Sydney. Ein Kind muss in Australien 60 Tage in Einzelhaft. Einer UN-Delegation wird Zutritt zu einigen Haftanstalten verwehrt. Was passiert da?

Australien hat als ehemalige Sträflingskolonie etliche grausame Vorfälle in seiner Historie. Doch auch heute dringen immer wieder Geschichten an die Öffentlichkeit, die ein teils schockierendes Bild über die Haftbedingungen in australischen Gefängnissen, vor allem auch in Jugendhaftanstalten, zeichnen.

Oftmals sind indigene Insassen die Opfer, auch die Liste indigener Menschen, die unter Haftbedingungen ums Leben kamen, wird immer länger. Aktuell erschüttert ein Fall, der eigentlich die Titelseiten der Zeitungen zieren sollte, in Australien aber eher als kleine Nebennachricht abgehandelt wurde.

So wurde bekannt, dass ein 13-jähriger indigener Junge 60 Tage im Bundesstaat Queensland in Haft verbracht hat, obwohl er wegen eher geringfügiger Vergehen festgenommen worden war. 45 Tage soll er sogar in Einzelhaft weggesperrt worden sein, 22 Tage davon am Stück. Ursprünglich war der 13-Jährige, den lokale Medien nur „Jack“ nennen, wegen eines Streits mit einem anderen Jungen festgenommen worden. Später kam er erneut mit dem Gesetz in Konflikt und wurde wegen Eigentumsdelikten und weil er unerlaubt Auto gefahren war, festgesetzt.

Australien: Einzelhaft „außergewöhnlich und grausam“

Sein Anwalt Tim Grau berichtete der BBC, wie das Kind aus Verzweiflung über seine Situation in der Einzelhaft seine Zelle mit Wasser aus der Toilette überschwemmte. Zuvor soll ihm das Trinken von Wasser verweigert worden sein. Der Anwalt beschrieb die Inhaftierung als „außergewöhnlich und grausam“ und sagte, Jack habe „keine ernsthafte kriminelle Vorgeschichte“.

Dass der Junge so lange in Isolation verbracht habe, müsse seiner Meinung nach an Personalmangel im Gefängnis liegen. Insgesamt sollen sich mindestens 80 Kinder in der Jugendhaftanstalt befinden und man könne davon ausgehen, „dass sich andere Kinder in denselben Umständen befinden“, sagte der Anwalt.

Ein ähnlicher Fall wie der von Jack war bereits im Februar ans Tageslicht gekommen. Damals war ein 13-Jähriger mit Entwicklungsstörungen 78 Tage lang bis zu 20 Stunden am Tag in einer Zelle eingesperrt worden. Zusätzlich dazu werden im Bundesstaat Queensland gerade neue Gesetze debattiert, die Kautionsverstöße von Minderjährigen kriminalisieren würden. Letzteres wird laut Experten dazu führen, dass die Jugendgefängnisse noch überfüllter werden, als sie es schon sind.

In Australien ist man schon so jung strafmündig

Dass trotz seines jungen Alters überhaupt im Gefängnis landen konnte, liegt daran, dass die Strafmündigkeit in Australien mit zehn Jahren beginnt. Letzteres wird im Land immer wieder heftig debattiert und einige Bundesländer wollen die Altersgrenze anheben. In Deutschland und Österreich kann man im Vergleich bis zum 14. Geburtstag nicht strafrechtlich belangt werden. In den Niederlanden sind Kinder mit zwölf Jahren strafmündig, in der Schweiz und in Teilen Großbritanniens liegt die Altersgrenze jedoch auch bei zehn Jahren.

Die Diskussion um das „richtige“ Alter für die Strafmündigkeit wird dabei auch in Europa immer wieder geführt. Zuletzt kam die Thematik in Deutschland auf, nachdem ein zwölfjähriges Mädchen vermutlich von zwei anderen Mädchen, die noch unter 14 Jahren alt waren, getötet wurde. Die beiden mutmaßlichen Täterinnen sind trotz der Schwere der Tat nach deutschem Recht schuldunfähig.

