Braunschweig. Niemand vermisst die Lügen des US-Präsidenten, aber seine Machtlosigkeit ist ein Lehrstück für eine Informationsgesellschaft im rechtsfreien Raum.

Die Twitter Incorporated nahm Donald Trump das Megaphon aus der Hand. Zack, Bumm, einfach so. Sein Account ist gesperrt. Kein Geheul über angeblichen Wahlbetrug mehr, keine Diffamierung politischer Gegner, keine Beleidigungen der Opfer rassistischer Polizeiübergriffe. „@realDonaldTrump ist Geschichte“, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung diese Woche mit kaum verhohlener Erleichterung.

Twitter begründet den harten Schritt mit Verstößen gegen die Regeln des Kurznachrichtendienstes. Man sehe das Risiko weiterer Anstiftung zur Gewalt. Das ist, angesichts der Trump-Tweets, die dem Sturm aufs Capitol vorausgingen, mehr als nachvollziehbar.

Twitter erntete höhere Einnahmen

Handelt Twitter also verantwortungsbewusst? Nimmt das Unternehmen geradezu vorbildlich die Pflichten eines Verbreiters wahr? Der Beifall hält sich in Grenzen. Denn so widerlich Trumps polemisches, selbstgerechtes Dauerfeuer war: Selbst seinen erklärten Gegnern ist nicht wohl bei der Sache. Die Meinungsfreiheit sei in Gefahr, sagen manche.

Die alleredelsten Motive mag man Twitter nicht unterstellen. Der Dienst ließ das Zugpferd Trump mit seinen unglaublichen knapp 89 Millionen Followern über Jahre gewähren, erntete steigenden Börsenkurs und höhere Einnahmen. Trumps Ausbrüche waren beste Werbung für Twitter; man konnte glauben, wer dort nicht angemeldet ist, sei info-mäßig gestrandet wie Robinson Crusoe auf seiner einsamen Insel. Erst massive öffentliche Kritik führte in den vergangenen Monaten zu einzelnen Eingriffen und jetzt, wenige Tage vor Trumps Auszug aus dem Weißen Haus, zur Vollsperrung.

Darf ein Unternehmen den Austausch von Meinungen zensieren?

Der Fall Twitter gegen Trump ist interessant, weil der gegenwärtig noch „mächtigste Mann der Welt“ plötzlich ganz klein wirkt. Eine amerikanische Bilderbuchfirma zeigt ihm, ungleich entschiedener als Justiz und Parlament, dass er es übertrieben hat mit seiner Hetze, seinen Lügen, seiner Anmaßung. Twitter tut in der Social-Media-Welt des 21. Jahrhunderts etwa dasselbe, was die rechtschaffenen Bürger einer Wildweststadt mit Störenfrieden machten: Teeren und Federn und aus der Stadt jagen.

Seine tiefere Bedeutung gewinnt der Fall Trump aber daraus, dass er wie ein Scheinwerfer Licht in eine Grauzone des Internets wirft. Die Frage ist: Darf ein Unternehmen den Austausch von Informationen und Meinungen zensieren? Darf es sogar den Zugang zur Öffentlichkeit verweigern? Wer trifft eigentlich diese Entscheidung, auf welcher Grundlage? Wer macht die Regeln? Wer hat die Macht? Und wie kann man sich dagegen wehren?

Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Diese Fragen verschwanden seit vielen Jahren hinter einer Nebelwand aus Internet-Glorifzierung. Die Selbstbeschreibung des World Wide Web als Reich der Freiheit in einer Welt der Reglementierung und Zensur geht ganz offensichtlich an den Tatsachen vorbei. Selbstverständlich bestimmt auch hier jemand, was geht und was nicht. Twitter durfte Trump rausschmeißen, wie es der selbstbewusste Schankwirt mit einem randalierenden Gast tut: Jeder, der einen Internetdienst nutzt, unterwirft sich seinen Regeln. Beim schnellen Weiterklicken fällt das nur den Wenigsten auf. Aber ist das auch richtig? Diese Regeln sind, anders als in allen anderen Wirtschafts- und Lebensbereichen, eher nachrangig von Rechtsnormen bestimmt, die demokratisch gewählte Parlamente beschlossen haben und die von unabhängigen Gerichten ausgelegt werden. Sie wurden von Privatunternehmen festgelegt, Gegenwehr fast zwecklos.

Wer von Deutschland aus versucht, sein individuelles Recht gegen einen der Internetriesen durchzusetzen, wird selten mehr ernten als ein erstaunlich freundliches Schreiben, in dem Verständnis gezeigt und um Verständnis gebeten wird – dafür, dass man nichts ändern wird. Dass wir das Recht haben, Google-Suchergebnisse zu hinterfragen, ist das Resultat einer massiven Anstrengung der Europäischen Union. Dass der Markt-Übermacht der großen Internetkonzerne Grenzen gesetzt werden, ist der Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu danken. Der Bundestag gibt den Kartellwächtern damit zum ersten Mal ein funktionierendes Werkzeug in die Hand.

Fall zeigt die Macht der Internetriesen

Internetkonzerne wie Twitter oder Facebook haben es verstanden, unter der Fahne der Internetfreiheit segelnd vor allem ihre eigene Freiheit auszubauen. So lange sie Garagen-Start-ups waren, tat das niemandem weh. Heute aber, da sie große Teile der Kommunikation der Welt beherrschen, wird sichtbar, dass diese Freiheit Weniger durchaus nicht ungefährlich für Viele ist. Das Internet hat neben zahllosen wunderbaren Eigenschaften auch eine furchtbare: Sie ist ein in Teilen rechtsfreier Raum, in dem die Freiheit des Unternehmers mehr gilt als Grundgesetz und demokratisch gebildeter Volkswille.

Wer wollte ausgerechnet Donald Trump als Opfer bedauern? Niemand hat das Internet so skrupellos für seine Zwecke ausgebeutet wie er. Niemand scherte sich so wenig um die Wunden, die er mit seinen Attacken schlug. Und dennoch: Sein Fall zeigt die Macht der Internetriesen, eine Macht, die bisher bestenfalls durch moralischen Druck gebändigt wird – und viel zu selten durch Recht und Gesetz. Das zu ändern, sollte im Interesse jedes Bürgers liegen, der den Anspruch hat, sich selbst auszusuchen, wer über ihn bestimmt.

Herrschaft der Internet-Oligarchie

Die Demokratie ist, mit Churchill gesprochen, das schlechteste Regierungssystem – mit Ausnahme aller anderen. Dass die Internetriesen ihre Macht bisher kaum für politische Manipulation benutzt haben, bietet keine Garantie für die Zukunft. Eine Herrschaft der Internet-Oligarchie

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