Berlin. Europa hat einen neuen Plan, um den Flüchtlingsstrom aus afrikanischen Staaten einzudämmen. Profiteure wären Italien und Deutschland.

Mit Kriegsschiffen, Drohnen und bis zu 1000 Soldaten will Italien die Kontrolle über die libysche Küste erringen, um Schleppern das Handwerk zu legen. Am Dienstag beriet das Parlament in Rom über den Plan, an diesem Mittwoch steht die Abstimmung an. Italien macht Tempo und liefert eine Blaupause für Europa.

Prinzipiell soll auch die zuletzt verlängerte EU-Mission „Sophia“ ihren Aktionsradius ausweiten und nicht nur in internationalen Gewässern, sondern auch in der Zwölf-Seemeilen-Zone vor der Küste patrouillieren. Der Plan, um eine neue Flüchtlingswelle einzudämmen, geht weit darüber hinaus: Die libysche Übergangsregierung von Präsident Fajes al-Farradsch soll stabilisiert werden und im Gegenzug sowohl der militärischen Hilfe als auch dem Aufbau von „Hotspots“ zustimmen.

Dort würde man die Asylbewerber abfangen, versorgen, registrieren, ihre Anträge prüfen und – bei einer Ablehnung – zurückschicken. Neben Italien wäre Deutschland Hauptprofiteur. Die meisten Migranten zieht es nach Norden. An der Ausweitung von „Sophia“ werde „seit Monaten“ gearbeitet, verrät der EU-Abgeordnete Elmar Brok (CDU). „Die verschiedenen Bemühungen ergeben ein Bild, das Sinn macht“, erklärte er unserer Redaktion.

Der Kopf hinter der Aktion

Der neue Mann im Élysée-Palast, Präsident Emmanuel Macron, hat im Interview mit dieser Zeitung gesagt, dass der Ansturm der Flüchtlinge über das Mittelmeer nur unterbunden werden könne, wenn Europa Libyen unterstütze. Das Ölland wird von Hunderten bewaffneten Milizen und Clans beherrscht. Der Präsident der Übergangsregierung, Fajis al-Sarradsch, hat nicht einmal die volle Kontrolle über die Hauptstadt Tripolis. Der französische Präsident versprach, „in einigen Wochen werden wir die Leitung einer Reihe von konkreten diplomatischen Initiativen übernehmen“, um die Stabilität Libyens wiederherzustellen.

Gesagt, getan. Keine zwei Wochen später lud er die Streithähne in Libyen auf ein Schloss bei Paris ein: al-Sarradsch und den starken Mann im Osten des Landes, General Chalifa Haftar. Beide verständigten sich in einem Zehn-Punkte-Plan auf eine Waffenruhe sowie Parlaments- und Präsidentenwahlen, voraussichtlich im Frühjahr 2018.

Die Rolle Italiens

Einen Tag später sprach al-Sarradsch in Rom vor, nach italienischer Darstellung bat er um Hilfe beim Küstenschutz. Italien ist die frühere Kolonialmacht und nicht ohne Einfluss in Libyen. Regierungschef Paolo Gentiloni steht unter Handlungsdruck. Ihm kommt allerdings zugute, dass die treibende Kraft auf EU-Ebene eine Landsfrau ist: Außenbeauftragte Federica Mogherini.

Bereits am vergangenen Freitag beschloss die Regierung, die Marine auch zur Unterstützung der libyschen Küstenwache einzusetzen. „Das könnte der Anfang vom Ende der zigtausendfachen Zuwanderung über die sogenannte zentrale Mittelmeerroute von Libyen nach Italien sein“, jubelte der „Bayernkurier“, das Zentralorgan der Obergrenzen-Partei CSU.

Schulz: Mehr Unterstützung für Italien in der Flüchtlings-Krise

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    Die Mission „Sophia“

    Seit 2015 will die EU mit der Operation „Sophia“ Schleuser und Schlepper bekämpfen, bisher mit mäßigem Erfolg. Denn ihre Schiffe dürfen Boote bloß in internationalen Gewässern anhalten und durchsuchen. Innerhalb der Zwölf-Meilen-Zone konnten Schleuserboote ungehindert in See stechen. Die Flüchtlinge werden oft von privaten Seenotrettern aus dem Wasser geholt und den Militärs übergeben, die sie nach Italien bringen. So sparen die privaten Retter nicht zuletzt Diesel und Verpflegung.

    Die Italiener beobachten das Treiben der Nicht-Regierungsorganisationen voller Argwohn. Sie hegen den Verdacht, dass sie den Schleusern Lichtsignale zur Orientierung geben und ihre Transponder ausschalten, um nicht geortet zu werden.

    „Es ist wichtig, gegen die Schlepper vorzugehen“, mahnt Brok. Man müsse klären, ob die Operation „Sophia“ Zugang zu den Häfen erhalte und eine „menschenwürdige Lösung für die Flüchtlinge finden, die aufgegriffen werden.“

    In Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention ist das sogenannte Non-Refoulement-Prinzip verankert. Es verbietet, einen Flüchtling „auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten auszuweisen oder zurückzuweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde“. Genau die blüht den Migranten in den Lagern, in denen sie in Libyen landen würden: Misshandlung, Versklavung, Gewalt.

    Was Kanzlerin Merkel will

    Die deutsche Marine ist mit einem Schiff an „Sophia“ beteiligt, mit dem Tender „Rhein“. Ändert sich das Mandat, müsste der Bundestag neu abstimmen, womöglich in einer Sondersitzung. Eine Mehrheit wäre keineswegs sicher. „Wenn die Hilfsorganisationen behindert wären, würden wir uns schwer tun“, verrät ein SPD-Wehrpolitiker.

    Für SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz wäre es eine doppelte Herausforderung. Gerade erst hatte er Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Handeln aufgefordert, nun könnte die Aktion womöglich an der SPD scheitern. Die Bundesregierung hat allerdings stets hohe Bedingungen gestellt, neben der Erlaubnis der libyschen Regierung gehörte dazu ein Mandat der Uno.

    Die Bruchstellen

    Im Verteidigungsministerium heißt es, der Plan sei „blutig“, also im Rohstadium. Schwachstellen: die libysche Regierung und die Sicherheitslage. Plötzlich fühlt sich al-Sarradsch missverstanden, er wolle Unterstützung für die Küstenwache, aber kein Eingreifen der Italiener. Wie Italien im Einzelfall eingreifen soll, werde durch die libyschen Behörden festgelegt, stellte gestern Verteidigungsministerin Roberta Pinotti klar.

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    Kritik kommt von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International: „Statt Schiffe zu senden, um Menschenleben zu retten und verzweifelten Migranten und Flüchtlingen Schutz zu geben, bereitet sich Italien darauf vor, Kriegsschiffe zu schicken, um diese zurückzudrängen“, sagt der Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation für Europa, John Dalhuisen. Das sei eine „beschämende Strategie“.

    Auch der Aufbau von „Hotspots“ wird nicht so schnell vorankommen, wie Macron erwartet hatte. Ende August soll ein Expertenteam zunächst die Sicherheitslage prüfen. Der Franzose hält aber an der glasklaren Trennung zwischen politischen Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten fest. „Wir können nicht alle Frauen und Männer aufnehmen, die aus Ländern kommen, in denen kein Krieg und kein erhöhtes Risiko für politische Unruhen herrscht“, so Macron, „dies würde nur dazu führen, noch mehr Wanderungsbewegungen zu befeuern.“