Rom. Wie ist es, in ständiger Angst zu leben? Angela Veneruso kennt das Gefühl. Sie lebt an den Campi Flegrei, die bald ausbrechen könnten.

Angela Veneruso lebt gefährlich und Millionen Menschen mit ihr. Ihre Häuser und Wohnungen grenzen an die Campi Flegrei – zu Deutsch "brennende Felder". Sie liegen etwa 20 Kilometer westlich des Vesuvs nahe Neapel. Unter der Erde brodelt es, die süditalienische Region Kampanien gilt als Europas gefährlichstes Vulkangebiet.

Zuletzt brach der sogenannte Supervulkan im Jahr 1538 aus, doch schon lange ist klar, dass ein erneuter Ausbruch keineswegs ausgeschlossen ist. Im Gegenteil: Ein internationales Forscherteam hat jüngst errechnet, dass er sogar kurz bevorstehen könnte.

Erdbeben in Neapel schüren Angst vor Vulkanausbruch

In diesem Sommer gab es immer wieder kleinere Erdbeben rund um die Phlegräischen Felder, die als besonders aktive vulkanische Zone gelten. Zehntausende solcher Beben haben sich in den vergangenen 50 Jahren ereignet. Die Küstenstadt Pozzuoli wurde in diesem Zeitraum um fast vier Meter angehoben. Das letzte Erdbeben ereignete sich am vergangenen Donnerstag mit einer Stärke von 3.8 auf der Richterskala. Es war der stärkte Erdstoß in der Region seit 39 Jahren.

Die Phlegräischen Felder – ein Supervulkan – liegen direkt neben der italienischen Metropole Neapel. Zu erkennen sind sie an den kraterartigen Erhebungen, die die Bewegungen im Erdinnern hinterlassen.
Die Phlegräischen Felder – ein Supervulkan – liegen direkt neben der italienischen Metropole Neapel. Zu erkennen sind sie an den kraterartigen Erhebungen, die die Bewegungen im Erdinnern hinterlassen. © dpa | Istinuto Di Vulcanologia

"Wir haben das Erdbeben klar gespürt: Es gab einen plötzlichen Lärm, alles hat gezittert", erzählt Angela Veneruso. Das Beben habe in ihr böse Erinnerungen wachgerufen. "Und zwar jene an das Erdbeben in der Region Irpinien im Jahr 1980, bei dem 2734 Menschen ums Leben kamen." Damals war Veneruso noch ein Kind. "Ich kann mich aber noch genau an die Angst von damals erinnern", erzählt die heute 51-Jährige, die bei einem Pharmakonzern in der Regionshauptstadt Neapel arbeitet.

"Sollte der Vulkan explodieren, wäre ganz Neapel zerstört"

Seit mehreren Jahren schon lebt Angela mit ihrer Familie in Pozzuoli, nur einen Kilometer von der sogenannten "Caldera" (Kessel) entfernt. Dort sind kleinere Krater zu sehen, an manchen Stellen steigt Schwefel- oder Wasserdampf auf. Die Erde bebt hier kontinuierlich. "Die Häuser der Gegend sind wegen dieser seismischen Aktivität immer wieder renovierungsbedürftig, da oft Risse entstehen", berichtet Veneruso. Die meisten Gebäude hier wurden nicht erdbebensicher gebaut. "Zum Glück ist das Haus, in dem ich wohne, von einem Vulkanologen errichtet worden, der in einem Beobachtungszentrum der Phlegräischen Felder lebte, und ist daher sicherer als andere."

Der Gedanke, dass der Supervulkan wie zuletzt 1538 wieder explodieren könnte, hat Angela wie alle Einwohner Pozzuolis, ständig im Kopf. "Natürlich mache ich mir Sorgen, aber ich möchte lieber nicht daran denken. Sollte der Vulkan explodieren, wäre ganz Neapel zerstört, die Region bis Rom wäre betroffen. Das wäre eine enorme Katastrophe nicht nur für uns, sondern für den ganzen Süden, ein Szenario, an das wir nicht denken wollen", sagt Angela.

