Berlin/London. Der Brexit ist ein Votum mit weit reichenden Folgen. Für die Briten, aber auch für alle anderen Europäer wird sich so einiges ändern.

Die Absage der Briten an eine EU-Mitgliedschaft dürfte politisch und wirtschaftlich wie ein Erdbeben wirken. Vieles ist noch Spekulation, aber einige Folgen des Anti-EU-Votums sind absehbar oder deuten sich an. Ein Überblick.

• Das bedeutet das Referendumsergebnis für die Briten

Die Regierung: Der konservative Premierminister David Cameron konnte sich nicht mehr halten. Er hatte das Referendum angesetzt und – halbherzig – für den Verbleib in der EU geworben. Sein innerparteilicher Rivale, Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson, würde nur zu gern Cameron politisch beerben. Die Frage ist, ob dies so einfach gehen wird. Neuwahlen sind zwar auch eine denkbare Option – aber die könnten einen weiteren Sieg für den Europagegner Nigel Farage und seine Ukip-Partei bringen.

Die Schotten: Das Vereinigte Königreich steht sehr wahrscheinlich schon bald wieder vor einer Zerreißprobe. Die Schotten hatten vor dem Referendum deutlich gemacht, dass sie in der EU bleiben wollen – auch wenn die Mehrheit der Briten für den Brexit stimmt. Dies geht aber nur, wenn Schottland unabhängig wird. Anders als 2014 stünden die Chancen bei einem neuen Unabhängigkeits-Referendum wohl gut – beim Brexit-Votum am Donnerstag jedenfalls stimmten rund 62 Prozent der Schotten für den Verbleib in der EU. Und in Nordirland melden sich auch schon die ersten Stimmen, die eine Loslösung vom United Kingdom fordern.

