Brüssel. Die Gräben zwischen Kanzler Sebastian Kurz und Kanzlerin Angela Merkel bleiben tief. Allerdings könnte der Kurz-Kurs Europa guttun.

Brüssel, dann Paris und erst danach Berlin: Die Reihenfolge, in der der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz seine Antrittsbesuche absolviert, ist ungewöhnlich – nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Hauptstädten ist die Botschaft aufmerksam registriert worden.

Der jüngste EU-Regierungschef bemüht sich bei seiner Vorstellungstournee einerseits stark darum, eine proeuropäische Haltung zu demonstrieren und all jene zu besänftigen, die von der Koalition der österreichischen Konservativen mit der rechtspopulistischen FPÖ Unheil für die europäische Politik befürchten. Andererseits sollen ruhig alle wissen, dass es der Wahlsieger Kurz nicht eben eilig hatte, in Berlin seiner härtesten Gegnerin in der Flüchtlingspolitik die Aufwartung zu machen.

Als es am Mittwoch endlich so weit war, pflegten die geschäftsführende Kanzlerin und der frisch gewählte Kanzler zwar einen professionell-freundlichen Umgang – aber die Gräben, die den jungen Senkrechtstarter und die angeschlagene Regierungschefin trennen, blieben offensichtlich tief.

Kurz verdankt Wahlsieg auch seiner Merkel-Kritik

Es ist eben nicht nur eine Episode, dass Kurz seinen Wahlsieg auch der Profilierung als scharfer Kritiker von Merkel und ihrer Flüchtlingspolitik verdankt. Er betritt jetzt auch die europäische Bühne als selbstbewusster Gegenspieler der Kanzlerin. Das hat Folgen – für die Europäische Union ebenso wie für Merkel persönlich.

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Die Karten in Europa werden neu gemischt: Auch Kurz spricht von Erneuerung und Umbruch in der Europäischen Union. Aber er meint etwas anderes als die Regierungen in Paris und Berlin. Er stellt unbequeme Fragen, er will nicht mehr, sondern weniger Europa. Die EU soll sparsamer sein, sich um weniger Aufgaben kümmern. Und sie soll auf verpflichtende Vorgaben zur Verteilung von Flüchtlingen verzichten, auf die gerade Merkel so vehement besteht.

Während sich in Berlin jetzt die schwarz-roten Sondierer auf neue, substanzielle Integrationsschritte nicht nur in der Eurozone verständigen, bremst Kurz und sagt auch zu höheren EU-Beiträgen Nein. Das ist in vielem ein offensives Gegenprogramm zu Merkel, mehr noch zu Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Wiener Einsprüche können Euopa guttun

Der Österreicher vertritt zwar nur ein kleineres EU-Land, aber ihm spielt jetzt zweierlei in die Hände: Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr verleiht die Möglichkeit, die europäische Agenda zu prägen. Und wenn Kurz tatsächlich in die Rolle eines Brückenbauers zu den Staaten Ost- und Mitteleuropas hineinwächst, könnte das seinen Einfluss in Brüssel deutlich erhöhen. Was Kurz als Konzept präsentiert, widerspricht zwar den gängigen Integrationsbekenntnissen in der EU – antieuropäisch ist es damit noch lange nicht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch neben Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz auf der gemeinsamen Pressekonferenz nach ihrem Treffen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch neben Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz auf der gemeinsamen Pressekonferenz nach ihrem Treffen. © dpa | Michael Kappeler

Man muss nicht alle seine Forderungen gutheißen, aber: Der Debatte um die Zukunft Europas können die Wiener Einsprüche durchaus guttun. Vorausgesetzt, der Koalitionspartner FPÖ zwingt Kurz nicht zu rechtspopulistischen Abenteuern. Merkel täte gut daran, den Ball alsbald aufzunehmen und auf den forschen österreichischen Konservativen offensiv mit eigenen Ideen und Positionen zur Europapolitik zu antworten. Andernfalls droht ihr Ungemach im eigenen Haus.

Für viele Konservative auch in der Union bedient der Wiener Wunderknabe Sehnsüchte, die die Kanzlerin beharrlich ignoriert. Nicht nur in der CSU hat Sebastian Kurz Fans, auch in der Nachfolgegeneration der CDU wird er hofiert. Sie schätzen das Signal, das Merkel Sorgen machen darf: Es gibt eine Alternative zum Mitte-Kurs der Kanzlerin.