Neapel: Großer Druck im Boden kündigt Vulkanausbruch an

Dass die Bevölkerung nach dem Erdbeben von vergangener Woche große Sorge empfindet, bestätigt auch der angesehene Vulkanologe Giuseppe Di Natale, Experte in Sachen "Bradisismo", dem Heben und Senken der Erde in diesem vulkanischen Gebiet.

Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet "langsame Erdbewegung". "Die Angst unter der Bevölkerung ist enorm. Sie fürchtet sich vor den Erdbeben, doch viele Einwohner denken, dass eine Eruption des Vulkans unmöglich ist und schalten diesen Gedanken einfach aus", beobachtet der Experte, der seit 40 Jahren zu Vulkanen und dem "Bradisismo" forscht.

"Die zunehmende Hebung des Bodens zeigt einen immer höheren internen Druck unter der Erde an, der auch zu immer stärkeren und häufigeren Erdbeben führt", so Di Natale weiter. Sollte der Druck weiter ansteigen, könnten die Gesteine an der Oberfläche ihm früher oder später nachgeben und es würde zu einer Eruption kommen.

"Derzeit kennen wir leider die Widerstandsgrenze der Gesteine in den ersten drei Kilometern Tiefe nicht, so dass wir keine Ahnung haben, wie hoch die Gefahr einer Eruption sein könnte."

Der Vulkanologe Giuseppe Di Natale erforscht die Phlegräischen Felder bei Neapel. Er ist Experte in Sachen Erdbewegung.
Der Vulkanologe Giuseppe Di Natale erforscht die Phlegräischen Felder bei Neapel. Er ist Experte in Sachen Erdbewegung. © Guiseppe Di Natale

Bisher haben die Forscher das Auf und Ab der Campi Flegrei auf unterirdische Magmabewegungen zurückgeführt. Steigt Magma aus den tieferen Schichten des Erdinneren unter Pozzuoli auf, beginnt sich das ganze Gebiet zu heben. Sobald das Magma wieder sinkt, geht die Ausbeulung an der Erdoberfläche zurück, und auch die Phlegräischen Felder sinken wieder.

Der Vulkanologe beklagt, dass die meisten Gebäude der Gegend um Pozzuoli nicht den modernsten antiseismischen Standards entsprechen. "Baufällige Gebäude könnten im Fall eines stärkeren Erdbebens schwere Schäden erleiden oder sogar einstürzen", warnt Di Natale.

Katastrophenfall: 1,3 Millionen Menschen müssten evakuiert werden

1983 war die Aufregung in Pozzuoli groß, als sich die Erde dort wieder einmal um mehr als einen Meter hob. Der neue Zustand hielt mehrere Monate an. Er war von Erdbeben begleitet, die zu erheblichen Schäden im Mauerwerk der alten Wohnhäuser im Hafenviertel führten. Mehr als 30.000 Menschen mussten damals für mehrere Wochen ihre Wohnungen verlassen, bis sich die Erde wieder beruhigt hatte.

"Heute ist der Bodenspiegel so hoch wie nie zuvor in den letzten Jahrhunderten", zeigt sich Di Natale besorgt. "Das bedeutet, dass der Innendruck so stark ist wie seit dem letzten Vulkanausbruch des Jahres 1538 nicht mehr."

Könnte die neuerliche Hebung in einer Katastrophe enden? Experten schließen das nicht aus. Der italienische Zivilschutz hat einen Notfallplan für die dicht besiedelte Region entworfen. Dieser sieht im extremsten Fall die Evakuierung von 1,3 Millionen Menschen im gesamten Raum um Neapel in 72 Stunden vor. In drei Tage müsste demnach eine ganze Region per Bus, Bahn und Autos die Gegend verlassen – ein Horrorszenario, an das Angela und die anderen Einwohner Pozzuolis gar nicht zu denken wagen.