Berlin/Leipzig. Überfremdungsängste und der Wunsch nach Autorität: Rechtsextreme Einstellungen sind laut einer Studie in Deutschland weit verbreitet.

Seit dem Beginn der Flüchtlingskrise brodelt es in Deutschland. Wie rechtsextrem ist die Republik? Und was geht in den Köpfen der Menschen vor? Eine neue Studie zeigt, dass auch unter vielen Anhängern der angestammten Parteien rechtsextreme Positionen populär sind. „Die enthemmte Mitte“ haben die Autoren deshalb auch ihre Untersuchung genannt.

Forscher der Universität Leipzig gehen seit 2002 der Frage nach, wie weit rechte Einstellungen in der Gesellschaft verbreitet sind. Alle zwei Jahre machen sie in Kooperation mit politischen Stiftungen groß angelegte repräsentative Umfragen. Partner sind die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen, die Otto-Brenner-Stiftung von IG Metall und die der Linken nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die Studie findet allerdings unter Anhängern der FDP die wenigsten Vertreter rechtsextremer Positionen. Linksextreme Positionen untersucht die Studie nicht.

„Klassische“ rechtsextreme Einstellungen bewegen sich auf gleichbleibendem Niveau, so die Autoren. Die Ressentiments gegen einzelne gesellschaftliche Gruppen haben dafür in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Einer der Studienautoren, Oliver Decker, sagt, es sei eine Verschiebung zu beobachten – weg von „althergebrachten“ rechten Positionen hin zu Aggressionen gegen einzelne Gruppen wie Flüchtlinge, Juden oder Homosexuelle. Auch weil solche Aussagen gesellschaftlich auf etwas mehr Akzeptanz treffen als etwa eine Verherrlichung der NS-Zeit.

41 Prozent wollen Muslimen Zuwanderung verbieten

Die Hälfte der Deutschen fühlt sich „durch die vielen Muslime (...) manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“. Gut 41 Prozent meinen, Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland gleich ganz verboten werden.

Die Interviewer haben bundesweit 2420 Menschen befragt. Sie stellten dabei fest: Menschen mit rechten Einstellungen sind laut Studie zunehmend offen dafür, zur Durchsetzung ihrer Interessen Gewalt anzuwenden. Fast 20 Prozent der Befragten erklären, sie seien bereit, sich „mit körperlicher Gewalt gegen Fremde durchzusetzen“. Mehr als 28 Prozent würden zwar nicht selbst handgreiflich werden, finden es aber „gut, wenn es Leute gibt, die auf diese Weise für Ordnung sorgen“.

AfD Heimat für Rechtsextreme

Oliver Decker und Elmar Brähler von der Universität Leipzig stellten die Studie
Oliver Decker und Elmar Brähler von der Universität Leipzig stellten die Studie "Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen" der Rosa-Luxemburg-, Heinrich-Böll- und Otto-Brenner-Stiftung vor. © dpa | Kay Nietfeld

Besonders verbreitet sind rechte Positionen und Ressentiments gegen Asylbewerber, Muslime sowie Sinti und Roma bei AfD-Anhängern und Nichtwählern. „Die Rechtsextremen haben in der AfD eine Heimat gefunden“, sagte Decker. Die Wissenschaftler meinen, das Potenzial für rechtspopulistische Parteien sei noch größer als es die Wahlergebnisse bislang zeigten.

Vor allem die Flüchtlingskrise hat offenbar zu einer Radikalisierung geführt. Fast 60 Prozent der Bürger sind der Ansicht, die meisten Asylbewerber hätten in ihrer Heimat nicht wirklich Verfolgung zu befürchten. Und knapp 81 Prozent finden: „Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat nicht großzügig sein.“

Innenstadtverbot für Sinti und Roma

Auch gegen Sinti und Roma richten sich ausgeprägte Aggressionen. Sie neigten zur Kriminalität, meinen 58,5 Prozent der Deutschen. Und etwa die Hälfte der Bevölkerung ist der Ansicht, Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden. Schwule und Lesben sind ebenfalls Zielscheibe solcher Abwertungen.

Der Studie zufolge sind die Unterschiede in der rechtsextremen Einstellung zwischen Ost- und Westdeutschland nicht besonders groß. Als ausländerfeindlich gelten im Osten 22,7 Prozent der Befragten, im Westen sind es 19,8 Prozent, bundesweit 20,4 Prozent.

Deutschland im Mittelfeld

Die Studei hält aber auch fest, dass eine deutliche Mehrheit der Gesellschaft rechtsextremes Denken und auch Gewalt zum Teil strikt ablehnt und Vertrauen in demokratische Institutionen hat. Im Vergleich zu rechten Einstellungen in anderen europäischen Staaten stehe Deutschland im Mittelfeld, sagt Brähler. In Österreich zum Beispiel seien Umfrageergebnisse noch „weitaus bedrohlicher als in Deutschland“. (law/dpa)