Nidwalden. Der erste feministische Jodelchor der Schweiz will mit Sexismus und veralteten Rollenbildern aufräumen – mit einem „Echo vom Eierstock“.

Ein bisschen ist das mit dem Jodeln wie mit dem Gangster-Rap. Beide sorgen irgendwie für Stimmung, beide sind nicht für ihre tiefgründigen Texte bekannt und wenn man mal genauer hinhört, kommen Frauen darin nicht gut weg. Zumindest, was Jodeln angeht, soll damit jetzt Schluss sein. Der erste feministische Jodelchor der Schweiz hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit veralteten Rollenbildern und Sexismus in Jodeltexten aufzuräumen – unter dem klangvollen Namen „Echo vom Eierstock“.

Jodeln ist in der Schweiz immer noch „Männerdomäne“

Jodeln gehört zur Schweiz wie Alphörner und Fahnenschwingen. Sicher, Frauen jodeln mit. Auch Anja Schaller hat schon mal in einem traditionellen Chor gejodelt, bevor sie Teil eines feministischen Jodelchors wurde. Genau deshalb weiß die 30-Jährige aus Erfahrung: „Jodeln ist immer noch eine Männerdomäne, Frauen sind da oft nur Dekoration.“

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Entsprechend auch die Texte, in denen gern verniedlichend von Mütterchen und Mädchen die Rede ist: „In den Liedern werden oft christliche Bilder von der wehrlosen Frau wiedergegeben, die sich verliebt, verlobt, verheiratet und Kinder bekommt.“ Und spätestens an diesem Punkt endet oft ihr Part, während die tapferen Männer losziehen, ihre Heimat zu verteidigen.

Die Frauen im Chor „Echo vom Eierstock“ konzentrieren sich auf genau diese Texte, wie Anja Schaller erklärt: „Wir möchten mit traditionellen Rollenbildern, Klischees und überzogenem Nationalstolz aufräumen und die Tradition so mit einer Prise Aktivismus versehen.“

Unter der musikalischen Leitung von Simone Felber probt der erste feministische Jodelchor der Schweiz einmal im Monat. Den ersten großen Auftritt hat das „Echo vom Eierstock“ bei den Stanser Musiktagen.
Unter der musikalischen Leitung von Simone Felber probt der erste feministische Jodelchor der Schweiz einmal im Monat. Den ersten großen Auftritt hat das „Echo vom Eierstock“ bei den Stanser Musiktagen. © Echo vom Eierstock | Echo vom Eierstock

Einen Ansatz bietet das Lied vom „meisterlosen“ Mädchen des Schweizer Komponisten Alfred Leonz Gassmann. „Ischs Tanze e grossi Sünd?“, will das Mädchen vom „Müeterli“ wissen. Was sie sich denke, entgegnet letztere. Mal wolle sie Nonne werden, dann wieder mit „s’Nachbars Franz“ tanzen. Für eine Nonne sei sie zu hübsch, befindet die Tochter sinngemäß. Und überhaupt: Wäre die Mutter Nonne geworden, gebe es sie heute nicht. „Komm Franz, wir gehen.“

Jodeln: Schweizer Frauen wollen an Traditionen teilhaben

Im modernen Liedtext stellt die Tochter ihrer „Mueter“ eine andere Frage: Sollte Frau in der heutigen Zeit noch Kinder in die Welt setzen? Die Mutter rät ihr, ihren „Wältschmärz“ loszulassen und die Welt als ein Geschenk zu sehen. Das Lied, umgeschrieben von Bühnenautor und Künstler Béla Rothenbühler, trägt den Titel „Wiiterfrooge“.

Weiterfragen, darum geht es auch den Frauen im Chor. Um Moral, aber nicht ums Moralisieren, so Schaller: „Wir wollen uns nicht gegen die Jodelszene stellen, sondern zum Nachdenken anregen und die Texte so umschreiben, wie sie für uns stimmen – um ein moderneres Bild der Frau zu zeigen.“

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Warum also nicht das einer Frau, die ihren Kinderwunsch hinterfragt oder ihre Rolle nicht auf die Tochter, Mutter, Ehefrau beschränkt sieht. Jodeln ist also nicht mehr nur Männersache – mit ein bisschen gutem Willen findet man diesen Ansatz schon bei Loriot, der seine Frau Hoppenstedt in der „Jodelschule“ von 1978 „Holleri du dödel du“ trällern ließ.

Die Idee für den feministischen Jodelchor stammt von Mitjodlerin Elena Kaiser. Die Chorgründerin engagiert sich im Kollektiv Feministisches Nidwalden, das 2022 dafür sorgte, dass erstmals Frauen im Kanton am Trycheltag teilnehmen durften. Trycheln ist eine alte Schweizer Tradition und, wie Anja Schaller erklärt, eigentlich den Männern vorbehalten. Jedes Jahr in der Altjahrswoche, beginnend in der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember, ziehen sie mit Kuhglocken schellend durch die Straßen, um böse Geister zu vertreiben.

„Beim Trycheln haben wir auch schon gejodelt und dachten, eigentlich müssten wir einen eigenen Chor gründen“, so Anja Schaller. Recht schnell bildete sich ein Organisationskomitee, dem auch sie angehört. Der Name, „Echo vom Eierstock“, war eine spontane Idee. „Und ein bisschen auch aus Jux“, gesteht Schaller. „Viele Jodelchöre nennen sich nach Bergspitzen oder Dörfern – und weil ‚Eierstock‘ auch ein bisschen nach Berg klingt und natürlich für das weibliche Organ steht, erschien es uns passend.“

Stanser Musiktage: Erster großer Auftritt für „Echo vom Eierstock“

Der Chor besteht aus 45 Frauen. Mitmachen kann jede, die sich als Frau fühlt. Einmal im Monat treffen sie sich zum Proben. „Manche kommen aus Luzern, Bern oder Zürich nach Nidwalden zum Jodeln – das ist schon sehr cool“, findet Anja Schaller. Die Jodlerinnen sind zwischen 30 und 60 plus. Da treffen Generationen und auch Frauenbilder aufeinander. Bisher sei aber bei ihren monatlichen Proben wenig Zeit gewesen, sich darüber auszutauschen. Auch auf ein gemeinsames Verständnis von Feminismus hat sich der Chor noch nicht geeinigt.

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„Die Frauen, die sich angemeldet haben, finden es einfach eine gute Sache.“ Und der Rest der Welt? „Zeigt sehr unterschiedliche Reaktionen – das geht von Zustimmung bis Unverständnis, je nach Umfeld, Wissen oder politischer Gesinnung“, berichtet Anja Schaller. Einem Schweizer Jodlerverband, zum Beispiel, sei es wichtig, dass die Texte nicht zu sehr verändert werden und ihren Sinn behalten.

„Aber es gibt auch positive Stimmen, die sagen: Wenn Texte provozieren, muss man vielleicht mal überlegen, warum sie das tun.“ Die ersten, die sich provoziert fühlen oder mitüberlegen dürfen, sind die Zuhörerinnen und Zuhörer der Stanser Musiktage Ende April. Es ist der erste große Auftritt für den feministischen Jodelchor. „Aber wir haben bereits viele weitere Auftritt-Anfragen.“

Alle Infos zum Chor, seinen Auftritten und der Mitgliedschaft finden Interessierte unter www.echovomeierstock.ch.