Berlin. Der neue Grünen-Chef Robert Habeck stellt sich auf vier Jahre Opposition ein. Zum Streit Gabriel-Schulz hat er eine klare Meinung.

Fürs Erste hat er das Büro seiner Vorgängerin Simone Peter bezogen, doch Robert Habeck will die Chefetage der Grünen-Geschäftsstelle neu organisieren – und mit seiner Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock ein Arbeitszimmer teilen. Ständiger Austausch ist ihm wichtig. Das Schauspiel in den GroKo-Parteien verfolgt der neue Grünen-Chef gelassen.

Herr Habeck, Union und SPD haben sich auf einen Koalitionsvertrag verständigt. Stellen sich die Grünen auf vier weitere Jahre in der Opposition ein?

Robert Habeck: Ja. Ich stellte mich darauf ein, dass die große Koalition kommt und vier Jahre regiert.

Damit wären die Grünen mindestens 16 Jahre ohne Regierungsverantwortung – wäre das nicht Mist?

Das ist Mist fürs Land. Ja, die große Koalition hat durchaus Beachtenswertes beschlossen, etwa zur Finanzierung der Bildung. Aber die grundsätzlichen Fragen – Umwelt, Landwirtschaft, Sozialsysteme, Digitalisierung, Globalisierung – werden nicht angegangen. Da läuft aber die Zeit gegen Deutschland: Die Welt ändert sich rasend, und wir müssen entscheiden, was wir daraus machen. Das ist jetzt unser Job. Klar, wir hätten schon gern regiert. Aber dann kümmern wir uns halt aus der Opposition darum.

Vielleicht geht es doch schneller mit dem Regieren. Die SPD steckt wieder einmal in der Führungskrise – und auch in der CDU rumort es ...

Die Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck.
Die Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck. © dpa | Julian Stratenschulte

Über die Merkel-Dämmerung wurde schon x-mal geschrieben, noch ist Angela Merkel nicht untergegangen. Und dass in der SPD die Vorsitzenden kommen und gehen, ist eigentlich auch nichts Neues. Aber ob das jetzt nur ein schmerzlicher Häutungsprozess ist oder die SPD in eine tiefer gehende Krise stürzt, werden die nächsten Wochen zeigen. Ganz gleich, was passiert: Die Aufgabe der Grünen ist es, eine optimistische und gestaltungsfreudige Alternative zu entwickeln.

Was bedeutet die Vorstellung, die Union und SPD gerade aufführen, für die Glaubwürdigkeit der Politik?

Ich mache der SPD keinen Vorwurf, weil sie nun doch bereit ist, zu regieren. Schließlich sind die Jamaika-Sondierungen gescheitert. Die SPD begeht vielleicht Wortbruch, aber das ist Wortbruch aus Verantwortung. Dem Koalitionsvertrag würde ich aus inhaltlichen Gründen dennoch nicht zustimmen. Was Martin Schulz betrifft: Er hat seine Entscheidung getroffen. Respekt, dass er Konsequenzen aus den Irritationen zieht. Das Weitere muss die SPD mit sich ausmachen.

Was geht in Ihnen vor, wenn der amtierende Außenminister Sigmar Gabriel mangelnde Wertschätzung und Wortbruch beklagt?

Ich weiß ja nicht, was zwischen Schulz und Gabriel besprochen war. Klar ist: Politik kann Freundschaften kaputt machen. Sie ist ein elend undankbares Geschäft. Man vergisst das Menschliche sehr schnell, aber das wissen wir ja alle. Herabsetzungen sind schwer zu ertragen, aber man muss sie als Politiker hinnehmen. Es ist auch ein Privileg, diesen Beruf ausüben zu können. Aus Sigmar Gabriel ist es halt jetzt rausgebrochen. Man sollte da nicht zu hart urteilen. Zum Geschäftsmodell Politik gehört allerdings, sich nicht so viel über persönliche Dinge zu beschweren.

Die Unruhe in der SPD mindert die Erfolgsaussichten des Mitgliederentscheids. Gibt es automatisch Neuwahlen, wenn die sozialdemokratische Parteibasis die nächste GroKo verhindert?

Wie gesagt, ich rechne mit einer großen Koalition für vier Jahre. Aber auch überraschende Dinge passieren. Donald Trump ist amerikanischer Präsident geworden. Der Brexit wurde beschlossen. Wir haben nie die Tür zu weiteren Gesprächen mit Union und FDP zugemacht. Aber die FDP hat die Tür so laut zugeschlagen und gleich noch die Nägel hinterhergehauen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass es jetzt noch einmal Jamaika-Gespräche gibt. Sollte der SPD-Mitgliederentscheid scheitern, wird über kurz oder lang der Weg zu Neuwahlen beschritten.

Ganz schön hart: So rechnet Sigmar Gabriel jetzt mit der SPD-Spitze ab

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    Mit welchen Spitzenkandidaten würden die Grünen denn antreten – wieder mit Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir?

    Wir klären das Ding in dreieinhalb Jahren.

    Und wenn Sie doch erheblich früher entscheiden müssen?

    Das bekommen wir hin. In der Krise sind wir stark.

    Özdemir geht davon aus, dass er automatisch wieder Spitzenkandidat wäre.

    Wenn es zu Neuwahlen kommt, entscheidet unser Parteitag, wer Spitzenkandidat wird. Aber noch mal: Wir müssen jetzt überhaupt nicht darüber nachdenken, welche Leute dann antreten.

    Was wird aus Özdemir? Hinterbänkler im Bundestag?

    Cem Özdemir wird Vorsitzender des Verkehrsausschusses. Das ist ein wichtiger Posten.

    Die AfD will Kanzlerin Merkel „jagen“. Welche Strategie haben Sie sich für die Opposition zurechtgelegt?

    Der Kitt unserer Gesellschaft wird bröckelig und trocknet aus. Wir müssen eine Politik entwickeln, die den Zusammenhalt stärkt und möglichst wenig Verlierer produziert. Es geht uns um eine optimistische Politik für die liberale Demokratie. Wir brauchen große Mehrheiten für große Projekte – etwa die ökologische Modernisierung.

    Besonders angriffslustig klingt das nicht.

    Wir wollen Menschen nicht persönlich diskreditieren. Und es wäre ohnehin falsch, die Aufgabe von Politik im Angriff auf den Gegner zu sehen. Damit beschränkt man sich. Wir wollen eine eigene Programmatik entwickeln, die über die Nervosität und Gereiztheit und die Lähmung dieser Jahre hinausweist. Erlauben Sie mir ein Bild aus dem Fußball: Wir arbeiten nicht mit Blutgrätschen, sondern tragen den Ball mit Kurzpassspiel ins andere Tor. So gewinnt man inzwischen Europameisterschaften.

    Im Bundestag sind erstmals sieben Parteien vertreten. Wie viele davon sind regierungsfähig?

    Fünf.

    Neben der AfD also auch die Linkspartei nicht.

    Die Linke ist in ihrem gegenwärtigen Zustand jedenfalls kein Koalitionspartner für uns. Ich bin gespannt, ob sie irgendwann mal wieder Bock hat, das demokratische Spiel mitzuspielen. Die Linke muss klären, ob sie eine linksnationale Partei sein will oder sich zu einer progressiven und öffnenden Politik bekennt – gerade in der Zuwanderungsfrage.