Brexit-Befürworter bejubeln ihren Sieg

Die Entscheidung ist gefallen: Die Mehrheit der Briten hat beim Brexit-Referendum für einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union gestimmt.
Die Entscheidung ist gefallen: Die Mehrheit der Briten hat beim Brexit-Referendum für einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union gestimmt. © REUTERS | NEIL HALL
Überall auf den Straßen Londons ...
Überall auf den Straßen Londons ... © Getty Images | Chris J Ratcliffe
... jubeln die Brexit-Befürworter.
... jubeln die Brexit-Befürworter. © imago | Kyodo News
51,9 Prozent der Briten haben für den Austritt aus der EU gestimmt, lediglich 48,1 Prozent für den Verbleib. Insgesamt votierten 17.410.742 Wähler beim EU-Referendum für den Brexit, 16.141.241 fürs Drinbleiben.
51,9 Prozent der Briten haben für den Austritt aus der EU gestimmt, lediglich 48,1 Prozent für den Verbleib. Insgesamt votierten 17.410.742 Wähler beim EU-Referendum für den Brexit, 16.141.241 fürs Drinbleiben. © dpa-infografik | dpa-infografik GmbH
Nach Ansicht des führenden Vertreters des Brexit-Lagers, Boris Johnson, dürfte sich kurzfristig nichts ändern. Es gebe keinen Grund zur Eile, sagt der frühere Londoner Bürgermeister.
Nach Ansicht des führenden Vertreters des Brexit-Lagers, Boris Johnson, dürfte sich kurzfristig nichts ändern. Es gebe keinen Grund zur Eile, sagt der frühere Londoner Bürgermeister. © REUTERS | POOL
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach der Brexit-Entscheidung Großbritanniens für einen EU-Austritt zu Ruhe und Besonnenheit aufgerufen. Es dürfe jetzt keine schnellen und einfachen Schlüsse geben, sagte sie am Freitag in Berlin.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach der Brexit-Entscheidung Großbritanniens für einen EU-Austritt zu Ruhe und Besonnenheit aufgerufen. Es dürfe jetzt keine schnellen und einfachen Schlüsse geben, sagte sie am Freitag in Berlin. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
„Der heutige Tag ist ein Einschnitt für Europa, er ist ein Einschnitt für den europäischen Einigungsprozess“, sagte Merkel.
„Der heutige Tag ist ein Einschnitt für Europa, er ist ein Einschnitt für den europäischen Einigungsprozess“, sagte Merkel. © dpa | Kay Nietfeld
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker fordert die Regierungen in Berlin und Paris zu einer raschen Reaktion auf. „Ich erwarte, dass Frankreich und Deutschland eindeutig Position beziehen, damit für jeden klar wird, dass diese Situation der Unsicherheit nicht lange anhalten darf“.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker fordert die Regierungen in Berlin und Paris zu einer raschen Reaktion auf. „Ich erwarte, dass Frankreich und Deutschland eindeutig Position beziehen, damit für jeden klar wird, dass diese Situation der Unsicherheit nicht lange anhalten darf“. © REUTERS | FRANCOIS LENOIR
Der französische Präsident Francois Hollande bedauert das Brexit-Votum. Das Nein der Briten zur EU sei eine große Herausforderung für Europa, das nun nicht zur Tagesordnung übergehen könne.
Der französische Präsident Francois Hollande bedauert das Brexit-Votum. Das Nein der Briten zur EU sei eine große Herausforderung für Europa, das nun nicht zur Tagesordnung übergehen könne. © Getty Images | Thierry Chesnot
Am Freitagmorgen hat der britische Premierminister David Cameron vor seinem Amtssitz Downing Street 10 seinen Rücktritt für Oktober angekündigt.
Am Freitagmorgen hat der britische Premierminister David Cameron vor seinem Amtssitz Downing Street 10 seinen Rücktritt für Oktober angekündigt. © REUTERS | STEFAN WERMUTH
Er zog damit die Konsequenzen aus seiner Niederlage beim EU-Referendum.
Er zog damit die Konsequenzen aus seiner Niederlage beim EU-Referendum. © dpa | Michael Kappeler
Freude beim britischen Rechtspopulisten Nigel Farage. Der Chef der rechtspopulistischen Ukip fordert rasche Austrittsverhandlungen. „Die EU scheitert, die EU stirbt“, sagte er. „Ich hoffe, wir haben den ersten Stein aus der Mauer geschlagen.“
Freude beim britischen Rechtspopulisten Nigel Farage. Der Chef der rechtspopulistischen Ukip fordert rasche Austrittsverhandlungen. „Die EU scheitert, die EU stirbt“, sagte er. „Ich hoffe, wir haben den ersten Stein aus der Mauer geschlagen.“ © REUTERS | TOBY MELVILLE
Morgendämmerung am 24. Juni: London erwacht – in einem völlig anderen Europa.
Morgendämmerung am 24. Juni: London erwacht – in einem völlig anderen Europa. © dpa | Hannah Mckay
Am Freitagmorgen fiel das Pfund erstmals seit 1985 unter die Marke von 1,35 US-Dollar.
Am Freitagmorgen fiel das Pfund erstmals seit 1985 unter die Marke von 1,35 US-Dollar. © REUTERS | ANDREW KELLY
Der bevorstehende Ausstieg Großbritanniens aus der EU hat dem Dax den größten Kurssturz seit 2008 eingebrockt. Er fiel zur Eröffnung am Freitag um 10 Prozent auf 9232 Punkte.
Der bevorstehende Ausstieg Großbritanniens aus der EU hat dem Dax den größten Kurssturz seit 2008 eingebrockt. Er fiel zur Eröffnung am Freitag um 10 Prozent auf 9232 Punkte. © dpa | Frank Rumpenhorst
Auch die Börse in Tokio wurde auf Talfahrt geschickt.
Auch die Börse in Tokio wurde auf Talfahrt geschickt. © dpa | Kiyoshi Ota
Der Jubel der Brexit-Befürworter ist groß. Von Anfang an war klar, dass die Entscheidung zwischen EU-Gegnern und EU-Befürwortern sehr knapp ausfallen würde.
Der Jubel der Brexit-Befürworter ist groß. Von Anfang an war klar, dass die Entscheidung zwischen EU-Gegnern und EU-Befürwortern sehr knapp ausfallen würde. © dpa | Michael Kappeler
Bei einer Wahlparty der EU-Gegner wuchs die Freude der Brexit-Anhänger, ...
Bei einer Wahlparty der EU-Gegner wuchs die Freude der Brexit-Anhänger, ... © dpa | Michael Kappeler
... je wahrscheinlicher der Sieg der EU-Gegner wurde.
... je wahrscheinlicher der Sieg der EU-Gegner wurde. © dpa | Michael Kappeler
Mit steigender Wahrscheinlichkeit für einen Ausstieg Großbritanniens aus der EU fiel auch der Kurs des britischen Pfund Sterling.
Mit steigender Wahrscheinlichkeit für einen Ausstieg Großbritanniens aus der EU fiel auch der Kurs des britischen Pfund Sterling. © dpa | epa Andy Rain
Millionen Briten waren am Donnerstag dazu aufgerufen, ...
Millionen Briten waren am Donnerstag dazu aufgerufen, ... © imago/ZUMA Press | imago stock&people
... ihr Kreuzchen bei der Abstimmung über Verbleib oder Austritt Großbritanniens in der EU zu setzen.
... ihr Kreuzchen bei der Abstimmung über Verbleib oder Austritt Großbritanniens in der EU zu setzen. © dpa | Elisabeth Moseley
Wegen Unwetter und Überschwemmungen mussten zwar einige Wahllokale geschlossen werden, ...
Wegen Unwetter und Überschwemmungen mussten zwar einige Wahllokale geschlossen werden, ... © imago/ZUMA Press | imago stock&people
... vom schlechten Wetter ließen sich die meisten Briten aber nicht aufhalten. Die Wahlbeteiligung lag bei gut 72 Prozent.
... vom schlechten Wetter ließen sich die meisten Briten aber nicht aufhalten. Die Wahlbeteiligung lag bei gut 72 Prozent. © imago/i Images | imago stock&people
Natürlich gaben auch Premierminister David Cameron und seine Ehefrau Samantha ihre Stimme ab.
Natürlich gaben auch Premierminister David Cameron und seine Ehefrau Samantha ihre Stimme ab. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
Und auch der frühere Londoner Bürgermeister und EU-Gegner Boris Johnson nahm gemeinsam mit seiner Frau Marina Wheeler an der Abstimmung teil.
Und auch der frühere Londoner Bürgermeister und EU-Gegner Boris Johnson nahm gemeinsam mit seiner Frau Marina Wheeler an der Abstimmung teil. © dpa | Michael Kappeler
Um Punkt 22 Uhr am Donnerstagabend (Ortszeit) schlossen die Wahllokale und die Wahlurnen wurden zur Auszählung gebracht.
Um Punkt 22 Uhr am Donnerstagabend (Ortszeit) schlossen die Wahllokale und die Wahlurnen wurden zur Auszählung gebracht. © dpa | Anthony Devlin
Seit kurz nach 6 Uhr am Freitagmorgen (Ortszeit) steht fest: Großbritannien tritt aus der Europäischen Union aus.
Seit kurz nach 6 Uhr am Freitagmorgen (Ortszeit) steht fest: Großbritannien tritt aus der Europäischen Union aus. © dpa | Anthony Devlin
Damit war diese Aktion der EU-Befürworter wohl ein ungewollter Abschiedskuss.
Damit war diese Aktion der EU-Befürworter wohl ein ungewollter Abschiedskuss. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
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Wirtschaft und Finanzen: Wirtschaftlich drohen in Großbritannien schwere Zeiten. Die ersten Reaktionen an den Finanzmärkten, wo sich das britische Pfund nach dem sich abzeichnenden Sieg der EU-Gegner im freien Fall befand, verheißen jedenfalls nichts Gutes. Bleibt die Währung auf Dauer schwach, werden Importe für die Briten teurer. Im europäischen Binnenmarkt ist für sie nach dem Votum jedenfalls kein Platz mehr. Die künftige Regierung, wer auch immer sie führt, wird die Handelsbeziehungen des Landes weitgehend neu justieren müssen. Da gibt es viele Fragezeichen. Und die Londoner City, einer der wichtigsten Finanzplätze der Welt, wird geschwächt. Einige Finanzkonzerne hatten schon mal laut darüber nachgedacht, ihren Sitz im Brexit-Fall aus London weg zu verlegen.

