Berlin. Nach den umstrittenen Abgastests mit Affen und Menschen im Auftrag der Autoindustrie fordern Kritiker neue Regeln für die Wissenschaft.

„Der Münchner Toxikologe Prof. Dr. med. Helmut Greim widersprach den Einschätzungen.“ Ein schlichter Satz aus einem Dokument des Bundestages. Seit Anfang der Woche ist er von Interesse. Weil er einen Bezug hat zu den umstrittenen Abgastests an Affen und Menschen, die seit dem Wochenende für Empörung sorgen. Und weil er zu der Frage führt, wie Forscher mitgewirkt haben an dem Vorhaben, die angebliche Unbedenklichkeit der neuen Dieseltechnik nachzuweisen.

Greims Widerspruch stammt aus einer Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Dieselskandal vom 8. September 2016. Dort war der emeritierte Professor als Sachverständiger geladen. Dem Urteil zweier Kollegen wollte Greim nicht folgen. Diese hatten die Nachweise zu Gesundheitsgefahren von Stickoxiden als „statistisch belastbar“ und das Gas als „Luftschadstoff Nummer eins in Deutschland“ bezeichnet. Für Greim hingegen war die „Wirkintensität von NO2 gering“, wie es im Bundestagsdokument heißt.

Aachener Universitätsklinikum führte umstrittene Tests durch

In den vergangenen Tagen nun stellte sich heraus: Helmut Greim war auch in die fragwürdigen Abgastests an Affen und Menschen involviert, die die Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) beauftragt oder bezahlt hatte. Er war Vorsitzender des Forschungsbeirats des von der Autoindus­trie bezahlten Lobbyvereins.

„Dass die Forschung ausgerechnet von jemandem gesponsert worden ist, der größter Profiteur dieser Forschung sein kann – das hat ein Geschmäckle“, sagt der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock. Angesichts der umstrittenen Tests an Menschen, durchgeführt vom Aachener Universitätsklinikum, befürchtet er einen Imageschaden für die seriöse Forschungsarbeit. Dass Unternehmen und Verbände mit viel Geld Institute und Hochschulen unterstützen, ist üblich. Die Beweggründe sind unterschiedlich: Universitäten haben ein Forschungsinteresse und werben Geld von Unternehmen ein.

Schmidt verurteilt Abgastests "auf das Schärfste"

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    Höchste „Einnahmen“ in Humanmedizin und Ingenieurwissenschaften

    Oder Hersteller schreiben Studien aus, weil sie per Gesetz vor der Zulassung von Lebensmitteln oder Medikamenten zu wissenschaftlichen Nachweisen verpflichtet sind. Laut Statistischem Bundesamt bekamen die deutschen Hochschulen im Jahr 2015 rund 7,4 Milliarden Euro Drittmittel – also Geld, das nicht über den laufenden Haushalt fließt. Durchschnittlich jeder vierte Euro kam von Geldgebern aus der Wirtschaft. Nach dem Ranking „warb“ ein Hochschullehrer durchschnittlich 257.600 Euro ein. Die höchsten „Einnahmen“ erzielten dabei die Professoren aus den Fachbereichen Humanmedizin und Ingenieurwissenschaften.

    So unterhält an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen ein Energieversorger das „E.ON Energy Research Center“. Innerhalb von zehn Jahren stellt das Unternehmen dafür 40 Millionen Euro bereit. An der Ludwig-Maximilians-Universität in München wird das „Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht“ von einer Stiftung finanziert, die von Arbeitgeberverbänden getragen wird.

    Kontrollwerk für Hochschulen gibt es nicht

    Google unterhält unter anderem an der Humboldt-Universität zu Berlin ein Institut für Internet und Gesellschaft. Kürzlich wurde auch bekannt: Die Technische Universität München (TUM) lässt sich 20 neue Lehrstühle von der Stiftung des Lidl-Gründers Dieter Schwarz finanzieren. Das Internetportal „hochschulwatch.de“ sammelt die Kooperationen und veröffentlicht sie. Ein Kontrollwerk für die Hochschulen gibt es nicht. Diese sind frei in der Entscheidung, von wem sie Geld nehmen. Der Deutsche Hochschulverband gibt lediglich Empfehlungen für den Umgang mit den privaten Förderern.

    Bei den Kooperationen aber komme es immer wieder zu geheimen Verträgen und haarsträubenden Verquickungen, schreibt der Finanzprofessor Christian Kreiß in seinem Buch „Gekaufte Forschung. Wissenschaft im Dienst der Konzerne“. Früher sei es die Zigarettenindustrie gewesen, die mit „wissenschaftlichen Studien“ die Risiken des Nikotins verharmloste, heute sei es etwa die Lebensmittellobby, die vieles daran setze, den Verdacht zu entkräften, dass Zucker krank mache.

    Pharmaindustrie sponsort 90 Prozent der Medikamententests

    Immerhin kommt ein Großteil der Drittmittel nicht aus der Privatwirtschaft, sondern aus den Fördertöpfen von Bund und Ländern. Doch die Vergabegremien, kritisiert Finanzprofessor Kreiß, seien zum größten Teil mit Entscheidern aus der Wirtschaft besetzt. Kreiß’ prominentestes Beispiel: die milliardenschwere Hightech-Strategie der Bundesregierung. „Zu welchen Forschungsthemen die einzelnen Wissenschaftler Projektanträge stellen können, entscheiden Gremien, in denen vor allem Vertreter großer Konzerne sitzen.“

    Auch in der Medizin, spielt die Förderung durch die Industrie den Experten zufolge eine tragende Rolle. 90 Prozent der Medikamententests seien in irgendeiner Form durch die Pharmaindustrie gesponsert. „Es gibt gute und sehr verlässliche Studien“, sagt Kreiß. „Aber, dort, wo die Wirtschaft mit im Boot ist, entstehen Interessenkonflikte.“ Was also tun, damit man Studien und Tests vertrauen kann? Die Grünen forderten am Dienstag mehr Transparenz. Auftragsforschung müsse immer klar kenntlich gemacht werden, sagte der forschungspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Kai Gehring, unserer Redaktion.

    Staatliche Grundfinanzierung als Voraussetzung

    Nur so könnten „Abhängigkeiten öffentlich bekannt werden“. Zudem sei eine auskömmliche staatliche Grundfinanzierung von Wissenschaft und Forschung nötig. „Die Forschungsfreiheit darf nicht in Gefahr geraten durch zu große Abhängigkeiten von Privaten.“ Auch der Hochschulverband fordert eine bedarfsgerechte Grundfinanzierung der Unis. Die Grünen verlangen eine Überprüfung der staatlichen Forschungskontrolle bei Studien mit Tieren und Menschen. Möglicherweise gebe es Lücken bei den bestehenden Kontrollmechanismen.

    Für den Verein Lobbycontrol, der sich für mehr Transparenz in der Politik einsetzt, ist noch mehr gefragt. Er wiederholte am Dienstag seine Forderung nach gesetzlichen Regeln für die Interessenvertreter von Verbänden, Unternehmen, Stiftungen oder PR-Organisationen. Diese sollen nachweisen, mit wie viel Geld und in wessen Auftrag sie Einfluss auf die Politik nehmen. „Die Bundesregierung muss sich beim Umgang mit Lobbyisten neu aufstellen und sich endlich von fragwürdigen Experten wie Prof. Helmut Greim distanzieren“, sagte Politikwissenschaftlerin Christina Deckwirth. Der Wissenschaftler sei in der Vergangenheit bereits mehrfach negativ aufgefallen – durch Interessenkonflikte und industrienahe Positionen.