Obwohl Australien mit seinem niedrigen Strafmündigkeitsalter also keine absolute Ausnahme ist, stellt die Altersgrenze in dem Land ein besonderes Problem dar. Denn indigene Kinder sind dabei unverhältnismäßig stark betroffen und machen die große Mehrheit der inhaftierten Kinder aus. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International werden indigene Kinder 17-mal häufiger eingesperrt als nicht-indigene Kinder, obwohl sie nur sechs Prozent der australischen Bevölkerung im Alter von zehn bis 17 Jahren ausmachen. Von allen Kindern unter 14 Jahren, die zwischen 2017 und 2021 inhaftiert waren, waren 65 Prozent indigene Kinder und 68 Prozent waren ähnlich wie Jack noch nicht einmal wegen eines Verbrechens verurteilt worden.

UN-Delegation bei der Arbeit „behindert“

Die Lage in australischen Haftanstalten hat inzwischen auch die UN auf den Plan gerufen. Erst im Oktober löste es einen internationalen Eklat aus, als UN-Vertretern der Zugang zu einigen Haftanstalten im Bundesstaat New South Wales verweigert wurde. Auch in Queensland erlaubte man den Besuch einiger Einrichtungen nicht. Zudem erhielt die Delegation nicht alle angeforderten Informationen und Unterlagen, wie es in einer Erklärung des Ausschusses hieß. Der Unterausschuss der Vereinten Nationen zur Verhütung von Folter (SPT) warf Australien deswegen vor, ihn bei der Arbeit behindert zu haben.

Die UN-Repräsentanten brach ihren Australienbesuch verfrüht ab. Ende Februar wurden die noch ausstehenden Termine dann vollends abgesagt. Laut der Leiterin der Delegation, Aisha Shujune Muhammad, hat es einen „klaren Verstoß“ Australiens gegenüber den Verpflichtungen aus dem „Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“ (Opcat) gegeben. Letzteres ist eine Ergänzung zur Antifolterkonvention der UNO. Australien ist eine von 91 Nationen, die das Abkommen ratifiziert haben. Der Besuch im Oktober war das erste Mal, dass Inspektoren in Australien vor Ort waren.

Haftbedingungen des 13-Jährigen: Internationale Blamage

Tim O’Connor von Amnesty Australia nannte das australische Verhalten in einem Statement damals eine „internationale Blamage“. „Obwohl dieses wichtige internationale Abkommen 2017 ratifiziert wurde, ist es nie in nationales Recht übergegangen“, sagte er. Seine Organisation habe „große Bedenken hinsichtlich der Haftbedingungen in diesem Land“.

Die Beispiele der beiden 13-Jährigen sind übrigens nicht die einzigen schockierenden Fälle: 2016 waren Bilder aus dem Don Dale Youth Justice Center im Norden Australiens um die Welt gegangen: Dort hatten sich in den Jahren zuvor schockierende Szenen abgespielt. Bilder, die den Medien zugespielt wurden, zeigten einen 17-jährigen Jungen, der über dem Kopf einen Sack gestülpt hatte, der am Hals zugebunden war. Um den Hals hielt ihn ein Band an der Kopflehne fest, während seine Arme und Beine an den Stuhl gefesselt waren.

Andere Szenen aus dem Don Dale Centre zeigten, wie ein noch relativ kleiner Junge von Gefängniswärtern mit Gewalt zu Boden gerissen und nackt ausgezogen wurde, zehnmal Tränengas in einen kleinen Raum gesprüht wurde und wie die Wärter sich über die jungen Aboriginal Häftlinge mockierten. Eine Fernsehmoderatorin verglich die Szenen damals mit Bildern, die aus Guantánamo Bay oder Abu Ghraib bekannt seien.