• Das bedeutet der Brexit für die EU

Der Umbruch: Die Union wird durch den Austritt der Briten ohne Zweifel geschwächt. Großbritannien ist – oder war – ein Schwergewicht in der Europäischen Union. In internationalen Verhandlungen, etwa mit den USA oder mit China, bringt die EU künftig weniger Pfunde auf die Waage. Zudem muss möglichst schnell geklärt werden, wie die neue EU und die Briten künftig miteinander umgehen wollen. Da stehen schwierige Verhandlungen an.

Die Fliehkräfte: Die Abkehr der Briten von Europa wird die EU-Gegner in anderen Staaten beflügeln, davon ist auszugehen. So unterschiedliche politische Persönlichkeiten wie die französische Rechtsauslegerin Marine Le Pen oder der gnadenlose Populist Beppe Grillo in Italien werden das Votum als Ermutigung nehmen, noch offensiver mit Anti-Brüssel-Parolen auf Stimmenfang zu gehen. Und in den Niederlanden hat der Rechtspopulist Geert Wilders schon kurz nach Bekanntwerden des Ergebnisses in Großbritannien ein Referendum nach britischem Vorbild gefordert.

• Das bedeutet der Brexit für die Deutschen

„Deutschland wäre wahrscheinlich der größte Verlierer eines Brexit, abgesehen von Großbritannien selbst“, hatte Clemens Fuest, Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, prophezeit. Der Brexit könnte die Bundesrepublik bis zu drei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung kosten, errechnete das Institut. Der Grund ist klar: Für Deutschland ist Großbritannien der drittwichtigste Handelspartner überhaupt. Jetzt drohen neue Handelszölle, mehr Bürokratie und eine sinkende Kaufkraft in Großbritannien. Wenn auf der Insel etwa weniger deutsche Autos oder Elektronikartikel verkauft werden, muss in Deutschland weniger produziert werden. Und dafür benötigt man weniger Jobs.

Geld für Brüssel: Deutschland überweist schon jetzt jedes Jahr zweistellige Milliardenbeträge nach Brüssel. Nach dem Brexit, so viel scheint absehbar, muss Berlin noch mehr Geld in den großen EU-Topf werfen. Laut Schätzungen könnten dies bis zu 2,5 Milliarden Euro zusätzlich sein. Mögliche Folgen wären Steuererhöhungen oder eine Kürzung öffentlicher Investitionen, etwa in Schwimmbäder und Schulen.

Die Urlaubskasse: Wenigstens das: Der beliebte London-Trip oder der Urlaub an der malerischen Küste Cornwalls könnte für Deutsche bald preisgünstiger sein – wenn das britische Pfund dauerhaft an Wert gegenüber dem Euro verliert. Ein schwacher Trost.