Paris/Berlin. Der Bundestag hat am 55. Jahrestag für eine Neuauflage des Élysée-Vertrags gestimmt. Paris und Berlin wollen der EU neue Impulse geben.

Es stimmt: Die wilden Zeiten dieses leicht ergrauten Paares sind längst vorüber. Schließlich war es am Montag bereits 55 Jahre her, dass sich Deutschland und Frankreich mit der Unterzeichnung des sogenannten Élysée-Vertrags die Treue schworen. Auch deswegen haben die Abgeordneten des Bundestags und der französischen Nationalversammlung das Datum zum Anlass genommen, aus der bilateralen Routine auszubrechen.

In zwei gleichlautenden Resolutionen forderten die Parlamentarier am Montag ihre Regierungen zu einer Erneuerung des Élysée-Vertrags auf, um endlich wieder frischen Wind in die deutsch-französische Partnerschaft zu bringen.

Applaus von allen Parteien – außer der AfD

Der Präsident der französischen Nationalversammlung warnte bei seiner Gastrede im Bundestag zugleich vor Populismus. Dieser beginne immer mit der Ablehnung des Fremden, dann komme die Ablehnung des anderen, sagte François de Rugy. Populismus „zersprengt Gesellschaften und legt schließlich die Demokratie in Schutt und Asche“, warnte der Franzose.

Im Bundestag applaudierten ihm daraufhin die Abgeordneten aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD. „Populismus und Nationalismus bedrohen alle europäischen Nationen“, sagte de Rugy in seiner in deutscher Sprache gehaltenen Rede.

Rasche Antwort auf Marcrons EU-Initiative gefordert

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sprach am Abend in der Nationalversammlung in Paris von einer besonderen Verantwortung für Europa, die Frankreich und Deutschland hätten. Konkret nannte Schäuble die Schaffung eines deutsch-französischen Wirtschaftsraums und die „großen Zukunftsthemen“ Klimaschutz, Energie oder digitale Gesellschaft als gemeinsame Aufgaben. „Als Deutsche und Franzosen wollen wir vorangehen“, sagte der CDU-Politiker.

In der Debatte im Bundestag betonten Redner aller Fraktionen die Bedeutung der Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles lobte die Europa-Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an der Sorbonne-Universität und versprach, dass sich die SPD ernsthaft und entschlossen für eine engere Zusammenarbeit mit Frankreich einsetze.

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    CDU-Fraktionschef Volker Kauder mahnte zu möglichst raschen Antworten auf die französischen Initiativen. Dagegen kritisierte der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland, dass der Jahrestag genutzt werde, um die Vereinigten Staaten von Europa einzuläuten. Ein solches übernationales Europa habe aber de Gaulle nicht gewollt.

    Fehlende Bundesregierung wirft Zeitplan durcheinander

    Es war Macron, der im September an der Sorbonne-Universität in seiner Grundsatzrede über eine Neugründung der Europäischen Union auch einen neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag anregte. Und da es der Franzose wie stets eilig hat, sollte dieser Vertrag eigentlich schon an diesem Montag unterzeichnet werden.

    Doch der Umstand, dass in Berlin nach wie vor keine neue Regierung steht, warf den Zeitplan über den Haufen. Grund genug für die Macrons Ungeduld teilenden Volksvertreter auf beiden Seiten des Rheins, nun den Druck zu erhöhen und eine konsequente Vertiefung der Kooperation in nahezu allen Bereichen einzuklagen.

    Deutsch-französischer Wirtschaftsraum soll her

    In ihrer gemeinsamen Resolution dringen die Abgeordneten nicht nur auf den Ausbau sämtlicher Verkehrsverbindungen zwischen Deutschland und Frankreich. Ihnen schwebt vielmehr ein deutsch-französischer Wirtschaftsraum vor. Angedacht wird eine Angleichung des Unternehmens- und Insolvenzrechts sowie der Bemessungsgrundlagen bei der Firmenbesteuerung. Es soll zudem gemeinsame Sozialnormen für beide Länder geben und zusätzliche Anstrengungen in Sachen Bildung, Kultur und Arbeitnehmermobilität.

    Die Parlamente geben auch eine nachhaltig verstärkte Zusammenarbeit bei der inneren Sicherheit sowie – im Rahmen der geplanten EU-Verteidigungsunion – in militärischen Fragen vor. Außerdem plädieren sie dafür, die sogenannten Eurodistrikte aufzuwerten.

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      Diese grenzüberschreitenden Zusammenschlüsse von Städten und Landkreisen, etwa rings um Straßburg oder Freiburg im Breisgau, sollen im Hinblick auf Bildungseinrichtungen, Gesundheitsversorgung oder beim Ausbau der regionalen Verkehrsstruktur zusätzliche Befugnisse erhalten.

      Élysée-Vertrag war vor allem Geste der Aussöhnung

      Von all dem war vor mehr als einem halben Jahrhundert in der Tat nicht die Rede, als Charles de Gaulle und Konrad Adenauer 1963 in Paris den Élysée-Vertrag unterzeichneten. Zeitgenossen prägte sich damals in erster Linie die historische Geste der Aussöhnung zweier „Erbfeinde“ ein.

      Schon wenige Wochen später war der Vertrag aus Pariser Sicht keinen Pfifferling mehr wert. Der Bundestag hatte ihm bei der Ratifizierung eine Präambel vorangestellt, die die Franzosen brüskierte. Als Richtlinie wurde da auf einmal die Vertiefung der atlantischen Zusammengehörigkeit zwischen den USA und einem föderalen Europa ausgelobt. Tief enttäuscht erklärte der alte General, dass es Verträgen ergehe „wie jungen Mädchen oder Rosen: Sie welken rasch!“.

      Deutsch-französische Beziehung ist weltweit einmalig

      Doch es kam anders. Auch wenn von einer fruchtbaren politischen Kooperation zehn Jahre lang keine Rede sein konnte: Der Élysée-Vertrag hat sich als Fundament für eine weltweit einmalige Beziehung zwischen zwei Staaten entpuppt. Heute jagt ein deutsch-französisches Gipfeltreffen das nächste, die Minister stehen in Dauerkonsultation, Spitzenfunktionäre arbeiten im Austausch auf beiden Seiten des Rheins.

      Und unter der Regierungsebene haben sich eine Vielzahl von Einrichtungen wie die Städtepartnerschaften und der Jugendaustausch etabliert. Diese enge Verflechtung ist ebenso beispiellos wie strapazierfähig.