Berlin. Viele Pädagogen sind schlecht vorbereitet auf den Unterricht in Klassen mit vielen ausländischen Kindern. Dies belegt eine neue Studie.

Fast überall in Deutschland hat die Schule wieder angefangen – für Millionen deutsche, türkische oder auch polnische Kinder und auch für die rund 325.000 schulpflichtigen Flüchtlingskinder, die in den vergangenen beiden Jahren nach Deutschland gekommen sind. Bundesweit hat heute im Schnitt jedes dritte Kind ausländische Wurzeln, in vielen Großstädten sind Klassen mit mehr als zehn Nationalitäten längst Alltag. Doch was ist mit den Lehrern? Eine neue Studie beklagt jetzt: Viele sind noch immer schlecht auf den Unterrichtsalltag in der Einwanderungsgesellschaft vorbereitet.

Die Forscher des Sachverständigenrats Deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) und des Mercator-Instituts für Sprachförderung haben die Lage in 16 Bundesländern ausgewertet und fordern: Jeder Lehrer sollte Grundkenntnisse fürs Unterrichten in gemischten Klassen erwerben. „Eine vielfältige Schülerschaft zu unterrichten kann bei fast einem Drittel von Kindern mit Zuwanderungsgeschichte in den Klassen nicht mehr Sache weniger Spezialisten sein, sondern geht das ganze Kollegium an“, sagt Cornelia Schu, Direktorin des SVR-Forschungsbereichs, bei der Vorstellung der Studie in Berlin.

Interkulturelles Unterrichten bedarf großer Übung

Richtig, heißt es bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), solche Grundkenntnisse seien wichtig. „Interkulturelles Unterrichten kann man sich nicht einfach anlesen“, sagt GEW-Chefin Marlis Tepe gegenüber dieser Redaktion. Alle Lehramtsstudenten sollten eine Schulung in Sprachförderung und interkultureller Pädagogik bekommen. Selbst im Mathematikunterricht könne es helfen, wenn Lehrer die verschiedenen Herkunftssprachen im Blick hätten. Tepes Beispiel: Eine Lehrerin, die daran denkt, dass es Kinder gibt, die erst eine 8 und dahinter eine 4 schreiben, wenn sie die Zahl 48 hören, könne solchen Kindern viel besser helfen. In der Lehrerausbildung sind solche Schulungen jedoch noch längst nicht überall üblich.

In Nordrhein-Westfalen sind sämtliche Lehramtsstudenten seit 2011 verpflichtet, Kurse in Sprachbildung (Deutsch als Zweitsprache) zu belegen, Berlin, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg haben kürzlich nachgezogen. In Hamburg und Bremen haben sich der Studie zufolge die Hochschulen zumindest selbst verpflichtet – auch hier müssen Lehramtsstudenten jetzt an solchen Kursen teilnehmen. In den übrigen Ländern ist das an vielen Hochschulen weder verpflichtend noch bestehe überhaupt die Möglichkeit, sich auf den Unterricht in heterogenen Klassen vorzubereiten.

Lehrer-Gewerkschaften fordern mehr Fortbildungen

Auch die Studienautoren fordern, dass Grundkenntnisse in Sprachförderung und interkultureller Pädagogik bundesweit zum Pflichtteil für alle Lehramtsstudenten werden soll. Hans-Peter Meidinger, Vorsitzender des Philologenverbands, hält das jedoch für Augenwischerei: „Es ist eine Illusion zu glauben, dass ein Zusatzkurs an der Uni ausreicht, um künftige Lehrer auf den Alltag mit multikulturellen Klassen vorzubereiten“, so Meidinger gegenüber dieser Redaktion. Ein Kurs löse die Probleme nicht. „Wir brauchen in erster Linie kleinere Klassen und mehr Spezialisten mit der Ausbildung für Deutsch als Fremdsprache an den Schulen.“

Bei den bundesweit mehr als 600.000 Lehrern, die längst im Schuldienst sind, ist die Lage laut Studie noch problematischer: In der Lehrerfortbildung gebe es zu wenige und zu wenig wirksame Angebote für sprachlich und kulturell vielfältige Klassen. In NRW, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen sei der Anteil an Fortbildungen zu sprachlicher und kultureller Vielfalt im Vergleich zu anderen Angeboten besonders niedrig. „Das Ergebnis ist ernüchternd“, sagt Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung. Schließlich hätten sich die Länder bereits vor 20 Jahren zum Ausbau interkultureller Aus- und Fortbildungsangebote verpflichtet.

Viele Bundesländer bieten nur wenig Seminare an

Ein zusätzliches Problem: Die meisten Bundesländer bieten meistens nur eintägige oder halbtägige Veranstaltungen an. Dieser Zeitraum aber sei viel zu kurz, um Lehrkräfte systematisch auf die Anforderungen im multikulturell geprägten Schulalltag vorzubereiten, sagen die Forscher. Meidinger stimmt zu: „Eintägige Fortbildungsangebote nützen wenig. Doch wer einfach längere Kurse fordert, macht es sich zu leicht: Die Schulen leiden ja jetzt schon unter Stundenausfall.“ Viele Lehrer würden sich gerne fortbilden. „Aber sie wissen genau: Wenn sie zwei Wochen lang weg sind, geht das auf Kosten ihrer Klassen und ihrer Kollegen.“ Ohne eine Personalreserve an jeder Schule werde es schwer, mehr Fortbildungen zu ermöglichen.

Auch Tepe sieht das so: „Fortbildungen müssen wieder fester Bestandteil des Lehreralltags sein. Nur so schaffen wir auch die Integration der Flüchtlingskinder.“ Doch dazu müssten die Schulen mehr Lehrer einstellen Eine Stundenreserve von zusätzlich fünf Prozent würde nach GEW-Berechnungen 1,8 Milliarden Euro kosten.