prigoschin richtete Staatsbankette aus, verpflegte Schulen und die Armee. Dass Prigoschins Firmen auch neue Militärbasen an der Grenze zur Ukraine bauten, ist einer der Gründe, warum „Putins Koch“, wie er genannt wird, auf der Sanktionsliste der USA steht. Prigoschins Geschäfte mit dem Militär ermöglichten ihm auch den Aufbau jener geheimen „Wagner“-Truppe.

    Russische Medien berichteten von einer Vereinbarung mit dem Assad-Regime, die Prigoschins Firma ein Viertel der Fördermenge aus befreiten Öl- und Gasfeldern zusichere. Und „Wagner“-Kommandeur Dmitri Utkin posierte schon im Kreml mit dem Staatschef anlässlich eines Empfangs – „Für die Helden des Vaterlands“. Nach ihrem Chef ist die Geheimtruppe auch benannt: Utkin ist Ex-Oberstleutnant der Spezialkräfte des Militärgeheimdienstes GRU, Kampfname „Wagner“.

    Das Sterben geht an allen Fronten in Syrien weiter. Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron haben deshalb gemeinsam an Putin appelliert. In einem Brief mahnten sie ihn am Freitag, auf eine Waffenruhe im belagerten Rebellengebiet Ost-Ghuta sowie humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung hinzuwirken.